Mami Staffel 8 – Familienroman. Lisa Simon
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Mami Staffel 8 – Familienroman - Lisa Simon страница 26
»Und ich soll Kevin jetzt beibringen, daß er bald seinen einzigen Freund verlieren wird?« fragte Julia verzweifelt.
»Einer muß es ja tun. Glauben Sie mir, ich selbst würde auch mit dem Jungen reden, aber er hat zu Ihnen einfach mehr Vertrauen.«
»Weiß Philipp schon von seinem Glück?«
»Noch nicht. Frau Kramer wird mit ihrem Mann am Wochenende hierherkommen, um ihren Sohn abzuholen. Ich halte es einfach für besser, wenn er vorerst nichts davon erfährt. Sie wissen ja, wie das ist: Da freut sich das Kind, endlich von hier wegzukommen, und dann passiert irgend etwas, daß es dann doch nicht klappt. Nein, nein, dieses Risiko gehen wir lieber nicht ein.«
Julia stand schon an der Tür. »Dann ist es wohl besser, ich rede mit Kevin erst, wenn Philipps Mutter hier aufgetaucht ist.«
Bärbel Clasen nickte. »Das halte ich auch für das Vernünftigste.«
Wie in Trance erledigte Julia an diesem Tage ihre Arbeit. Kevin würde daran zerbrechen, wenn er seinen einzigen Freund verlöre! Am schlimmsten war, daß Frau Kramer in einer anderen Stadt lebte, so daß es für die beiden Jungen keinerlei Möglichkeit gab, sich wenigstens hin und wieder zu treffen.
Das würde eine große Enttäuschung für Kevin sein. Schlimm genug, daß er ständig darauf wartete, daß seine Mutter kommen würde – warum war das Schicksal so ungerecht?
Im MARIENKÄFER lebten über einhundert Kinder; der Begriff Waisenhaus traf nicht ganz zu, denn die meisten Kinder waren keine Waisen, sondern Kinder, deren Eltern sich nichts aus ihnen machten.
Natürlich hatte das eine oder andere Kind seine Eltern oder zumindest einen Elternteil tatsächlich verloren, doch fast alle Kinder hatten nie die Liebe einer Mutter oder eines Vaters erfahren.
Und in ein paar Tagen war Kevins Geburtstag! Julia hatte mit den Kolleginnen gemeinsam entschieden, dem Jungen ein paar Bilderbücher und Malstifte zu schenken; außerdem würde es natürlich wie für jedes Geburtstagskind am Nachmittag im Speisesaal Kakao und Kuchen geben.
Julia hatte in einem Schreibwarengeschäft ein bezauberndes Malbuch mit Teddymotiven gekauft, welches sie ihm heimlich überreichen wollte. Davon brauchten die anderen nichts zu wissen. Eigentlich sollte Julia so etwas nicht tun, aber Kevin war etwas Besonderes, und außerdem brauchte er einen kleinen Trost, um über den Verlust seines Freundes hinwegzukommen.
*
Dann kam der Tag, vor dem sich Julia insgeheim gefürchtet hatte. Sabine Kramer, die jetzt Frau Birkner hieß, kam pünktlich um zehn Uhr morgens mit ihrem Mann. Julia hätte an diesem Wochenende eigentlich frei gehabt, aber angesichts der Lage hatte sie ihren Dienst getauscht.
Frau Clasen winkte Julia zu sich. »Holen Sie bitte Philipp herunter, ja? Ich werde veranlassen, daß seine Sachen gepackt werden, während er mit seiner Mutter Kontakt aufnimmt. Er kennt sie ja überhaupt nicht, auch wenn sie ihm zum Geburtstag oder zu Weihnachten Päckchen geschickt hat.«
Julia nickte. Sie hatten vorher mit der Heimleiterin besprochen, daß sie, sowie Philipp im Büro war, Kevin aus dem Zimmer zu locken, damit er nicht mitbekam, wie dessen Habe eingepackt wurde. Verabschieden konnten sich die beiden Jungen später.
Zaghaft trat Julia in das Zimmer der beiden. Philipp saß am Schreibtisch und betrachtete durch seine Lupe eine tote Biene, während Kevin wie üblich auf der Fensterbank saß und in den Regen hinausstarrte.
»Philipp, gehst du bitte mal ins Büro von Frau Clasen?« sagte sie betont leichthin.
Der Junge machte große Augen. Normalerweise hatte man mit der Heimleiterin nichts zu tun. Was konnte sie bloß von ihm wollen?
»Keine Angst«, sagte Julia und fuhr dem Kleinen lächelnd durch das Haar. »Du hast nichts verbrochen.«
»Bestimmt nicht?«
»Ganz bestimmt nicht.«
Augenblicklich trollte sich Philipp und verschwand aus dem Raum. Zögernd trat Julia zu dem einsamen kleinen Jungen am Fenster. »Kevin, laß uns mal ein bißchen runtergehen.«
»Wieso?« Er blickte Julia ängstlich an, als ahne er, was auf ihn zukommen würde.
»Komm mit, ich möchte etwas mit dir besprechen. In diesem Zimmer hat man ja keine richtige Ruhe, weil Philipp gleich wiederkommt.« Das war eine glatte Lüge, aber etwas besseres war Julia nicht eingefallen, um Kevin aus dem Raum zu locken.
Er stand auf und sah plötzlich ungläubig zu Julia empor. »Ist… meine Mutter gekommen?«
Julia blieb fast das Herz stehen vor Schreck – jetzt war es noch schwieriger, ihm Philipps Abschied zu erklären…
*
Kevin lag mit weit geöffneten Augen in seinem Bett und starrte in die Dunkelheit. Morgen hatte er Geburtstag, aber er freute sich nicht darüber.
Vom anderen Bett klang ein Schluchzen herüber, das von Markus kam, dem Jungen, mit dem Kevin seit Philipps Fortgang das Zimmer teilte. Markus kam aus einer zerrütteten Ehe, in der beide Elternteile ständig betrunken waren und der Junge mehr Schläge als Zuneigung bekommen hatte. Trotz der schlimmen Verhältnisse hatte Markus Heimweh nach seinem Zuhause, so daß er sich jeden Abend in den Schlaf weinte.
Julia hatte gemeint, daß Kevin sich mit Markus genauso anfreunden könne wie mit Philipp, aber das stimmte nicht! Markus machte sich nichts aus dem Betrachten von Bilderbüchern oder Malen. Er wollte am liebsten mit Kevin den ganzen Tag raufen.
Auch ihm rollten jetzt Tränen über das Gesicht, aber es war dunkel, und niemand konnte ihn weinen sehen. Er dachte an den Tag zurück, als Julia ihm erzählt hatte, daß Philipps Mutter gekommen sei. Zuerst konnte Kevin es nicht glauben, aber als er wieder in sein Zimmer kam, waren Philipps Sachen fort, als wäre er nie dagewesen.
Julia war dann noch einmal gekommen, um Kevin zu holen, damit er sich von seinem Freund verabschieden konnte. Philipp hatte über das ganze Gesicht gestrahlt, während Kevin nur mühsam die Tränen zurückhalten konnte. Philipp schien der Abschied nicht viel auszumachen, aber das war ja auch verständlich. Wenn seine eigene Mutter gekommen wäre, hätte er auch nicht an zurückgelassene Freunde gedacht.
Plötzlich setzte sich Kevin mit einem Ruck auf. In seinem Kopf war in Sekundenschnelle ein Plan entstanden: Wenn seine Mutter nicht zu ihm kam, dann mußte er eben zu ihr gehen! Weshalb war er nicht schon viel früher darauf gekommen?
Vorsichtig spähte Kevin zu Markus hinüber. Dessen ruhige Atemzüge ließen darauf schließen, daß er endlich eingeschlafen war. Ganz leise stand Kevin auf, um seinen Zimmergenossen nicht zu wecken. Markus durfte auf keinen Fall erfahren, was Kevin vorhatte!
Auf Zehenspitzen schlich er zu dem Stuhl, auf dem seine Sachen lagen, und zog sie schnell an. Dann nahm er seinen kleinen Rucksack vom Haken, packte etwas Wäsche und natürlich seinen Teddy ein.
Kevin hatte schreckliche Angst, daß jemand hören könnte, wie er die Tür öffnete – aber im Haus blieb alles ruhig. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, doch alle schienen bereits zu schlafen. Vorsichtig tastete sich Kevin das dunkle Treppenhaus hinunter, als er unterdrücktes Kichern vernahm, das eindeutig vom Untergeschoß