Automobile Reisen. Otto Julius Bierbaum
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Im Hofe des blauen Sterns in Prag(links Hugo Salus und Frau)
Entschuldigen Sie diese literarischen Bemerkungen. Ich wills nicht wieder tun.
Daß Prag eine der schönsten Städte, und nicht bloß Österreichs, ist, wissen Sie wohl schon. Eine seltsame Stimmung ist hier: deutsche Vergangenheit und tschechische Gegenwart und dann etwas wunderlich orientalisches, das von den vielen Juden herkommen mag. Das alte Ghetto mit dem Judenfriedhof und der uralten, halb unterirdischen Synagoge, – ein Viertel voll Schmutz, Armut und malerischen Reizes. Da gibt es Häuser, die nicht nebeneinander sondern ineinander gebaut zu sein scheinen, ein unsagbares Gewinkel. In der alten Synagoge, diesem ehrwürdigen Kellerloch der Jehowahverehrung, kann man das Gruseln lernen, und ich für mein Teil wurde den Gedanken nicht los: ein Stückchen dieser Düsterheit steckt auch in jeder christlichen Kirche. Oh Zeus von Otriculi!
Beneschau, den 15. April 1902.
Wenn Sie auf der Karte nachsehen wollen, werden Sie finden, daß Beneschau nicht gar weit von Prag entfernt liegt, und Sie werden sich wundern, daß wir heute nur einen so kleinen Weg gemacht haben. Daran ist die Zündung schuld, das einzige an unserem vortrefflichen Motor, das uns zuweilen einen kleinen Ärger bereitet.
Heute war es sogar ein großer. Der Wagen wollte durchaus nicht »angehn«, so sehr sich unser Fahrer im Hof des Blauen Sterns abmühte. Schließlich wurden wir es müde, der Quälerei beizuwohnen, und gingen hinüber in den Zirkus Schumann, wo der Herr Direktor gerade ein neues Pferd in der hohen Schule übte. Das ist eigentlich auch keine kleine Quälerei, aber als Schauspiel war es für uns doch angenehmer, als das erfolglose Bemühen, Benzinexplosionen durch Zündung zu erzeugen, die Gottweiß aus welchen Tücken keine Lust hatten. Erst Nachmittags um zwei Uhr ließ sie sich herbei, zu funktionieren, und so haben wir also nicht, wie wir wollten, Wittingau, sondern nur Beneschau erreicht.
Von diesem Orte weiß ich Ihnen nichts zu berichten, als daß es vor 30 Jahren noch deutsch gewesen sein soll, jetzt aber, bis auf einige jüdische Firmen, ganz tschechisch ist.
Außer den Firmen Cohn und Katzenstein erinnert uns noch ein schönes Stück Gotik in Gestalt eines hohen Spitzbogenfensters, das allein von einer alten Kirche übrig geblieben ist, an die deutsche Vergangenheit des Städtchens.
Dafür lebt sich auch hier in allen seinen Prächten der tschechische Jugendstil üppig aus. Das Zimmer, das wir angewiesen erhalten haben (Laufwagenreisende bekommen in kleinen Städtchen stets die Staatszimmer), ist giftgrün-rosa bemalt mit unerhörten Blumen der tschechischen Botanik, halb Lilien, halb Klatschrosen; sämtliche Möbel sind aus moosgrün lackiertem Eisenblech mit ziegelroten Kaldaunenornamenten. Die Biedermeier-Rosen unseres Teeservices erblassen schier vor diesem tumultuarischen Farbengeheul, und ich habe dem Wirt ernstlich ans Herz gelegt, hier nie eine Dame in gesegneten Umständen einzuquartieren, weil eine Frühgeburt die unausbleibliche Folge sein müßte.
Wittingau, den 16. April 1902.
Diese Stadt heißt eigentlich ganz anders, aber ich kann mir den tschechischen Namen durchaus nicht merken. Wittingau hat sie früher geheißen, als sie noch deutsch war. Heute kommt der Name nur noch auf den Plakaten der fürstlich-schwarzenbergischen hiesigen Brauerei vor.
Überhaupt ist die ganze Stadt und alles drum herum fürstlich-schwarzenbergisch. Man kann sagen: es ist eigentlich gar keine Stadt, sondern hundert und ein paar Häuser, die dem schwarzenbergischen Schlosse zur Folie dienen.
Da ist z. B. eine Straße, die vom Schloß zur Kirche führt. Aber die Kirche ist die Schloßkapelle, und die eine Seite der Straße ein verdeckter Gang, der Schloß und Kapelle verbindet.
Das Schloß selber ist ein sehr weitläuftiges Gebäude oder besser: ein Komplex mehrerer ausgedehnter Baulichkeiten, und man müßte taub sein, wollte man nicht hören, was diese Mauern (tschechisch natürlich) laut und vernehmlich predigen. Ich habe es vernommen, lieber Bachmann, und habe es, obwohl es tschechisch war, wohl verstanden. Soll ich es Ihnen aus dem Tschechischen der Schwarzenberger (Sie wissen doch daß die Schwarzenberger Tschechen sind?) übersetzen? Ins Deutsche? Nein: ins Französische. Es ist eine ganz kleine Redensart und heißt: Je m'en fiche!
Diese böhmischen Magnaten, von denen die Schwarzenbergs noch nicht einmal die größten sind, dürften sich diesen Spruch wirklich ins Wappen setzen lassen. Dem Rang und Titel nach sind sie zwar keine Souveräne (obwohl die Schwarzenbergs in ihrer eigentlichen Residenz, denn das hier ist bloß ein pied-à-terre, sogar ein kleines Privatarmeechen haben), aber in Wahrheit sind sie viel souveränere Herren, als irgend ein regierender Fürst. Ein moderner König kann wahrhaftig keine großen Sprünge machen, – die Schleppkugel des Parlaments hängt ihm am Fuß. Kaum daß er noch große Reden im Munde führen darf, und auch das will ihm die Volksstimme schon nicht mehr erlauben. Sein Leben spielt sich noch viel mehr als das gewöhnlicher Menschen zwischen lauter Rücksichten ab, und er ist in der Hauptsache nur durch den Schein einer Machtvollkommenheit ausgezeichnet, deren sich heute in Wirklichkeit nur die wirklich Herrschenden erfreuen, die großen Besitzer, die keine nominellen Potentaten sind. Ein heutiger Souverän ist auf Popularität angewiesen; nur ein Genie dürfte es wagen, Potentat und unpopulär zu sein. Ein gewöhnlicher Souverän, der es riskieren wollte, nach dem Spruch je m'en fiche zu »regieren«, würde bald die Bruchstücke seiner Krone und seines Thrones auf der Straße zusammenlesen können.
Einen Schwarzenberg dagegen, wie etwa einen Vanderbilt, hindert eigentlich nichts daran, durchaus und immer zu tun, was ihm beliebt. Er hat Macht schlechthin im Umkreise seines Besitzes. Z. B.: Es beliebt den Fürsten Schwarzenberg, daß sich in oder um Wittingau keine Industrie bilde, denn sie wünschen nicht, daß auf ihrem Gebiete der Arbeiter die Wahl habe, seine Kraft dem Fürsten oder einem anderen zu verkaufen, – also bildet sich keine Industrie, denn alles Land hier, meilen-meilenweit ist Schwarzenbergisch – bis zur Grenze von Nieder-Österreich.
Selbständige Bauern gibt es nicht, – nur schwarzenbergische Untertanen, und die im verwegensten Sinne des Wortes. Leibeigen sind sie ja nicht, aber das Land, das sie bebauen, das Gerät, mit dem sie es tun, die Hütte, in der sie wohnen, gehört dem Fürsten. Er hat die Entscheidung über alle Weg- und Kommunikationsfragen, – in seiner Hand liegt es, welcher Art die Kultur sein soll, die sich hier entwickelt.
Schrecklich, lieber Bachmann, nicht wahr? – Ich weiß nicht recht. Nach dem Prinzip der Liberté, Fraternité, Egalité angesehen ist es ja gräulich, und ich für mein Teil würde, ehe ich so hörig wäre, lieber wundfüßig bis ans Ende der Welt laufen, aber es scheint doch, daß es für viele ein ganz erträglicher Zustand ist, wenn es der Herr Fürst nur ein bißchen gnädig treibt. Also wird es fürs Erste wohl noch eine gute Weile so gehen.
Für die Ästhetik der Landschaft ist das feudale Regime sicher günstig. Unter ihm gedeiht die große Linie: Wald, Wiese, Feld. Alles dehnt sich weit, mächtig, schön. Nirgends Fabrikschlöte, überall reine Natur. Und die Hütten