Automobile Reisen. Otto Julius Bierbaum

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Automobile Reisen - Otto Julius Bierbaum

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ist, in der es an Gelegenheiten, sich zu vergnügen, nach keiner Richtung fehlt, und wo besonders für die körperlichen Bedürfnisse ausgezeichnet gesorgt wird. Hier ist die hohe Schule der Mehlspeisküche, und die Kunst des Speisens überhaupt braucht hier keine Sezession. Auf diesem Gebiet herrscht in Wien durchaus die alte Richtung, und es wäre verrucht, sie durch eine neue ablösen zu wollen. In der bildenden Kunst dagegen ist die Revolution im vollen Gange. Nirgends, auch in München nicht, lebt und wirkt die Sezession wie hier. Ich war etwas bange davor, denn ich bin nachgerade ein bißchen bedenklich in diesem Punkte geworden, aber ich muß gestehen, daß meine schlimmen Ahnungen sich nicht erfüllt haben. – Von der Umgebung Wiens lernten wir ein besonders schönes Stück im Laufwagen kennen: die Gegend oberhalb Grinzings, die den schönen Namen »Am Himmel« nicht mit Unrecht führt. Welche große Stadt hätte derlei in unmittelbarer Nähe! Wald und Wiese in unberührter Schönheit, Berg an Berg mit den köstlichsten Ausblicken über die ganz nahe sich ausbreitende Stadt –eine Mittelgebirgslandschaft mit allen Reizen reichster Abwechselung, unterbrochen von alten schönen Herrensitzen, die noch nicht Hotels oder Pensionen geworden sind. – So mag denn Wien ein wunderschöner Aufenthalt sein, und die Wiener selbst werden nicht müde, es zu preisen, obwohl es nun nicht mehr »die« Kaiserstadt ist. Zum Schluß eine Probe von Wiener Lebensweisheit in einem Verse, der augenblicklich hier grassiert:

      Drahn m'r um und drahn m'r auf,

       Es liegt nix dran,

       Weil ma's Göld auf derer Welt

       Nicht fress'n kann.

      Haben Sie was dagegen einzuwenden?

      Nachschrift: Fast hätte ich das Schönste vergessen, das Wien an neuer Kunst aufzuweisen hat: das Goethedenkmal von Hellmer. – Gegenwärtig werden der Bildhauerei, zumal in Deutschland, meist insofern schwierige Aufgaben gestellt, als sie entweder Persönlichkeiten von im Grunde recht unwesentlicher Bedeutung monumentalisieren soll, oder gezwungen ist, wirklich mächtige Erscheinungen, wie Bismarck, nach einer gewissen Konvention aufzufassen, als gewissermaßen zu demonumentalisieren. Irgend ein gleichgültiger Vorfahre eines jetzt regierenden Fürsten, so gleichgültig, daß die Geschichte an ihm nichts Auszeichnendes fand, als etwa eine ungewöhnliche Wohlbeleibtheit, weshalb sie ihm dann den Beinamen Der Dicke verlieh, ein fürstlicher Guidam also, von Zufalls Gnaden Kronenträger geworden, statt etwa Packträger, soll, allein um dieses Zufalls willens, fürstlich dargestellt werden, fürstlich, d. h. als ein Vornehmer unter den Vornehmen, als eine Höhenerscheinung unter den Menschen. Er, der vielleicht lediglich durch seinen Bauch hervorragte, soll in Marmor Seelengröße, Geisteskraft und jederlei Adel des Herzens, Hirns und der Sinne überhaupt an den Tag legen. Bismarck hingegen, der ein überragendes Genie und im alleroffenbarsten Sinne ein Fürst unter den Menschen war, darf im Grunde doch immer nur wieder sub specie des Herrn Anton von Werner dargestellt werden, nämlich als schnauzbärtiges, brauenbuschiges, nüsternblähendes Zubehör zu ein Paar Kürassierstiefeln, welches Gebilde man dann den Eisernen Kanzler nennt. Unsre Nachkommen werden in diesen Kümmerlichkeiten ganz gewiß keine Monumente Bismarcks, sondern Denkmäler des kümmerlichen Verhältnisses erblicken, in dem unsre bestimmenden Kreise zu diesem Gewaltigen stehen. Wie denn überhaupt unsre Gegenwart von dem heißen Bemühen erfüllt zu sein scheint, sich vor der Zukunft monumental zu blamieren, indem sie ihr in ihren Denkmälern eine wahre Galerie von Mittelmäßigkeiten hinterläßt, sei es hinsichtlich des Dargestellten oder der Darstellungsart oder in beiden Hinsichten gleichzeitig.

      Angesichts dieses Zustandes ist es erklärlich, daß Künstler von starker Eigenart, wie Max Klinger, mit höchstem Ehrgeiz ihr ganzes Können an die Aufgabe setzen, in einem höheren Sinne monumental zu schaffen, indem sie sich resolut besonders von jener biedermeierhaften Art pseudorealistischer Auffassung einer Persönlichkeit abwenden. Der Beethoven Klingers, den wir hier, von der Sezession mit fast religiöser Verehrung zu dem Mittelpunkt einer schöpferischen Huldigung gemacht, sahen, verdient als Ausdruck eines so edlen Strebens zweifellos hohe Anerkennung, – als Leistung aber ist er höchst unerfreulich. Die Auffassung des großen Musikers als eine Art Jupiter tonans der klingenden Kunst erforderte vor allem Überlebensgröße und Verzichtleistung auf jedes kleinliche, wenn auch im Material noch so kostbare Beiwerk. In einfacher Lebensgröße dargestellt und umgeben von allerhand kleinplastischen Kommentaren seines Wesens wirkt dieser grübelnde Donnergott wie eine Nippesfigur, und spätere Geschlechter mögen glauben, das Denkmal sei, trotz der Signierung Klingers, eine verkleinerte Kopie des Originals. Aber auch wenn man über diesen Grundfehler hinweg sieht, bleibt wenig übrig, woran man seine Freude haben kann. Wer je einen Rodin gesehen hat, wird schmerzlich empfinden, wie wenig Fluß diese Linien haben, wie kleinlich im Grunde das Ganze auch innerlich ist, wie wenig Reiz dem Material abgewonnen wurde. Die Engelsköpfchen an dem großen Sessel sind direkt Backfischsgeschmack; wirklich gut ist nur der Adler.

      Ich begreife es vollkommen, daß Wien es abgelehnt hat, diese zwar sehr prätensiöse aber hinter ihren Prätensionen unendlich weit zurückbleibende Arbeit zu erwerben. Eine Stadt, die den Hellmerschen Goethe ihr eigen nennt, kann auf ein Werk wie dieses verzichten, ja muß es in einem gewissen Sinne. Hellmers Goethe ist, neben Hildebrands Brunnen in München, die stärkste monumentale Leistung der gegenwärtigen deutschen Bildhauerkunst. Dieses Werk sucht nicht durch »neuartige« Auffassung zu verblüffen, indem es etwa den »Olympier« von Weimar nach dem Vorgange Bettinas nackt darstellt (was eine recht billige Gymnasialprofessoren-Kühnheit wäre), es sieht auch von allem Schmuckhaften in Nebendingen ab und verschmäht jede plastische Zoologie, die es zumal in der Begasschule zu einer Konkurrenz mit Hagenbeckschen Unternehmungen gebracht hat. Dieser Künstler erwies seine Größe, wie es die Art jedes wirklichen Plastikers ist, zuvörderst durch die große und edel einfache Auffassung. Er sagte sich: wie auf einem Denkmal Goethes nur das eine Wort Goethe stehen darf und nicht etwa ein langes oder kurzes Gepreise des Herrlichen nach einer Richtung hin, so darf es auch plastisch auf ihm nichts geben, das von der Gestalt und Haltung dieses Vollkommenen, vor allem seines Kopfes, ablenkt. Dieser Kopf und dann die Haltung, – das ist alles, was zu leisten ist. Freilich: welch eine Aufgabe! Goethe: d. h. höchste Schönheit deutscher Art und vollster Ausdruck deutschen, weltumfassenden Geistes, aber auch tiefstes Fühlen und klarstes Gestalten, Zusammenklang aller Menschengaben in eine Harmonie von sonst nie dagewesener Fülle, und dennoch: Menschlichkeit, kein »Gott«. Dem Wiener Meister ist es gelungen, diesen Komplex höchster Menschheitskräfte so darzustellen, daß man vor seinem Bildwerk wirklich empfindet: Goethe.

      Daß gerade Wien diese herrliche Schöpfung besitzt, ist doppelt erfreulich, – Wien, das es, wie mir scheint, besonders nötig hat, immer wieder an deutsche Höhenart erinnert zu werden.

      II. Von Wien nach München

      An Frau Anna Croissant-Rust in Ludwigshafen am Rhein

      Wels am Traunflusse, den 24. April.

      Lieber Kamerad! Sie haben schon manche Beichte von mir vernommen und sind den Kreuz- und Querfahrten meines Lebens immer eine anteilnehmende Beobachterin gewesen, obwohl es nicht immer lustig für eine gute Freundin gewesen sein mag, diesem Zick-Zack-Kurs eines im Irrgarten der Liebe taumelnden lyrischen Kavaliers zuzuschauen. Darum sollen Sie nun einmal von einer Fahrt vernehmen, die schon deshalb erfreulich ist, weil ich sie an der Seite eines Wesens machen darf, unter dessen gütiger und guter Leitung ich gewiß nicht mehr taumeln werde. Womit ich meinem guten Kameraden in der Literatur meinen Lebenskameraden vorgestellt und seiner Freundschaft empfohlen haben will. Wie werden es gewiß mit mir wünschen, daß unsre Lebensfahrt immer so glatt und vergnüglich vor sich gehen möge, wie unsre Adlerwagenfahrt, von der ich Ihnen die Strecke Wien-München in schnellen Briefen zu erzählen gedenke.

      Wir sind gestern von Wien abgefahren und haben am ersten Tage den Weg durch den Wiener Wald genommen. Wiener Wald, – das klingt wie

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