Auferstehung. Лев Толстой
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Hinter ihm erschien der Richter mit der mürrischen Miene; er war noch mürrischer geworden, seit er beim Eintritt in die Sitzung seinem Schwager begegnet war und dieser ihm gesagt hatte, seine Schwester habe ihm eben mitgeteilt, es würde heute abend nichts im Hause zu essen geben.
»Du lieber Gott! Dann werden wir eben in der Kneipe essen müssen,« hatte der Schwager lachend hinzugefügt.
»Ich sehe nicht, was daran so lächerlich ist!« hatte der Richter geantwortet.
Der andere Richter, der immer zu spät kam, war ein Mann mit langem Bart, gutmütigen, dicken, runden Augen und angeschwollenen Backen. Dieser Richter litt an einem Magenkatarrh, und noch an demselben Morgen hatte sein Arzt eine neue Behandlungsweise bei ihm angefangen, die ihn zwang, noch länger als gewöhnlich, zu Hause zu bleiben. Er trat mit vertiefter Miene auf die Estrade und war in der That sehr zerstreut. Er hatte die Gewohnheit, durch alle möglichen Zufallsspiele Antworten auf Fragen zu erraten, die er sich selbst stellte. Diesmal hatte er sich gesagt, wenn die Zahl der Schritte, die er zu machen hatte, um von der Thür seines Kabinets bis zu seinem Sessel zu kommen, durch drei geteilt sein sollte, dann würde seine neue Behandlung ihn von seinem Katarrh befreien; wenn nicht, dann nicht. Es waren im ganzen 26 Schritte; doch im letzten Augenblick mogelte der Richter ein bißchen, machte einen kleinen Schritt mehr und kam so mit 27 Schritten zu seinem Sessel.
Die Gestalten des Präsidenten und der beiden Richter, die sich mit ihren Uniformen und den goldgestickten Kragen auf der Estrade aufrichteten, boten ein höchst imposantes Schauspiel dar. Die Richter waren sich dessen übrigens voll bewußt, und alle drei beeilten sich, als wenn sie sich ihrer Größe schämten, Platz zu nehmen, indem sie vor dem großen, grünen Tische, auf dem man ein dreieckiges Instrument mit dem kaiserlichen Adler, Tintenfässer, Federn, weißes Papier und eine ungeheure Anzahl frisch angespitzter Bleistifte verschiedener Größe gelegt hatte, bescheiden die Augen zu Boden schlagen.
Hinter den Richtern erschien der Staatsanwalt. Auch er ging so schnell wie möglich auf seinen Sessel zu; er hielt noch immer seine Aktenmappe unter dem Arm und fuchtelte mit den Armen. Sobald er sich gesetzt hatte, vertiefte er sich in die Lektüre der Akten und benutzte jede Minute, um seine Rede vorzubereiten. Wir müssen noch erwähnen, daß Breuer erst kürzlich zum Staatsanwalt ernannt worden war und erst zum viertenmale plaidierte. Er war sehr ehrgeizig, gedachte eine schöne Karriere zu machen und hielt es, um zu reüssieren, für unerläßlich, in allen Prozessen, an denen er teilnahm, Verurteilungen durchzusetzen. Er hatte schon den allgemeinen Plan der Anklagerede, die er in dem Giftmordprozeß halten wollte, entworfen; doch er mußte von den Thatsachen des Falles Kenntnis nehmen, um seine Beweisführung zu unterstützen und auszugestalten.
Endlich durchflog der Aktuar, der am entgegengesetzten Ende der Estrade saß und alle Stücke, die er noch zu lesen hatte, vor sich hingelegt hatte, einen verbotenen Zeitungsartikel, den er am vorigen Abend erhalten und bereits einmal gelesen hatte. Er wollte von diesem Artikel mit dem langbärtigen Richter sprechen, der, wie er wußte, in der Politik mit ihm einer Meinung war; und bevor er davon sprach, wollte er ihn genau kennen lernen.
Nachdem der Präsident Papiere durchflogen, stellte er an den Aktuar und den Nuntius einige Fragen, und gab dann, als er von ihnen bejahende Antworten erhalten, den Befehl, die Angeklagten hereinzuführen.
Sofort wurde eine Thür im Hintergrunde geöffnet, und zwei Gendarmen traten, die Pelzmütze auf dem Kopfe und den Säbel in der Hand, ein, hinter ihnen erschienen die drei Angeklagten; zuerst ein sommersprossiger Mann mit roten Haaren, dann zwei Frauen. Der Mann trug Gefangenenkleidung, die für ihn zu groß und zu weit war. Er hielt die Arme an den Körper gepreßt, um die Aermel festzuhalten, die seine Hände sonst verdeckt hätten. Er schien weder die Geschworenen, noch das Publikum zu sehen, und hielt die Augen starr auf die Bank gerichtet, an der er vorüberkam. Als er um sie herumgegangen war, setzte er sich, richtete die Augen auf den Präsidenten und fing an, die Lippen zu bewegen, als wenn er etwas vor sich hinmurmelte.
Die ihm folgende Frau, die ebenfalls Gefängniskleidung trug, mochte etwa 50 Jahre zählen. Sie hatte ein Sträflingstuch um den Kopf gebunden, und ihr blaßgraues Gesicht hätte nichts besonders Merkwürdiges aufzuweisen gehabt, wäre nicht das vollständige Fehlen der Wimpern und Augenbrauen aufgefallen. Sie schien übrigens vollständig ruhig. Als sie auf ihrem Platze angelangt war, strich sie ihr Kleid, das an einem Nagel hängen geblieben war, sorgfältig glatt und setzte sich.
Das andere Weib war die Maslow.
Sobald sie eintrat, richteten sich die Blicke aller im Saale anwesenden Männer auf sie und betrachteten längere Zeit ihr sanftes Gesicht, ihre feine Taille und ihre breite unter dem Leinenkittel stark hervortretende Brust. Selbst der Gensdarm, an dem sie vorüber mußte, sah sie fortwährend an, bis sie sich gesetzt hatte; dann wandte er sich wie im Gefühle einer Schuld ab und blickte nach dem gegenüberliegenden Fenster.
Der Präsident wartete, bis die Angeklagten sich gesetzt hatten, und wandte sich dann zu dem Aktuar. Das gewöhnliche Verfahren begann; der Aufruf der Geschworenen, der Beisitzer, die Verurteilung der Fehlenden zu einer Geldstrafe, die Prüfung der Entschuldigungen und der Ersatz der fehlenden Geschworenen durch Beisitzer. Dann ersuchte der Präsident den Popen, den Geschworenen den Eid abzunehmen.
Dieser Pope war ein großer, kahlköpfiger Greis mit rotem Gesicht, einigen weißen Haaren und einem langen, schlecht gekämmten Bart. Er trug eine bräunliche Soutane, mit einem an einer goldenen Kette hängenden Kreuz, das er mit seinen angeschwollenen, dicken Fingern fortwährend auf der Brust hin- und herdrehte. Er trug auch einen kleinen an der Seite angenähten Orden. Seit 45 Jahren war er Geistlicher und wollte im nächsten Jahre sein Jubiläum feiern, wie es der Erzpriester der Kathedrale kürzlich gethan hatte. Seit der Erbauung des Gerichtsgebäudes war er beim Gericht; er war stolz darauf, mehreren tausend Personen den Eid abgenommen zu haben und selbst noch in seinem Alter zum Wohle des Vaterlandes, der Kirche und auch seiner Familie zu arbeiten, der er außer seinem Hause ein Kapital von wenigstens 30 000 Rubeln in guten Papieren zu hinterlassen gedachte. Nie war ihm der Gedanke gekommen, er könne schlecht handeln, wenn er vor einem Gerichtshofe auf das Evangelium schwören ließ; im Gegenteil, er liebte diese Beschäftigung, die ihm oft Gelegenheit gab, mit vornehmen Personen Bekanntschaft zu machen. So war er an diesem Tage sehr glücklich gewesen, mit dem berühmten Advokaten aus St. Petersburg bekannt zu werden, für den seine Hochachtung noch gestiegen war, als er erfahren hatte, ein einziger Prozeß habe ihm 10 000 Rubel eingebracht.
Sobald der Präsident ihn ermächtigt hatte, den Geschworenen den Eid abzunehmen, hob der alte Pope langsam seine angeschwollenen Beine und schritt auf das vor dem Heiligenbild stehende Pult zu. Die Geschworenen erhoben sich und folgten ihm schnell.
»Einen Augenblick!« sagte der Pope, streichelte das Kreuz mit der rechten Hand und wartete, bis alle Geschworenen näher getreten waren.
Als alle bei dem Heiligenbild standen, neigte der Pope seinen weißen Kopf zur Seite, steckte ihn in das fettige Loch seiner Stola, brachte seine dünnen Haare in Ordnung und sagte, sich zu den Geschworenen wendend: »Erheben Sie die rechte Hand und halten Sie die Finger so!« Gleichzeitig hob er seine dicke Hand hoch und faltete die Finger, als wenn er eine Prise nehmen wollte. »Und jetzt wiederholen Sie mit nur: ›Ich schwöre bei dem Heiligen Evangelium und dem belebenden Kreuz, daß ich in der Sache, in welcher‹ ... Halten Sie nicht die Hand herunter,« sagte er, sich an einen jungen Mann wendend, der Miene machte, den Arm herunterzunehmen. Dann fuhr er langsam, bei jedem Worte pausierend, fort: »daß ich in dem Falle, an welchem ...«