Auferstehung. Лев Толстой
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Früher sah er in dem Weibe ein geheimnisvolles, reizendes Geschöpf; jetzt hatte das Weib, jedes Weib – bis auf seine Verwandten und die Frauen seiner Freunde – in seinen Augen eine sehr klare und deutliche Bedeutung, denn sie war ihm nur ein Instrument eines schon wohlbekannten Genusses. Früher brauchte er fast gar kein Geld und gab kaum den dritten Teil des ihm von seiner Mutter ausgesetzten Zuschusses aus; er konnte auf die väterliche Erbschaft verzichten, und sie den Bauern schenken; jetzt genügten ihm die 1500 Rubel nicht einmal, die ihm seine Mutter gab, und es war schon mehr als einmal zwischen ihm und ihr zu unangenehmen Auseinandersetzungen in Geldfragen gekommen.
Diese große Umwandlung, die sich in ihm vollzogen, kam ganz einfach daher, daß er nicht mehr an sich selbst, sondern nur noch an die andern glaubte. Er hatte aber den Glauben an sich selbst aufgegeben, um nur noch den andern zu vertrauen, weil ihm das Leben mit dem Glauben an sich selbst zu schwer erschien; denn um im Vertrauen auf sich selbst zu leben, mußte er nicht an den Nutzen seiner eigenen selbstsüchtigen, nur für das Vergnügen sorgenden Person denken, sondern mußte fast immer im Gegenteil gegen die Interessen dieser Person handeln. Lebte er dagegen im Vertrauen auf die andern, so brauchte er gar keine eigenen Bestimmungen zu treffen, denn es war schon alles im voraus zu seinem Vorteile bestimmt. Außerdem setzte er sich, wenn er an sich glaubte, fortwährend der Mißbilligung der Menschen aus; vertraute er dagegen den andern, so durfte er gewiß sein, das Lob seiner Umgebung zu ernten.
Als sich Nechludoff mit der Wahrheit, der Bestimmung des Menschen, der Armut und dem Reichtum beschäftigte, nannte seine ganze Umgebung diese Beschäftigung unvernünftig und lächerlich; seine Mutter, seine Tanten nannten ihn mit milder Ironie »unsern lieben Philosophen«; las er dagegen Romane, erzählte er pikante Anekdoten, sprach er von dem neuesten Lustspiel im französischen Theater, dann fand ihn jeder reizend. Wenn er, um seine Bedürfnisse einzuschränken, ein Jacket vom vorigen Jahre trug oder keinen Wein trank, so warf ihm jeder vor, er isoliere sich und wolle aus Eitelkeit originell erscheinen; gab er aber für seine Vergnügungen mehr Geld aus, als er hatte, jagte er und veranstaltete Zechgelage, so billigte jeder sein Verhalten; und hatte er es sich in den Kopf gesetzt, sein Zimmer ganz besonders luxuriös auszustatten, dann beeilte sich jeder, ihm wertvolle Gegenstände zu schenken. Als Nechludoff das kleine, von seinem Vater ererbte Gut den Bauern geschenkt, weil er es für ungerecht hielt, Land zu besitzen, hatte sein Entschluß die ganze Familie erschreckt und ihm von seiten seiner Umgebung endlosen Spott und Vorwürfe eingebracht. Man hatte ihm fortwährend erzählt, seine Schenkung habe die Bauern arm, nicht aber reich gemacht, sie hätten im Dorfe drei Schenken errichtet und die Arbeit völlig im Stich gelassen. Als Nechludoff dagegen in die kaiserliche Garde eintrat, und im Verkehr mit der vornehmsten Gesellschaft so viel Geld auszugeben anfing, daß seine Mutter auf ihr Kapital hatte Vorschuß nehmen müssen, da hatte sich die alte Fürstin wohl ein bißchen geärgert, sich aber im Grunde ihres Herzens gefreut, weil sie es natürlich und richtig fand, daß sich ein junger Mensch austobe.
In der ersten Zeit hatte Nechludoff gegen diese Lebensweise gekämpft, doch der Kampf war ihm schwer geworden, weil alles, was er für gut hielt, als er an sich selbst glaubte, von den andern für schlecht und unvernünftig gehalten wurde, während umgekehrt alles, was ihm schlecht erschien, in den Augen seiner Umgebung als vortrefflich galt. So hatte Nechludoff schließlich nachgegeben; er hatte nicht mehr an sich selbst, sondern nur noch an die andern geglaubt. Zuerst war ihm dieser Verzicht auf sich selbst schwer geworden; doch dieser erste Eindruck hatte nicht lange gedauert; er hatte zu rauchen, zu trinken angefangen, und schließlich bei dem Gedanken, er brauche sich jetzt nur noch um das Urteil der andern zu kümmern, eine wahre Erleichterung empfunden.
Nun hatte sich Nechludoff mit seinem leidenschaftlichen Wesen dem neuen Leben, das seine Umgebung führte, vollständig überlassen, und die Stimme, die etwas anderes von ihm verlangte, ganz und gar unterdrückt. Diese Veränderung hatte bei seiner Ankunft in St. Petersburg begonnen und war bei seinem Eintritt in das Gardekorps vollzogen.
»Wir sind bereit, unser Leben zu opfern, und infolgedessen ist das sorglose und heitere Leben, das wir führen, nicht nur entschuldbar, sondern sogar unerläßlich. Also wären wir unsinnig, wollten wir ein anderes führen!«
So sagte sich Nechludoff unbewußt während dieser Lebensperiode und freute sich, daß, er sich von all' dem Zwang befreit, den er sich in seiner Jugend auferlegt. In diesem Zustande befand er sich, als er drei Jahre nach seiner ersten Begegnung mit Katuscha, gerade, als er in den Krieg gegen die Türken ziehen wollte, in das Haus seiner Tanten zurückkehrte.
Nechludoff hatte mehrere Gründe, sich bei seinen Tanten aufzuhalten. Erstens lag ihre Besitzung auf dem Wege zu seinem Regiment; dann hatten ihn die beiden alten Damen auch sehr gebeten, sie zu besuchen; vor allem aber hatte er Katuscha wiedersehen wollen.
Er kam in den letzten Tagen des März, am Charfreitag, bei Tauwetter, in strömendem Regen, so daß er sich ganz durchnäßt und aufgeweicht, dabei aber kräftig und guter Dinge, wie stets zu dieser Zeit seines Lebens, fühlte.
»Wenn sie nur noch da ist!« dachte er, als er in den mit Schnee geschmolzenen Hof trat und das alte ihm so wohlbekannte, aus Ziegeln erbaute Haus erkannte. »Wenn sie doch auf der Schwelle zu meinem Empfange erscheinen möchte!«
Auf der Schwelle erschienen zwei barfüßige Mägde, die Eimer herbeischleppten und augenscheinlich die Dielen scheuern wollten. Von Katuscha war keine Spur zu entdecken, und Nechludoff kam nur der alte Kammerdiener Tichon entgegen, der offenbar auch mit Reinemachen beschäftigt war, denn er hatte eine Schürze umgebunden. Im Salon wurde er von Sophie Iwanowna empfangen, die einen gelben Mantel und eine Haube trug.
»Wie nett, daß du gekommen bist!« sagte Sophie Iwanowna, ihn umarmend. »Marie ist etwas leidend; sie hat sich heut' morgen in der Kirche angestrengt; wir waren nämlich zur Beichte!«
»Guten Tag, Tante Sonja,« sagte Nechludoff, ihr die Hand küssend; »entschuldigen Sie, ich habe Sie ganz naß gemacht!«
»Kleide dich schnell in deinem Zimmer um. Du bist ganz durchgeweicht. Und du hast ja schon einen Schnurrbart . . . Katuscha, Katuscha! schnell! man soll Kaffee machen!«
»Gleich!« versetzte eine heitere Stimme vom Gange her, und Nechludoffs Herz schlug fröhlich. Das war sie! Sie war noch da! Und in demselben Augenblick zeigte sich die Sonne zwischen den Wolken.
Fröhlich folgte Nechludoff Tichon, der ihn in dasselbe Zimmer führte, das er früher bewohnt. Gern hätte er den alten Diener nach Katuscha ausgefragt, wie es ihr ginge, was sie treibe und ob sie schon verlobt wäre. Noch Tichon war gleichzeitig so ehrerbietig und würdevoll und wollte Nechludoff selbst das Wasser aus dem Kruge über die Hände gießen, daß dieser ihn nicht nach dem jungen Mädchen zu fragen wagte, und sich nur nach seinen Enkeln, dem alten Pferde und dem Wachhunde Polkan erkundigte. Alle waren noch am Leben und wohlauf, bis auf Polkan, der im vorigen Jahre von der Tollwut befallen worden war.
Nechludoff zog sich gerade um, als er einen leichten Schritt auf dem Gange vernahm und es an die Thür klopfte. Nechludoff erkannte den Schritt und das Klopfen, nur sie ging und klopfte so! Schnell warf er seinen