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zum Gabeneinsammeln durch die Menge schritt, an Katuscha vorüber und streifte sie, ohne sie zu sehen, mit seiner Stola. Doch Nechludoff sah bestürzt, daß dieser Meßner nicht begriff, daß alles, was in der Kirche, was in der Welt geschah, nur für Katuscha geschah, daß sie allein nicht unbemerkt bleiben durfte, daß sie der Mittelpunkt des Weltalls war. Für sie glänzte das Gold des Heiligenbildes, für sie brannten die Kerzen des Kronleuchters, für sie erhoben sich diese fröhlichen Gesänge: »Freut euch, ihr Menschen!« Alles Gute und Schöne auf Erden war nur für sie bestimmt; und Katuscha mußte das zweifellos auch begreifen. Das empfand Nechludoff, als er die anmutigen Formen des jungen Mädchens in dem weißen Kleide und dies von ernster Freude verklärte Gesicht erblickte, dessen Ausdruck ihm verriet, daß es in ihr ebenso jubelte, wie in ihm.

      Schon war die Nacht heller geworden, doch die Sonne zeigte sich noch nicht. Die Menge, die die Kirche verließ, strömte über den Hof, doch Katuscha erschien noch immer nicht und Nechludoff blieb stehen, um sie zu erwarten.

      Noch immer strömte das Volk heraus; die Fliesen dröhnten unter den genagelten Schuhen. Ein Greis mit wackelndem Kopfe, der alte Koch Maria Iwanownas, hielt Nechludoff auf und küßte ihn dreimal; dann reichte ihm seine Frau, ein altes, ganz runzliges Weib, ein bemaltes Ei in gelbem Safran. Hinter ihm erschien lächelnd ein kräftiger, junger Muschik, der eine neue Jacke mit grünem Gürtel trug.

      »Christ ist erstanden!« sagte er mit gutmütigem Lächeln, schlang seine Arme um Nechludoffs Hals und küßte ihn dreimal auf den Mund. Während dieser ein braunbemaltes Ei von dem Muschik, der ihn umarmt, erhielt, sah er das bunte Kleid der Matrena Pawlowna aus der Kirche treten und hinter diesem erschien der liebe, kleine Schwarzkopf mit der roten Schleife.

      Katuscha bemerkte ihn sofort, und er sah, daß sie von neuem errötete.

      In der Vorhalle blieb sie stehen, um den Bettlern Almosen zu spenden. Einer der Bettler, ein Unglücklicher, der an der Stelle der Nase eine große, rote Wunde hatte, näherte sich ihr. Sie holte etwas aus ihrem Kleide, trat ohne den geringsten Widerwillen auf ihn zu und küßte ihn dreimal. Während dessen kreuzten sich ihre Augen mit denen Nechludoffs, als wollten sie fragen: »Thue ich recht?« – »Ja, gewiß, Geliebte, alles ist gut und schön; ich liebe dich!«

      Die beiden Frauen gingen die Stufen hinunter, und Nechludoff eilte ihnen entgegen. Er hatte nicht die Absicht, ihnen frohes Fest zu wünschen, konnte aber nicht umhin, sich Katuscha zu nähern.

      »Christ ist erstanden!« sagte Matrena Pawlowna lächelnd; dann wischte sie sich mit ihrem Taschentuch den Mund und hielt dem jungen Mann ihre Wange hin.

      »Er ist in Wahrheit erstanden !« versetzte Nechludoff und küßte sie. Dann warf er einen Blick auf Katuscha, die wieder rot wurde und auf ihn zutrat.

      »Christ ist erstanden, Dimitri Iwanowitsch!« sprach sie.

      »Er ist in Wahrheit erstanden!« entgegnete er. Sie küßten sich zweimal und hielten inne; dann küßten sie sich lächelnd zum drittenmal.

      »Sie gehen nicht zum Priester?« fragte Nechludoff.

      »Nein, wir wollen hier warten, Dimitri Iwanowitsch,« versetzte sie, mühsam sprechend.

      Ihre Brust hob sich im Fieber, und fortwährend sah sie ihn mit ihren schüchternen, unschuldigen und zärtlichen Augen an.

      In der Liebe zwischen Mann und Weib giebt es stets eine Minute, wo diese Liebe ihren höchsten Grad erreicht und nichts Sinnliches oder Ueberlegtes kennt. Diese Minute hatte Nechludoff in dieser Osternacht kennen gelernt. Jetzt, da er im Geschworenenzimmer saß, versuchte er sich an alle Umstände zu erinnern, unter denen er Katuscha gesehen und diese Minute, die wieder vor ihm erstand, löschte alles übrige aus! Ach, wäre er doch bei dem Gefühl geblieben, das er in jener Osternacht empfand.

      »Ja, alles, was sich Schreckliches zwischen uns abgespielt, ist erst nach dieser Osternacht gekommen!« dachte er, als er im Geschworenenzimmer am Fenster saß.

      Als Nechludoff aus der Kirche kam, speiste er mit seinen Tanten. Um sich von seiner Abspannung zu erholen, trank er, wie er es im Regiment gewöhnt war, mehrere Gläser Wein und Schnaps. Dann ging er wieder in sein Zimmer, streckte sich, ohne sich auszuziehen, auf seinem Bett aus und schlief sofort ein. Es klopfte an die Thür, und er erwachte. An der Art des Klopfens erkannte er, daß sie es war. Er sprang vom Bett und rief, sich die Augen reibend:

      »Katuscha, bist du's? Komm herein!«

      Sie öffnete die Thür und sagte:

      »Man ruft Sie zum Frühstück!«

      Sie trug dasselbe weiße Kleid, aber ohne die Schleife in den Haaren. Sie sah ihm in die Augen und ihr Gesicht strahlte, als wenn sie ihm etwas Außerordentliches und Fröhliches mitgeteilt hätte.

      »Ich komme gleich,« versetzte er.

      Sie blieb noch eine Minute, ohne etwas zu sagen, und plötzlich stürzte Nechludoff auf sie zu. Noch in demselben Augenblick drehte sie sich schnell um und entfloh auf den Korridor.

      »Wie dumm von mir, daß ich sie nicht zurückgehalten habe!« sagte sich Nechludoff und verließ das Zimmer, um sie einzuholen.

      »Halt! Katuscha!« rief er ihr zu, und sie drehte sich um.

      »Was giebt's?« fragte sie, und hörte auf zu lächeln.

      »Nichts giebt es, aber...«

      Er beherrschte sich, überlegte sich, wie sich alle Männer seiner Gesellschaftsklasse benehmen würden, und faßte sie um die Taille.

      Sie blieb stehen und sagte, ihm in die Augen sehend, blutrot und dem Weinen nahe:

      »Das ist nicht recht, Dimitri Iwanowitsch; das ist nicht recht!«

      Dann schob sie den Arm, der sie umschlungen hielt, mit ihren kleinen, kräftigen Händen zurück.

      Nechludoff ließ sie los. Er hatte plötzlich eine Empfindung nicht nur der Scham und des Unbehagens, sondern auch des Widerwillens gegen sich selbst. In diesem Moment hätte er an sich glauben können, doch er begriff nicht, daß diese Scham und dieser Widerwille der Ausdruck seiner Seele waren; er bildete sich vielmehr ein, seine Dummheit spräche aus ihm, und es wäre seine Pflicht, wie jeder andere zu handeln.

      Von neuem verfolgte er Katuscha, faßte sie um die Taille und drückte ihr einen Kuß auf den Hals.

      Dieser Kuß hatte mit denen, die er ihr früher gegeben, nichts gemein; sein jetziger Kuß hatte etwas Schreckliches, und das fühlte sie auch.

      »Was thun Sie?« rief sie mit entsetzter Stimme, riß sich los und entfloh, so schnell sie konnte.

      Nechludoff begab sich in das Eßzimmer. Seine Tanten saßen in großer Toilette mit dem Arzt und einer Nachbarin bereits bei Tische. Alles ging wie sonst

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