Verborgener Ruhm. Dietmar Grieser

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Verborgener Ruhm - Dietmar Grieser

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Extremsportarten wie Skispringen und – beginnt zu schreiben.

      Zunächst sind es Reiseaufzeichnungen, die in anspruchsvollen literarischen Zeitschriften abgedruckt werden, es folgen die schon erwähnten Übersetzungen von Prentice Mulford, schließlich die ersten eigenen Bücher unter dem originellen Pseudonym Sir Galahad. Inzwischen von Friedrich Eckstein geschieden, steht die nach wie vor gertenschlanke junge Frau auch finanziell auf eigenen Beinen: Seit dem Tod ihres Vaters kann sie über ein beträchtliches Erbvermögen verfügen.

      Am 20. Dezember 1910 wird Bertha ein zweites Mal Mutter: Von Theodor Beer, dessen junge Frau sich nach einem Sittlichkeitsskandal und darauffolgender Verurteilung ihres Mannes umgebracht hat, zu einem Besuch am Genfersee eingeladen, flammt die alte Leidenschaft zwischen den beiden Exzentrikern nochmals auf: Bertha wird schwanger. Doch das einzige, was ihr aus dieser, von Theodor Beer abrupt abgebrochenen Beziehung bleibt, ist Sohn Roger, der seine Mutter allerdings erst als Sechsundzwanzigjähriger kennenlernen wird: Der heimlich in Berlin Geborene wird von Pflegeeltern aufgezogen. Sie selber, in dieser wirren Zeit des Herumirrens übrigens von Oskar Kokoschka porträtiert, läßt sich fortan in München nieder, und hier entstehen Zug um Zug die Bücher, die sie berühmt machen werden, allen voran ihr kulturgeschichtliches Standardwerk »Mütter und Amazonen«.

      Einen verständnisvollen Freund findet sie in dem drei Jahre jüngeren, so wie sie aus Wien stammenden und seit 1917 in Meran lebenden Schriftsteller und Zeichner Fritz von Herzmanovsky-Orlando, mit dem sie in ständigem Briefwechsel steht und mit dem sie vor allem die Neigung zu den »Geheimwissenschaften« teilt, für die ihr einst Ehegatte Friedrich Eckstein die Augen geöffnet hat.

      Der Zusammenbruch des alten Österreich verlangt auch Bertha Eckstein alias Sir Galahad Opfer ab: Das ererbte Familienvermögen löst sich 1919 in nichts auf, und da das Leben zu dieser Zeit in der Schweiz billiger ist als in Deutschland, übersiedelt die mittlerweile Fünfundvierzigjährige in die Gegend um Montreux, ehe sie sich endgültig – bis zu ihrem Tod am 20. Februar 1948 – in Genf niederläßt. 1936 erscheint ihr Byzanz-Buch »Von Kaisern, Engeln und Eunuchen«, 1938 ihr Kreuzfahrer-Roman »Bohemund«, 1940 ihre Kulturgeschichte der Seide. 1943 verabschiedet sich Sir Galahad von ihren Lesern mit dem Richard-Wagner-Roman »Der glückliche Hügel«. Zu der geplanten Übersiedlung nach Rom kommt es nicht mehr, und was das Manuskript ihrer Kulturgeschichte Englands betrifft, an dem sie in ihren letzten Lebensjahren arbeitet, so reicht es gerade noch für einen Vortrag, den sie im Mai 1946 vor dem Baseler PEN-Club hält: »Die auserwählte Insel«.

      Über ihren Abgang von dieser Welt berichtet René Freund in seinem Bertha-Eckstein-Porträt, indem er ein für diese so ungewöhnliche Frau bezeichnendes Detail wiedergibt: »Ein letzter, mit ›Sir Galahad‹ unterfertigter Brief forderte vor der Einäscherung einen ›Lanzettstich ins Herz‹. Ein Pfeil ins Herz – eine Maßnahme gegen den Scheintod. Aber auch der angemessene Tod für eine Amazone.«

      »Ich war Königin am Nil …«

       Die Weltbürgerin Djavidan Hanum geb. May Gräfin Török von Szendrö

      Das Zeitalter der »Grandes Dames« ist endgültig vorbei, der Stoff für die atemberaubenden Stories von den mondänen Salondamen, die zugleich über ein hohes Maß an Bildung verfügen, wird knapper und knapper. Wo das Auge hinblickt, macht sich lähmende Nivellierung breit.

      Eine der letzten, die noch das Prädikat »Dame von Welt« verdienen, ist Djavidan Hanum. Auf dem Sankt-Leonhard-Friedhof in Graz befindet sich ihr Grab, und am Hausportal ihrer letzten Wohnstätte, Wittekweg 7, kündet eine Gedenktafel von ihrem extravaganten Leben. Wer sich aufmacht, den Spuren der 1968 Verstorbenen zu folgen, muß allerdings tiefer schürfen: Die nüchterne Formulierung »Sie schrieb und musizierte, sie komponierte und malte« gibt nichts von der abenteuerreichen Vita dieser Weltbürgerin wieder, die 17 Jahre vor ihrem Tod mit der Veröffentlichung ihrer Memoiren Aufsehen erregt: mit dem 1951 in der »Münchner Illustrierten« erschienenen Fortsetzungsbericht »Ich war Königin am Nil«.

      Ja, das war sie, und sie war noch vieles mehr – diese um 1877 als May Gräfin Török von Szendrö in Philadelphia Geborene. Es lohnt sich also, dieses einzigartige Schicksal der Vergessenheit zu entreißen, das von höchstem Aufstieg wie von tiefster Enttäuschung geprägt ist, von leidenschaftlichen Amouren und künstlerischen Spitzenleistungen, vom Glanz des alten Österreich und vom geheimnisvollen Zauber à la Tausendundeine Nacht.

      Sie ist ein Kind der Donaumonarchie. Der ungarische Magnat Joseph Graf Török von Szendrö ist ihr Vater, Sophie Gräfin Vetter von der Lilie ihre Mutter. Doch die Ehe der Eltern geht auseinander: Gräfin Sophie verliebt sich während einer Amerikareise in den aus Pest stammenden und in jungen Jahren in die USA ausgewanderten Industriellen Theodor Puskas von Ditro. Herr über Silberminen, Goldbergwerke und Erdölfelder, zählt Puskas seit kurzem zu den engsten Mitarbeitern des Erfinders Thomas Alva Edison und zieht in dessen Auftrag durch die Lande, um der neuesten Errungenschaft der Kommunikationstechnik zum Durchbruch zu verhelfen: Gleichermaßen begnadeter Techniker wie erfolgreicher Geschäftsmann, errichtet er in zahlreichen Städten Telefonzentralen. Als er an der Seite seiner Lebensgefährtin nach Europa zurückkehrt, diese 1882 in England heiratet und wenig später Edisons Erfindung auch auf der Pariser Weltausstellung präsentiert, ist es Kleinkind May, dem die Ehre widerfährt, im US-Pavillon auf den Knopf zu drücken und die Telefonleitung in Gang zu setzen.

      Als Europa-Emissär des großen Edison setzt Puskas nun seine Pionierarbeit in der Alten Welt fort, man logiert in den Luxushotels der diversen Metropolen, und wenn man des ständigen Herumreisens müde ist, zieht sich die junge Familie auf ihren österreichischen Besitz zurück: Schloß Waasen in der Steiermark.

      May, von ihren Eltern betont frei erzogen und ungetauft, um über ihre spätere Religionswahl selbständig entscheiden zu können, ist dreizehn, als sie eines Tages ohne jede Begleitung in den Zug nach Wien steigt, um ihren Bruder wiederzusehen, der in der Reichshaupt- und Residenzstadt das Theresianum besucht. In der berühmten Adelsschule wimmelt es von Prominentensprößlingen: Zu den Klassenkameraden des jungen Török zählen unter anderem die Söhne des Schahs von Persien, eines indischen Maharadschas und des Vizekönigs von Ägypten. Besonders letzterem, dem 16 Jahre alten Prinzen Abbas Hilmi, gilt seine ganze Bewunderung: Der junge Mann verfügt über einen eigenen Trakt in dem hochvornehmen Institut an der Favoritenstraße; zu seinem Gefolge zählen ein arabischer Scheich, ein türkischer Privatlehrer, ein eigener Sekretär und ein Diener.

      Als May im Theresianum eintrifft und der Bruder ihr entgegeneilt, um die Dreizehnjährige zu ihrem Gästezimmer zu begleiten, ist Prinz Abbas Hilmi gerade im Begriff, den Zweispänner zu besteigen, der für eine seiner täglichen Ausfahrten bereitsteht: Man wird einander vorgestellt. Das bezaubernde Lächeln, mit dem der Araberprinz die blutjunge Besucherin willkommen heißt, geht Backfisch May durch Mark und Bein, und das gleiche Spiel wiederholt sich, als man einander tags darauf bei dem in den Festsälen des Theresianums veranstalteten Abschlußball ein weiteres Mal begegnet und May von dem in seiner Galauniform noch eleganter Auftretenden zum Walzertanz aufgefordert wird. Auch, als das frühreife Persönchen längst wieder ins elterliche Schloß in der Steiermark heimgekehrt ist, erkundigt sie sich bei ihrem Bruder nach dessen charmantem Klassenkameraden und erfährt so, daß der Bedauernswerte sein Studium in Wien abgebrochen und die Heimreise nach Ägypten angetreten hat: Sein Vater ist gestorben, und Prinz Abbas Hilmi muß von einem Tag auf den anderen den Thron besteigen.

      Zehn Jahre verstreichen. May, nun eine blühende Schönheit von dreiundzwanzig, weilt zu Besuch in Paris. Und welch seltsame Fügung: Sie und Abbas Hilmi, der sich zur selben Zeit in der französischen Hauptstadt aufhält, laufen einander per Zufall in die Arme. Jahrzehnte später, in ihren Lebenserinnerungen, wird sie die schicksalhafte Wiederbegegnung im Detail schildern:

       »Ich kam vom Blumenmarkt an der Madeleine, den Arm voll Rosen,

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