Verborgener Ruhm. Dietmar Grieser

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Verborgener Ruhm - Dietmar Grieser

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reifer und ernster geworden, aber die graublauen Augen hatten das gleiche unbeschreibliche Leuchten, als strahlte aus ihnen die ganze Sonne Ägyptens. Vor Verwirrung ließ ich meine Rosen fallen, und wir mußten beide lächeln. Das erste Wort, das er zu mir sprach, war: ›In Ägypten sind die Rosen noch viel schöner.‹ Wir setzten uns in eine stille Ecke, und er erzählte mir, wie anders sein Leben geworden sei, seit wir uns in Wien gesehen hatten – der Tod seines Vaters, die große Verantwortung für das Glück seines Landes, die schwierigen politischen Verhältnisse zwischen den Großmächten. Dann schwieg er einen Augenblick und sagte schließlich ganz leise: ›Ich glaube, Sie würden mir Glück bringen.‹ Die Tage, die er noch in Paris blieb, waren im offiziellen Programm nicht vorgesehen, aber sie entschieden über mein Leben. Aus dem Sonderzug, der ihn nach Triest brachte, schrieb er mir drei Briefe, die er an den verschiedenen Stationen zum Erstaunen seines Gefolges selbst in den Briefkasten warf. Im letzten stand: ›Bezauberin, Du wirst kommen, und wir werden glücklich sein.‹«

      May Török von Szendrö, kaum heimgekehrt auf den elterlichen Besitz in der Steiermark, nimmt Abschied von Schloß Waasen und tritt die Reise nach Nordafrika an. Da ihr künftiger Gemahl seit fünf Jahren mit einer anderen, der ägyptischen Prinzessin Ikbal Hanum, verheiratet ist und Abbas Hilmis Mutter einer Ehe mit einer nichtmuslimischen Europäerin ihre Zustimmung verweigert, ist nur eine heimliche Trauung möglich, der erst Jahre später, als May nach intensivem Studium des Islam den neuen Glauben annimmt, auch die offizielle folgen wird. Unter dem neuen Namen Zubeida Hanum nun also die Zweitfrau des Khediven und Prinzessin, lebt sich die Mittzwanzigerin in die Sitten und Gebräuche des Haremalltags ein, versucht, ihrem »Gebieter« eine gute Gesponsin zu sein, lernt mit den Intrigen des Hofstaates fertigzuwerden, hält den Freiheitswillen der im Grunde emanzipierten Intellektuellen im Zaum und kann dennoch das Scheitern ihrer Ehe nicht aufhalten. Als der Khedive, statt sich mit ihr persönlich auszusprechen, den Beschuldigungen einer böswilligen Verleumderin Glauben schenkt, ist für Zubeida Hanum der Zeitpunkt gekommen, die Trennung von ihrem Mann einzuleiten und nach Europa zurückzukehren.

      Nun also wieder in Österreich, eröffnet die einvernehmlich Geschiedene in Wien einen Schönheitssalon und beginnt, auch was ihren Umgang mit dem anderen Geschlecht betrifft, ein neues, ein drittes Leben. Schon als Kind hochmusikalisch, nimmt sie bei dem berühmten Pianisten, Komponisten und Frauenhelden Eugen d’Albert Klavierunterricht, in einem der Wiener Literatencafés lernt sie den Schriftsteller Otto Kaus kennen, auch der Zeichner Olaf Gulbransson, die spätere Hermann-Broch-Gefährtin Ea von Allesch sowie das Ehepaar Gerhart und Margarethe Hauptmann zählen zu ihrem Freundeskreis, und der Dichter Robert Musil macht die nunmehr unter dem Namen Djavidan Hanum ins Wiener Gesellschaftstreiben Eintauchende, ohne sie freilich persönlich zu kennen, sogar zur literarischen Figur, indem er sie sowohl in seinem Theaterstück »Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer« als auch in seinem Roman »Der Mann ohne Eigenschaften« – wenn auch sorgsam verschlüsselt – verewigt.

      Während ihr Exgatte, am 19. Dezember 1918 von den britischen Protektoratsherren entmachtet und seiner Thronrechte beraubt, in die Schweiz emigriert und als Bankier in Genf ein neues Leben beginnt, faßt Djavidan Hanum in Berlin Fuß, kommt mit der dortigen Filmindustrie in Berührung, arbeitet für die UFA und macht sich vor allem daran, ihre Erinnerungen an die Jahre an der Seite des Vizekönigs von Ägypten zu Papier zu bringen. Unter dem Titel »Harem« veröffentlicht der Berliner Verlag für Kulturpolitik 1930 ihr brisantes Memoirenwerk, dem später noch die Novellensammlung »Gülzar, der Rosengarten«, ein Lyrikband, eine Reihe von Hörspielen, ja sogar eine eigene Orchesterkomposition folgen werden.

      Mit dem aus der Sowjetunion geflohenen ehemaligen zaristischen Offizier Simon Kulatschkoff, der, nunmehr Schauspieler und Sänger, ihr ständiger Begleiter ist, übersiedelt die fünfzehn Jahre Ältere 1936 nach Wien. Das Kriegsende, das mit dem Vorrücken der Roten Armee für einen russischen Emigranten nichts Gutes verheißt, erleben Djavidan und Simon im fernen Innsbruck. Kulatschkoff tritt einen Posten in der Industrie an, Djavidan arbeitet als Dolmetscherin für die französische Besatzung.

      Ihr Versuch, eines Tages die alten Verbindungen in Paris wiederaufleben zu lassen, endet tragisch: Als Djavidan während eines nostalgischen Spaziergangs vor dem Haus, in dem sie seinerzeit mit dem Khediven glückliche Stunden verbracht hat, ohnmächtig zusammenbricht, tritt bei der Überprüfung der Papiere durch die Pariser Polizei zutage, daß dies arme Häufchen Elend vorzeiten die Gemahlin eines regierenden Monarchen gewesen ist.

      Die Heiratsanträge, die ihr daraufhin – die Presse berichtet über den Vorfall ausführlich – ins Haus flattern, schmeicheln zwar der alten Dame, können sie jedoch nicht in der Treue zu ihrem Lebensgefährten Simon Kulatschkoff beirren. Das aus England eintreffende Angebot, sich zu Probeaufnahmen für den geplanten Film »Queen for a Day« einzufinden, scheitert an der Weigerung ihres »erhabenen Vetters«, König Georges VI., der Hilfesuchenden zu einem Visum zu verhelfen. Bleibt also zur Sanierung ihrer Finanzen nur die Möglichkeit, einer großen deutschen Illustrierten ihre Memoiren zu verkaufen und im übrigen zu ihrem Cousin, Freiherrn Heinrich von Hammer-Purgstall, in die Steiermark zu ziehen, wo sie und ihr Gefährte fortan in Schloß Hainfeld bei Feldbach logieren.

      Hier entdeckt Djavidan Hanum ein letztes, in ihr schlummerndes Talent: Sie beginnt zu malen, und tatsächlich hat sie mit den berauschenden orientalischen Motiven ihrer rund 200 Bilder Erfolg, kann sogar eine Auswahl der besten in Wien, Graz und Amsterdam ausstellen. Von dem Erlös aus dem Verkauf eines Schloßbesitzes, den sie sich allerdings mit 35 weiteren Erben teilen muß, kann sie zwei kleine Eigentumswohnungen in Graz erwerben, wovon eine Simon Kulatschkoff und die andere sie selber bezieht. Bei ihrer Übersiedlung nach Graz eine Frau von siebenundsiebzig, bleibt die von Natur aus Rastlose auch jetzt nicht untätig, sondern malt weiter ihre Bilder, und ihre Hausnachbarn, von denen die wenigsten wissen, welch abenteuerreiches Leben die imposante alte Dame hinter sich hat, wissen deren freundliches Wesen so sehr zu schätzen, daß sie ihr nicht einmal ihr temperamentvolles nächtliches Musizieren verübeln. Sieben Wochen nach ihrem 91. Geburtstag stirbt Djavidan Hanum und wird auf dem Friedhof von Graz-Sankt-Leonhard beigesetzt.

      Von Beethoven zu Gandhi und wieder zu Beethoven

       Die Philanthropin Mirabehn

      Am 21. September 2002 veranstalteten die niederösterreichische Marktgemeinde Sieghartskirchen und ein Kulturverein mit dem sonderbaren Namen Mirabehn ein Friedensfest, bei dem gesungen und getanzt, musiziert und rezitiert, eine eigene CD präsentiert sowie ein Film vorgeführt wurde, dessen Titel »Bäume umarmen« dem uneingeweihten Besucher erst recht Rätsel aufgab. Der Programmzettel der von heimischen Künstlern unter Einschluß der örtlichen Schuljugend bestrittenen Darbietungen zeigte das Porträt einer Frau in mittleren Jahren, die, umgeben von üppigem Blattwerk, auf dem bloßen Rasen sitzend, in einen weißen Sari gehüllt war und eine Art Wanderstab in der Hand hielt. Ihr offener Blick und ihr sanftes Lächeln ließen auf ein freundliches Wesen schließen, ihre harmonischen Gesichtszüge auf Klugheit und Güte.

      Näheren Aufschluß gab der Begleittext: Mirabehn, so konnte man da lesen, sei »eine enge Mitarbeiterin von Mahatma Gandhi« gewesen, die sich »zeitlebens für Frieden und Umweltschutz eingesetzt« habe, und auch auf die Frage, wieso denn der 20. Todestag dieser Frau ausgerechnet in dem kleinen Ort an den Ausläufern des Tullnerfeldes begangen wurde, erhielt der Besucher Auskunft: »Sie verbrachte ihren Lebensabend in Österreich und starb am 20. Juli 1982 in Kracking, einer Katastralgemeinde von Sieghartskirchen.«

      Posthume Ehrung einer Zuzüglerin, die ihrer Wahlheimat wertvolle Dienste geleistet hatte und dadurch der örtlichen Bevölkerung ans Herz gewachsen war?

      Am 22. November 1892 kommt sie in der südost-englischen Grafschaft Surrey zur Welt. Reigate heißt der Geburtsort, Vater Sir Edmond Slade ist Admiral der britischen Kriegsmarine. Ihre Kindheit verbringt Madeleine – so ihr Rufname – auf dem Gut des Großvaters in der nahen Kleinstadt Dorking, die für ihre mustergültigen Hühnerfarmen

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