Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule. Группа авторов

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Tourismusforschung hat herausgefunden, dass sich Touristen von der Fremde vor allem eines wünschen: dass sie nicht allzu fremd sei. Um diesem Bedürfnis zu entsprechen, hat die Tourismusbranche an vielen Orten die Fremde so eingerichtet, dass sich der Urlauber möglichst wie zuhause fühlt. Die deutsche Currywurst auf - Mallorca, die Schweizer Fonduestube in Guatemala oder ein indisches Hotel in Engelberg sind nur einige Beispiele dafür.

      Die Nacht in Bombay ist kurz. Nach nur vier Stunden Schlaf reise ich weiter im Flugzeug. Mein Ziel: Goa. Dort angekommen, nehme ich ein Taxi nach Vagator, einem kleinen Ort in Nord-Goa, «wo sich die Freaks und Travellers treffen», wie es im Reiseführer heisst. Vorbei an etlichen Restaurants und Guesthouses, fahre ich erst mal an den Strand. Die Strassen sind leer.

      Im «Mahalaxmi», dem einzigen Restaurant am Meer, treffe ich auf Travellers. Verschlafen nippen sie am Chai, ihrem Morgentee, rauchen einheimische Zigaretten und tauschen Reisegeschichten aus. Man erzählt, woher man kommt und wohin man noch gehen will. Als ich sie frage, warum sie eigentlich unterwegs sind, werden sie schlagartig wach. «One word: freedom», ruft ein Typ namens Nicolas. Er ist 29, Schauspieler, stammt aus Paris und ist eingekleidet, wie es sich für den richtigen Traveller hier gehört: in flatternde, staubige Stoffhosen, ein rot-weiss gefärbtes Batik-T-Shirt und das passende Stirnband. Was Freiheit denn bedeute, fragt ihn Yinon aus Israel. Nicolas: «Keine Verwandten und Bekannten um mich herum zu haben, nicht ständig ans Geld denken zu müssen. Und dass alles offen bleibt.»

      Flucht in die Freiheit. «Eine vergebliche Flucht aus den Zwängen der Gesellschaft» nennt Hans Magnus Enzensberger das Reisen in seiner Theorie des Tourismus. Und führt weiter aus: In die vermeintliche Freiheit müsse nur jener flüchten, der sich zuhause nicht frei fühle. Oder anders gesagt: Der freie Mensch reist nicht. Aber wie frei der Mensch daheim auch ist – will er nicht nur die Alltagsabenteuer erleben, muss er raus.

      Unterwegssein heisst: vieles dem Zufall zu überlassen. Man darf Risiken eingehen, denn auf Reisen fühlt man sich nur sich selbst verantwortlich. Unannehmlichkeiten und Ausnahmesituationen, die bewältigt werden müssen, verströmen den Geruch des Abenteuers. Und sie sind als Lebenserfahrungen, als Lernfelder zur Entwicklung von Lösungsstrategien, wichtig. Wenn Freunde von ihrer Reise, ihrem Urlaub erzählen, hört man meistens von den Widrigkeiten, von gefährlichen Situationen, die sie erlebt haben. Der Schriftsteller Paul Theroux beschreibt die Erwartungen an seine Reise durch Südamerika so: «Und wenn ich grosses Glück hätte, würde mir etwas Schreckliches widerfahren.»

      Eine entsprechende Geschichte hat Nicolas auf Lager. Der junge Franzose erzählt, wie er sich vor drei Wochen in Nepal alleine mit der billigsten Landkarte im Gepäck auf eine Wanderung begeben habe. Zwei Tage lang sei er über die Hügel und durch die Wälder Nepals getrekkt – und dann habe er nicht mehr die geringste Ahnung gehabt, wo er sei. «Keine Siedlung, keine Leute weit und breit!» Er sei schliesslich auf einen alten Bauern gestossen, der ihn in die nächste Ortschaft gebracht habe. Ein breites Grinsen und funkelnde Augen verraten Nicolas’ Stolz.

      Mittlerweile weicht die kühle Morgenluft einer warmen Brise, und statt Chai trinken wir jetzt Fresh Lemon Soda: frisch gepressten Limettensaft mit Mineralwasser. Esther, eine 36-jährige Designerin aus London, bringt den meistgenannten Grund für die Reiselust auf den Tisch. In London sei alles sehr geschäftig. Immer busy, busy, busy – stete Stimulation. «Hier in Indien lerne ich die Kontrolle abzugeben, ‹just to let it flow› – es einfach fliessen zu lassen.»

      Ferien vom Ich. Reisen, um dem Alltag zu entfliehen. Um Stress und Hektik hinter sich zu lassen, um vom sozialen Umfeld, der Arbeit, den Erwartungen und Verantwortungen wegzukommen. Jochen K. Schütze schreibt im Buch Gefährliche Geographie: «Die Reise ist eine besondere Zeit des Aufschubs und der Verantwortungslosigkeit. Für die Dauer einer Reise ist das Subjekt niemandem rechenschaftspflichtig, es bricht den Alltag ab und lässt allen Anstand hinter sich.» In der Fremde ist man anonym, man darf die Sau rauslassen, sich aus dem eigenen «Ich» pellen und in Rollen schlüpfen, die zuhause nicht möglich wären. Im Urlaub bietet sich die Möglichkeit, aus der Alltagsmonotonie auszubrechen.

      Mein Glas mit Lime Soda ist leer. Mittagszeit: Die Sonne brennt, langsam tauchen immer mehr Leute am Strand auf und ziehen vorbei. Ich folge ihnen. Vorbei am Hauptstrand, wo sich Massen von indischen Tagesausflüglern tummeln, laufe ich einen halben Kilometer weiter südlich. Hier liegen die westlichen Travellers und die Freaks, die mir im Reisehandbuch versprochen wurden. Ganzkörper-Tätowierungen, Rasta-Frisuren, Piercings, Tangaslips und Kahlköpfe reihen sich aneinander.

      In einem Beach Shack, einer Hütte aus Bambusrohren und Palmblättern, schaue ich bei einem scharfen Fischcurry dem Treiben zu. Momentan sei es noch ruhig, sagt man mir. Ab Dezember kriege man nur noch mit Glück einen Platz am Strand. Trotzdem finde ich meine Ruhe nicht. Denn fast pausenlos wird man von jungen indischen Mädchen belagert. Strandverkäuferinnen, die einem Zöpfchen ins Haar flechten, Henna-Tattoos zeichnen oder ihren Schmuck verkaufen wollen. «Hello …, how’s your name …, where are you from …, wanna see my jewellery?»

      Ich flüchte vor den Belästigungen aus der Strandhütte und gehe wieder den Strand entlang zurück – mit einem Henna-Tattoo auf dem Arm. Nebst den Touristen trifft man immer wieder Kühe, die für die Hindus heilig sind. Gemütlich liegen sie im Sand und gönnen sich ein Sonnenbad. Kurz vor dem Hauptstrand treffe ich ein junges indisches Paar, Sumita und Falguni. Die beiden sind innert zwei Tagen von Kalkutta per Zug und Bus angereist. Es sei ihre Hochzeitsreise, erzählt mir Sumita. «Wir haben viel über Goa und seine Strände gehört. Sun, sand and sea, darum sind wir hier.»

      Sun, fun, and … Ein deutsches Freizeitforschungsinstitut hat die Gründe der Reiselust erfragt. Oft genannt wurde von den Touristen eben der Wunsch nach Sonne, Wärme und viel Natur. Triviale Bedürfnisse, aber für jemanden wie mich, der eben erst aus der kalten, nebligen Schweiz kam, nur zu verständlich.

      «Nine» heisst die Bar, wo sich die Insider aus Vagator und Umgebung zum Sonnenuntergang und gemeinsamen Chillum-Rauchen treffen. Die Open-Air-Bar liegt auf einer von Palmen bewachsenen Anhöhe über dem Strand. Ein idealer Ort, um in die immer oranger werdende Sonne zu sinnieren und sich vom allabendlichen kühlen Wind erfrischen zu lassen, mit dem obligaten Goa Trance Sound im Nacken. Dieser Technostil wurde hier Mitte der 1980er-Jahre entwickelt und ist seit Längerem auch in Europa populär.

      Es wird nicht viel geredet. Ist die Sonne im Dunst verschwunden, schliessen sich viele Augen, und die Körper wiegen im Takt der Musik. Wüsste man es nicht besser, könnte man meinen, an einer Gruppenmeditation teilzunehmen. Packt einen der Hunger, geht man am späteren Abend beispielsweise ein Chicken Tandoori im «Chinese Garden» essen. Natürlich mit Goa Trance im Hintergrund.

      Gegen elf Uhr folgt dann der Gang in die «Primrose Bar», den endgültigen Party-Spot von Nord-Goa. Die Stühle im Garten und unter dem Vordach sind alle schon besetzt. Nur die Tanzfläche ist noch leer. Der DJ aus Frankreich gibt sich alle Mühe, mit seinen Mini-Discs die Gäste aus ihrer Lethargie zu rütteln. Mit welchem Sound wohl? Ich kann noch einen wackelnden Plastikstuhl ergattern und setze mich zu drei Frauen aus Deutschland. Die 20-jährige Nadine stammt aus Rheinfelden und ist eben aus Nordindien angekommen. «Ich habe gerade das Abi hinter mir und dachte, dass ich nun lange genug an einem Ort angebunden war.» Sie will noch acht Monate lang weiterreisen. Welches ihr nächstes Ziel sein wird, weiss sie nicht. Vielleicht Vietnam, Nepal? «Ist egal.»

      Ziellos in die Ferne. «Wohin reitest du, Herr? Ich weiss es nicht, sagte ich, nur weg von hier … nur so kann ich mein Ziel erreichen. – Du kennst also dein Ziel?, fragte er. Ja, antwortete ich, ich sagte es doch: Weg-von-hier, das ist mein Ziel.» So schreibt Franz Kafka in seinem Roman Der Aufbruch.

      Der Weg ist das Ziel: ein abgedroschener Satz, den man schon 1000-mal gehört hat. Und doch beinhaltet er das Wesentliche. Die Bewegung ist des Reisenden Ziel, und zwar vor allem die

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