Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule. Группа авторов

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Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule - Группа авторов

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gerade nur einmal bereist. In der bereits erwähnten deutschen Studie ist nachzulesen, dass am Ende einer gerade durchgeführten Reise schon ein neues Ziel ins Auge gefasst werde, da es «überall ganz anders» sei. Oder wie es Jochen K. Schütze in Gefährliche Geographie ausdrückt: «Mit jeder Ankunft ist das Reisen umsonst. Das Dort wird zum Hier.»

      Noch spitzer formulierte es Michel de Montaigne, ein Literat und erfahrener Reisender aus dem 16. Jahrhundert: «Reisen bedeutet weder ans Ziel zu gelangen noch zurückzukehren.» Wäre dies die Definition vom Reisen, wäre von uns noch niemand wirklich gereist. Unsere Ausflüge in die Fremde, so lange sie auch dauern, enden schliesslich immer wieder daheim. Wir sind lediglich auf einem Umweg nach Hause. Oft geht es beim Reisen aber auch gar nicht um das geografische Wegkommen, sondern um ein geistiges. Man glaubt, an einem anderen Ort leichter ein anderer oder eine andere werden zu können. Weil dort die Scherben einer eben in die Brüche gegangenen Beziehung nicht herumliegen. Oder weil man den Leuten, die einen zu kennen glauben, nicht mehr begegnet, sondern unbelastet neue Freundschaften knüpfen kann.

      In der «Primrose Bar» sind die Gäste aufgewacht, die Tanzfläche ist inzwischen voll und der Sound um einige Dezibel lauter. Auffallend bleibt, dass hier niemand auf Aufriss ist. Jeder bewegt sich in der Gruppe, aber amüsiert sich mit sich selbst, lebt seinen Egotrip aus.

      Auch Julia aus Essen kommt in Fahrt. Nur der gelegentliche Schluck aus der Kingfisher-Bierflasche unterbricht ihren Redefluss. Ansonsten springt ihr Kinn-Piercing stetig auf und ab. «Zuhause bist du immer mit den akuten Problemen beschäftigt. Hier, wenn du 22 Stunden im Zug unterwegs bist, hast du plötzlich Zeit, über dich und dein Leben nachzudenken.»

      Auf der Fährte des eigenen Ichs. Julia sucht also nicht die Ferien vom Ich, sondern das Gegenteil: Es geht ihr darum, Zeit zu haben, um sich mit sich selbst intensiv auseinanderzusetzen. «Der kürzeste Weg zu sich selbst führt um die Welt», sagte der Reisephilosoph Hermann Keyserling anfangs des 20. Jahrhunderts.

      Der Sound bricht abrupt ab. Ein Blick auf die Uhr zeigt: Es ist 1.30 Uhr. Eine letzte Runde Kingfisher, und dann begibt sich die Party-Horde auf den Heimweg. Es ist auch nachts noch angenehm warm. Ich bin der Einzige, der zu Fuss unterwegs ist, der Rest steigt auf Motorräder. Deren Miete ist hier günstig, und nach einem Führerschein fragt niemand. Da ist es kein Wunder, dass ab und zu eine Maschine im Gebüsch neben der Kurve landet. Nach zehn Minuten komme ich in meinem Guesthouse an, der «Villa Sapna», Villa der Träume.

      Am nächsten Morgen reise ich weiter nach Anjuna. Auch dieser Ort, etwa 5 Kilometer weiter südlich von Vagator, ist ein Treffpunkt für die Traveller- und Freak-Szene. Am kilometerlangen Strand hat es noch weniger Leute als in Vagator. Auch hier fehlen die charmanten, aber aufsässigen Strandverkäuferinnen nicht: «Remember me, yesterday, you promised to buy …» Ich verspreche gar nichts mehr und mache mich auf den Weg.

      In einem Strandrestaurant treffe ich den jungen Japaner Masaki aus Osaka. Für Japaner ist es nicht einfach, Urlaub zu bekommen. Und mehr als eine Woche am Stück liegt vom Job her meistens nicht drin. Masaki ist schon seit einem Monat unterwegs. Seinen Job hat er gekündigt. Ich frage ihn nach seinen Reisegründen. «Ich weiss es nicht. Warte, lass mich mal überlegen. Nein, sorry, ich weiss nicht, warum ich abgereist bin. Einfach so halt.»

      Katalysator Langeweile. Etlichen Leuten, mit denen ich gesprochen habe, ging es ähnlich. Sie mussten lange überlegen, warum sie eigentlich auf Reisen sind. Wie der Spiegel schon vor zehn Jahren schrieb: «Jenseits der Zwecke, jenseits der Ziele und unter Verachtung des Weges: Reisen als Droge. Bewegung als Kampf gegen Langeweile.»

      Dass man gerade hier in Goa viele Leute trifft, die den eigentlichen Zweck ihrer Reise kaum nennen können, verwundert nicht. Etliche dieser sogenannten und von sich selbst als Freaks definierten Travellers kommen für die ganze von November bis März dauernde Saison nach Goa. Sie bewegen sich in einem Radius von vielleicht 30 Kilometern und tun vor allem eines: nichts. Sie liegen am Strand herum, jonglieren, baden und begeben sich abends auf die Suche nach der besten Party, den schärfsten Drogen. Ibiza und Mallorca lassen grüssen – nur der Sex fehlt.

      Ich reise auf den Spuren der Hippies weiter in den Süden, nach Calangute. Hier soll alles angefangen haben. Der Goa-Boom wurde von Hippies Ende der 1960er- und anfangs der 1970er-Jahre eingeleitet. Vor dem «Goa Trance» schallten hier die Stones, Jefferson Airplane und Janis Joplin durch die Palmen. Nach ihnen erklangen Bob Marley und Peter Tosh. Heute ist Calangute vor allem ein Ort, wo sich die normalen Touristen treffen – die Gattung «touristus vulgaris», wie sie in einem Buch genannt werden. Noch weiter im Süden gelangt man nach Fort Aguada, wo sich das gediegene Hotel «Taj Holiday Village» befindet. Hier kostet das Zimmer 20- oder 40-mal so viel wie ein Guesthouse weiter nördlich, und für das Kingfisher-Bier zahlt man das Dreifache. Die Luxussiedlung bietet aber auch etwas. Neben dem bis auf Kühlschranktemperatur runtergekühlten Hotelzimmer, den Matten am Strand gegen sandige Füsse gibts einen grosszügigen Pool mit einer Bar im Wasser.

      Hier treffe ich die ersten Schweizerinnen in Goa: Nicole und Simone, beide Anfang 20 und aus der Nähe von Basel. Sie reisten mit den Eltern von Nicole für zwei Wochen nach Indien. Auch sie seien hier, um Wärme und Energie zu tanken und einfach mal abzuschalten. Ich frage mich, ob ich in diesem Alter auch schon das Gefühl hatte, abschalten zu müssen. Die zwei jungen Frauen fliegen schon morgen zurück in die Schweiz. «Ich hoffe, ich kann zuhause die Ruhe, die ich hier gefunden habe, beibehalten», sagt Nicole.

      Die Probleme lösen sich von allein. Während des Reisens befindet man sich in einer steten Auseinandersetzung mit der Situation zu Hause. Schliesslich ist das «normale» Leben dort Bezugspunkt zum Erlebten in der Fremde. Aus der Ferne gewinnt man Übersicht; man erkennt, was schiefläuft, was man ändern will. Nietzsche schrieb: «Von dem, was du erkennen willst, musst du Abschied nehmen, wenigstens auf eine Zeit. Erst wenn du die Stadt verlassen hast, siehst du, wie hoch sich ihre Türme über die Häuser erheben.»

      Viele erwarten von ihrem Reisen Problemlösungen und Veränderungen für zuhause. Inwieweit solche Veränderungen eintreten, ist allerdings umstritten. Und noch mehr, ob allfällige Veränderungen langfristig erhalten bleiben. Simone, die Freundin von Nicole, glaubt nicht an eine anhaltende Veränderung. «Wahrscheinlich geht es zwei Wochen, und wir stecken wieder im normalen Alltagstrott.»

      Auch ich befinde mich auf der Rückreise. Zwei, drei brenzlige Überholmanöver des Taxifahrers mit Dauerhupe und schon stehe ich wieder am Flughafen von Goa. Beim Anflug auf Bombay, diesmal bei Tag, erkenne ich, was die vermeintlichen Friedhofskerzen tatsächlich waren: die spärliche Beleuchtung der gigantischen Slums, die sich über die Hügel um Bombay ziehen. Verschläge aus Wellblech als Luxusvariante oder zeltähnliche Unterstände aus alten, zerrissenen Plastikblachen reihen sich endlos aneinander. Ganze neun Stunden muss ich auf meinen Weiterflug warten. Beim Herumlungern auf dem Flughafen treffe ich auf ein Schweizer Pärchen, das ebenfalls nach Hause reisen will. Luzia kommt aus Winterthur und freut sich, bald wieder dort zu sein. «Mir gefällt es in der Schweiz, ich bin glücklich dort.» Sie war einen Monat in - Indien unterwegs. Jetzt habe sie schon etwas Heimweh.

      «Le heimweh». Das verwundert eigentlich nicht. Die Schweizer Söldner, die einst im Ausland Dienst leisteten, waren bekannt für ihr Heimweh. Die Ärzte beschrieben «le heimweh» damals sogar als typische Schweizer Krankheit.

      Mit den übriggebliebenen indischen Rupien gönne ich mir im einzigen Restaurant des Flughafens noch ein letztes grosses Kingfisher-Bier. Noch eine Stunde bis zum Abflug, das Getränk fordert seinen Tribut – ich muss auf die Toilette. Beim Blick in den Spiegel muss ich mir eingestehen, dass ich etwas abgekämpft aussehe: Ich habe Ringe unter den Augen, die Haare sind so verfilzt, dass sie beinahe als Rastafrisur durchgehen könnten. Die Autorin Erna Bombeck schrieb einmal passenderweise: «Wenn du aussiehst wie dein Passbild, wird es Zeit, nach Hause zu fahren.»

      Ein

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