Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule. Группа авторов

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule - Группа авторов страница 24

Globetrotter-Spirit: Reisen als Lebensschule - Группа авторов

Скачать книгу

nicht jede Reise eine freiwillige und heilsame Entwurzelung? Kennen wir nicht alle das Zögern kurz vor dem Weggehen, die kleine Angst vor dem Unbekannten? Wir müssen es in Kauf nehmen. Ohne das Wagnis der Unsicherheit gibt es keine gelungene Reise. Mit «gelungen» meine ich: eine Reise, die uns geografisch weg, innerlich aber zu uns selbst führt. Deshalb darf eine Reise nie vollständig geplant sein. Sie kann Orientierungspunkte enthalten, muss aber Zeit und Raum für Wagnisse lassen. Eine Reise soll immer auch anstrengend sein – nur dann ist sie erholsam.

      Zweitens: Reisen ist Befreiung durch Begegnung. Warum geht man weg? Um zu sehen, wie andere Menschen und Völker diesen Planeten bewohnen. Und um zu sehen, wie andere Menschen, für die wir Fremde sind, uns wahrnehmen und begegnen. Könnte uns dieser Perspektivenwechsel nicht eine lebendige Vertrautheit mit der Welt ermöglichen?

      Voraussetzung dazu ist allerdings auch hier ein Wagnis: das, auf andere Menschen zuzugehen, ihre Sprache zu lernen, ihre Kultur zu verstehen. So gesehen ist Reisen nichts anderes als ein langes Gespräch, als das Zufallen von Begegnungen mit Menschen und mit Orten. Und es könnte ein Wegbereiter zu einer Globalisierung mit menschlichem Antlitz sein. Denn: Wer anderen begegnet, nimmt Anteil und erwacht gleichzeitig zu sich selbst. Wäre das nicht das wirksamste Mittel gegen grassierende Gleichgültigkeit? «Wer nicht reist, kennt den Wert der Menschen nicht», sagte der unermüdliche arabische Wanderer Ibn Battuta, der aus lauter Freude an der Sache zu Fuss von Marokko nach China und wieder zurück ging. Sein Wort gilt heute noch.

      Drittens: Reisen sind Geburtshelfer von Gedanken. Ist es ein Zufall, dass Goethe auf seiner Italienreise die Idee der Urpflanze hatte? Er bekannte: «Dagegen finden wir, dass neue Gegenstände in auffallender Mannigfaltigkeit, indem sie den Geist erregen, uns erfahren lassen, dass wir eines reinen Enthusiasmus fähig sind; sie deuten auf ein Höheres, welches zu erlangen uns wohl gegönnt sein dürfte. Dies ist der eigentlichste Gewinn der Reisen, und jeder hat nach seiner Art und Weise genügsamen Vorteil davon. Das Bekannte wird neu durch unerwartete Bezüge und erregt, mit neuen Gegenständen verknüpft, Aufmerksamkeit, Nachdenken und Urteil.»

      Was Goethe beschrieben hat, bestätigt heute die Wissenschaft: Hirnspezialisten haben Enzephalogramme von Reisenden gemacht. Sie entdeckten, dass die bewusste Wahrnehmung des Fremden, von Klima, Landschaften und abwechselnden Jahreszeiten die Hirnaktivitäten stimuliert und zu einem Gefühl des Wohlergehens und zu einem aktiven Leben beitragen.

      Reisen sind Geburtshelfer von Gedanken – abseits der gewohnten Pfade entstehen innere Zwiegespräche, reifen Erkenntnisse, die sich wohltuend von dem abheben, was uns der feste Rahmen zu Hause oft zu verstehen gibt. Denn die Person, die wir im Alltagsleben sind, kann sich durchaus unterscheiden von dem, was uns wirklich ausmacht.

      Wagen wir also von Zeit zu Zeit eine Wanderung, die uns verwandelt – machen wir eine Reise, die uns auf uns selbst zurückführt und ganz werden lässt. Oder, um es mit den Worten von Basho, dem japanischen Haiku-Dichter des 17. Jahrhunderts, auszudrücken: «Allein unter dem Himmel, das heisst zwei Wanderer.» Denn der Himmel zieht auch mit.

      image Globetrotter-Magazin 60, Sommer 2001

       Wenn in den Adern Globetrotterblut pulsiert, bricht irgendwann das Reisefieber aus

       Erfahrungsbericht von einer Langzeitreise 1985/86

       Von Claudia Schneider

      Bangkok überwältigte: der Lärm, das Chaos, die vielen Menschen. Die thailändische Metropole war der erste Ort, den ich ausserhalb Europas besuchte – die erste Station auf einer Reise, die dann eineinhalb Jahre dauerte. Der Wirrwarr in den Gassen, ungewohnte Düfte, intensive Farben, das feuchtheisse Klima und das Fremde an sich faszinierten, doch die Menschen wirkten noch gestresster und geldgieriger als in der gewohnten Umgebung. Mit 20 Jahren verband ich mit der Weltreise Hoffnungen auf andere, auf bessere Welten.

      Auf Ko Samui hatten Tourismus und Prostitution bereits Fuss gefasst. Doch die Nachbarinsel Ko Phangan dümpelte 1985 als manifestierter Globetrottertraum im Südchinesischen Meer: eine bescheidene Palmblatthütte am Strand, die Wärme der Sonne auf der Haut und die der Gastgeber im Herzen. Das genügsame Leben im Überfluss der tropischen Natur beflügelte – speziell im Bewusstsein, dass das Thermometer in der Heimat weit unter 0 Grad liegt. Statt Manuskripte zu tippen, sammelte ich Muscheln.

       Auf die Euphorie folgte die Krise

      Die Tage auf Ko Phangan verstrichen in einer äusserlich konstanten Harmonie: Kokospalmwedel wiegen anmutig wie Tempeltänzerinnen in der lauen Meeresbrise. Statt Nachrichten schauen die Menschen Sonnenuntergang. Am Morgen klingelt kein Wecker, und es gibt keinen Anlass zu schlechter Laune. Dennoch machte sich nach zwei Monaten Muscheln sammeln eine massive Verstimmung breit. Mein Reisepartner und ich zerstritten uns dermassen, dass er zurückgefahren wäre, hätte er nicht den Spott der Daheimgebliebenen gefürchtet.

      Da hatten wir jahrelang gespart, Job, Wohnung, Freunde, alles aufgegeben, und nun war im Paradies die Hölle los. Die Freiheit hatte uns aus der Fassung gebracht. Denn jeder Tag bietet die Möglichkeit, zu bleiben oder weiterzufahren, jeder Tag erfordert erneut den Entscheid, was mit ihm anzufangen ist. Wodurch definiert sich Freiheit? Tun und lassen zu können, was uns gefällt, machte uns jedenfalls nicht frei. Diese Art von Freiheit fühlte sich im Gegenteil ganz unerwartet als Bedrohung an.

      Wir rauften uns zusammen und entdeckten neue Welten: Auf Java klagte uns eine Palastführerin, ihre Mutter sei verhext worden. Ein Rikscha-Fahrer outete sich als ehemals politisch Aktiver, der sich nach einem Gefängnisaufenthalt gezwungen sah, fortan zu schweigen. Auf Bali leben die Menschen ganz selbstverständlich mit Hausgeistern, und im australischen Cairns klauten sich Rucksacktouristen gegenseitig Kleider von der Wäscheleine. Die Begegnungen mit Menschen begann uns zu faszinieren, ebenso die Relikte verblasster Hochkulturen, die Stätten der Götterverehrung und die Natur, die Blüten treibt, wie ich sie mir in den kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.

       Verkehrte Welt

      Mit jedem Kilometer wurde die Welt relativer. Unsere Reisegenossen im australischen Outback, eine Engländerin und zwei Kanadier, disputierten jedes Mal, wenn’s darum ging, uns ein neues Wort beizubringen: «It’s a torch.» – «No, that’s a flashlight.» Die Mondsichel leuchtet verkehrt herum am überwältigend strahlenden Nachthimmel. Und in Alice Springs meinte ein australischer Gastgeber, nachdem wir alles aufgegessen hatten: «Schön, dann gibts morgen Regen.»

      In Sydney mussten wir uns entscheiden: Das Budget für zwei Monate Neuseeland entspricht in etwa dem für fünf Monate Südostasien. Zeit ist Geld, selbst auf Reisen. Cheap, cheap, cheap. Manche Traveller haben es sich zum Sport gemacht, mit möglichst wenig Geld durchzukommen – oftmals auf Kosten anderer. Small Talk unter Rucksackreisenden kreist immer mal wieder ums Geld, wie günstig dies sei, welch ein Halsabschneider jener sei. Erinnert an Gespräche zuhause über Designerklamotten und das neuste Videogerät. Alles gleich, bloss anders herum? Warum sind Menschen auf Reisen?

      Ein Schweizer Ehepaar bestellte auf der malaysischen Insel Tioman ausschliesslich Rösti und zählte die Tage, bis sie endlich zurück in die Schweiz fahren konnten. Zur Hochzeit hatten sie sich Round-the-World-Tickets gewünscht, und seit beinahe einem Jahr waren sie pausenlos unterwegs. Vier Tage Schanghai war ihr längster Aufenthalt an einem Ort. Ich wäre unter solchen Umständen zusammengebrochen.

       Unterwegs sein

Скачать книгу