aWay. Nic Jordan
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Auf der Bank lag ein kleines Heft mit dem Fahrplan für alle Schiffe inklusive der Fähre, auf der ich mich befand. Um circa 22 Uhr sollten wir in Trelleborg im Süden Schwedens ankommen, und ich hatte mir noch gar keine Gedanken darüber gemacht, wie es von da aus weitergehen sollte. Weder eine Unterkunft noch einen Plan hatte ich. Ich wusste noch nicht einmal, wie weit der nächst größere Ort von Trelleborg entfernt war. Selbstverständlich gab es auf der Fähre kein WLAN, und Handyempfang konnte ich auf dem Baltischen Meer auch nicht erwarten. Das hieß also für mich, dass ich es wie immer auf mich zukommen lassen musste.
Kurz vor Sonnenuntergang ging ich wieder raus aufs Deck. Es war ungewöhnlich windstill, und die Wellen ließen das mächtige Schiff sachte auf und ab wippen. Die Ostsee war genau wie in meiner Vorstellung tiefschwarz und wirkte wie eine dicke, metallische Flüssigkeit am Horizont. Doch in der Ferne reflektierte das düstere Wasser Lichtflecken. Wie bei einer liebevollen Auseinandersetzung kämpfte sich die Sonne mühsam durch eine kleine Lücke in der üppigen Wolkendecke. In diesem Moment geschah etwas in mir, das ich schwer in Worte fassen kann. Das Gefühl des Alleinseins überkam mein Bewusstsein, aber ich verspürte keinen Drang, dagegen anzukämpfen, ganz im Gegenteil, ich ließ es zu und fühlte mich darin willkommen. Es war der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich ab jetzt weit weg sein würde von jeglicher mir bekannter Sicherheit. Auf einmal fühlte ich mich winzig auf diesem großen Schiff, umgeben von Fremden und viel Wasser. Zudem erschienen meine Pläne groß und mächtig. Zu groß?
Es fiel mir schwer, an etwas Genaues zu denken, ich wurde überflutet von Gefühlen. Eine wirre Mischung aus Angst, Stolz und Vorfreude füllte mein Inneres und zeigte sich in Form von Tränen, die meine Wangen runterliefen. Solch eine ungewohnt angenehme Vertrautheit mit dem Gefühl des Alleinseins hatte ich noch nie gespürt, denn ich fühlte mich nicht nach Gesellschaft, brauchte niemanden zum Reden und wollte meine Tränen selbst wegwischen. Sogar der Gedanke an eine Umarmung war befremdlich, denn ich hatte ja mich und mein Abenteuer. Das reichte.
Diese Tränen waren zweifellos Tränen der Freude. Mit jeder Welle, die wir vorankamen, fühlte ich mich bestätigt und stärker. Noch nie hat sich in meinem Leben etwas so richtig angefühlt, und je weiter ich weg kam, desto sicherer war ich. Ich fand einen Platz auf einer kleinen Metallleiter, auf der ich sitzen blieb, bis die Sonne komplett im blau-violetten Horizont verschwand. Die Farben verrieten, dass der Sommer mittlerweile weit weg war. Sie sehnten sich nach Wärme, genau wie wir. Meine Hände hatte ich zwischen meine Knie geklemmt, denn meine Finger froren, aber sonst störte mich die Kälte kaum. Irgendwann wippte das Schiff in kompletter Dunkelheit. Sie hatte uns verschluckt, nicht einmal die Sterne leuchteten den Weg. Die Wolken lauerten wie Wächter am Himmel und verwehrten uns den Einblick in die unendliche Galaxis.
Wieder im Inneren der Fähre angelangt, hatte ich mit meiner Müdigkeit zu kämpfen. Der Kater von meiner Schnapsnacht in Polen war nicht spurlos an mir vorbeigezogen, und ich hatte immer noch keinen blassen Schimmer, wo ich über Nacht unterkommen könnte. Die Lautsprecherdurchsagen plärrten durchs Schiff und kündigten die baldige Ankunft in Trelleborg an. Ich sprang auf und schnallte mir meinen Rucksack auf den Rücken. Wenn ich als Erstes die Fähre verlasse, dachte ich mir, kann ich mich bei der Ausfahrt des Hafens platzieren und darauf hoffen, dass mich einer der anderen Passagiere erkennt und in die nächste Stadt mitnimmt …
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