aWay. Nic Jordan
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Jedes ihrer Worte fand seinen Weg in meine Mitte, und ich war zu Tränen gerührt. Sie wirkte so zufrieden und stark, ihre Art war fast anmutig, und ihr Gesicht war bilderbuchschön. Sie machte das Beste aus ihrer Situation und war stolz auf sich und vor allem auf ihre wunderschönen Töchter. Ich fühlte so viel Liebe und Respekt in diesem Haushalt – selbst gegenüber den tierischen Mitbewohnern. Nach dem Abwasch, den ich natürlich übernahm, war es Zeit fürs Bett. Ich war emotional erschöpft von den letzten Tagen mit meinem Vater und den herzerweichenden Geschichten dieser wundervollen Familie.
Von Warschau ging es direkt nach Stettin, um kurz die Familie meiner Freundin Diana zu besuchen. Dianas Mutter nahm mich auf wie eine lang verschollene Tochter. Sie entführte mich in den wenigen Stunden, die wir miteinander hatten, zu ihren Freundinnen, und wir hatten einen polnischen Mädelsabend mit literweise Wein, Schnaps und unaufhörlichen Gesprächen. Als ich spätnachts zu Bett ging, drehte sich alles, und meine Tage im vertrauten Polen waren gezählt.
Von nun an würde ich Orte besuchen, an denen ich noch nie gewesen war. Ich hatte alle ›Verpflichtungen‹ hinter mich gebracht, alle verabschiedet, mit meinem Vater Frieden geschlossen, und nun war es an der Zeit, aus meiner Komfortzone auszubrechen und nicht zurückzuschauen. Ein gerade mal volljähriger junger Mann nahm mich mit nach Świnoujście, von wo aus die Fähre mich nach Trelleborg in Schweden bringen sollte.
Auf dem Parkplatz der Anlegestelle war es unfassbar windig und kalt. Er befand sich in einem typischen Industriegebiet, und der kalte Nieselregen unterstrich den Hafenflair. Ich musste nicht lange suchen, um ein Fahrzeug mit schwedischem Kennzeichen zu finden, das gerade in Richtung Check-in einbog. Mit vom Rucksack gekrümmtem Rücken rannte ich hinterher, so schnell es ging. Vorne saßen zwei große, fast identisch aussehende Schweden mittleren Alters und schauten mich entgeistert an, denn um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, hatte ich an die Fensterscheibe geklopft. Ich lächelte und machte eine Geste, die sagen sollte: ›Kurbelt das Fenster runter‹, allerdings reagierte keiner von beiden darauf. Ganz im Gegenteil, sie sahen weg, taten so, als würden sie mich nicht sehen, und fuhren ein Stückchen näher an das vor ihnen stehende Auto. Ich sah dem langsam vorwärtsrollenden Fahrzeug verdutzt hinterher, denn ich hatte so eine Reaktion von erwachsenen Männern nicht erwartet, und konnte nur hoffen, dass sich in Schweden nicht alle so verhielten.
Ich wollte den Moment einfach runterschlucken, denn Ablehnung gehörte dazu, und bis hierhin hatte ich immer viel Glück gehabt. Doch Schweden sah nun, von Weitem betrachtet, nach der ersten Herausforderung aus, was das Trampen anging, und die ersten Ängste vor der Kälte krochen an die Oberfläche meines Bewusstseins. Was, wenn ich hier an diesem unangenehmen Hafen die Nacht verbringen müsste? Seit meiner Abreise aus London hatten sich die Temperaturen verändert, und so langsam näherten wir uns dem Winter. Eine Nacht im Freien wollte ich mir in dem Moment nicht einmal vorstellen, da ich jetzt schon zitterte und meine Nase lief.
Auf der Suche nach einem Taschentuch betrat ich das große Hafengebäude. Der Warteraum war leer, bis auf einen älteren Mann, der laut an seinem weißen Porzellankaffeebecher schlürfte. Kurz sah er von seiner Zeitung auf und stellte unfreiwillig Augenkontakt zu mir her. Das war mein Moment, und ich nutze ihn.
»Hi!«, rief ich lauter als erwartet durch den hallenden Raum.
Unbeeindruckt nahm der Mann noch einen Schluck von seinem Kaffee und antwortete genervt: »Hi«, gefolgt von einem lauten Husten – denn offenbar hatte er sich verschluckt. Mit seinem Blick wies er mir die Schuld daran zu und widmete sich im nächsten Moment wieder seiner Lektüre.
Doch ich ließ mich nicht unterkriegen und fragte: »English or Polish?« Eigentlich eine doofe Frage, da er eine polnische Zeitung las, aber irgendwie musste ich ja eine Konversation anzetteln.
Er blickte zum wiederholten Mal über seine Zeitung in mein Gesicht und sagte trocken: »No English!«
Direkt fing ich an, ihn auf Polnisch vollzuquatschen, und schlich langsam mit leicht nach vorne gebeugtem Kopf und in Bauchhöhe gefalteten Händen in seine Richtung. Sicherlich sah das ziemlich dämlich aus, ein wenig fühlte ich mich, als würde ich ihm etwas andrehen wollen – und genauso misstrauisch musterte er mich auch. In meinen Monolog baute ich mit ein, dass ich aus Deutschland kam, meine Eltern polnisch sind, ich gerne mit der nächsten Fähre nach Schweden fahren wollte, weil ich auf dem Weg nach Australien war und ja schon den ganzen Weg aus London gekommen sei.
Als ich fertig war mit meinem Vortrag, hob er nur eine Augenbraue und fragte, wie er mir denn helfen solle?
Auf die Frage hatte ich gewartet. Ich bat ihn, mich in seinem Auto auf die Fähre mitzunehmen, und setzte dazu wieder mein peinliches Verkäuferlächeln auf.
»Ich gehe auf keine Fähre, ich bin Putzmann hier im Terminal!«
Meine Mundwinkel gaben sich der Schwerkraft hin, mein Handknoten löste sich, ich sah ihn regungslos an.
Er schmatzte kurz genervt auf und legte wortlos seine Zeitung zur Seite: »Lass mich mal kurz jemanden anrufen, einer der Jungs auf der Fähre schuldet mir noch einen Gefallen …«
Ich nickte und klatschte in die Hände. Sofort kehrte mein Verkäuferlächeln zurück. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich der Mann als so hilfsbereit erweisen würde. Der Dialog am Telefon verlief kurz und so leise, dass ich kein einziges Wort durch seinen dichten borstigen Bart hindurch hören konnte. Fasziniert sah ich zu, wie sich das Gestrüpp in seinem Gesicht bei jedem Wort bewegte, ohne dass sich der Tropfen Kaffee auf der Seite löste.
»Komm mit«, forderte er mich auf, ohne mir einen weiteren Blick zu schenken. Er trank seine Tasse mit zwei großen Schlucken aus und versuchte vergeblich, seine ausgewaschene Jeans über seinen dicken Bauch zu ziehen. Mit einem leichten Hinken lief er in seinen schnürsenkellosen Lederschuhen voraus und führte mich durch eine Metalltür, die nur mit einem Code zu öffnen war.
Kurz schlich sich ein wenig Angst bei mir ein. Wir waren allein in einem großen Lagerraum, und die Tür hinter mir war verschlossen. Das wirkte wie eine Szene aus einem Gemetzelfilm. Nervös legte ich meinen Finger auf das Pfefferspray in meiner Jackentasche, das Marcel mir vor meiner Abreise besorgt hatte. Wir gingen durch eine weitere schwere Tür, um am anderen Ende des Hafens wieder rauszukommen. Hier wartete ein kleiner dünner Mann mit krummer, laufender Nase, rotem Gesicht und zu großer Wollmütze in einem befleckten dunkelgrünen Regenmantel.
Die beiden Männer taten so, als wäre dies eine streng geheime Übergabe und ich die Ware. Immer noch hielt ich meinen Finger auf dem Spray in meiner Tasche. Während der Dicke seinem Kumpel erklärte, wer ich sei und wo ich hinwolle, klemmte er seine kleinen Hände jeweils unter die gegenüberliegenden Achseln und sah sich die ganze Zeit um. Der Kleine nickte öfter als notwendig und hielt in der Linken ein grünes Seil und in der Rechten ein kleines Tastentelefon. Als das Gespräch wenig später beendet war, zeigte mir der Kleine die volle Pracht seiner dunkelgrauen Zähne. Er bat mich, zum Schiff mitzukommen, und das war auch der Moment, als sich mein Finger wieder entspannte und ich das Pfefferspray losließ. Den Dicken umarmte ich zum Abschied. Sein Körpergeruch raubte mir fast den Atem, doch aus seinem fröhlichen Glucksen schloss ich, dass ich seit Langem die Erste war, die ihm so nahgekommen war, und seine Freude war es allemal wert.