aWay. Nic Jordan

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aWay - Nic Jordan

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wollte mich gar nicht mehr loslassen. Obwohl sie mich nicht kannte, schien sie Liebe für mich zu empfinden. Gerührt blickte ich auf sie herunter und streichelte zaghaft ihren Kopf, der sich gerade mal auf Höhe meiner Hüfte befand. Ich war es nicht gewohnt, mit Kindern umzugehen – bis auf Kaus Tochter gab es keine in meinem Leben –, doch als die Kleine mich noch einmal fester drückte, lösten sich meine Berührungsängste in Luft auf.

      Sie sah zu mir herauf und musterte mich durch ihre dicke Brille. »Bist du wirklich meine Schwester?«

      Mein Blick wanderte fragend zu meinem Vater, und er nickte. Unsicher sagte ich: »Ja. Ich denke, ich bin deine Schwester.«

      Wenig später klingelte es an der Tür, und die Freundin meines Vaters kam dazu. Ala kannte ich noch von vor ein paar Jahren, sie war wesentlich jünger als mein Vater, und ich habe sie eigentlich immer sehr gemocht. Oft fragte ich mich, was sie dazu brachte, so lange bei meinem Vater zu bleiben. Irgendwas schien er ja zu haben, wenn er wunderschöne Frauen wie sie und meine Mutter so lange an sich binden konnte.

      Die darauffolgenden Tage verbrachten wir viel mit Reden und Erklären. Wir sprachen über mein Vorhaben und darüber, was in den letzten Jahren auf beiden Seiten so passiert war. Das Einzige, worüber wir kein Wort verloren, war der Grund unseres Kontaktabbruchs. Ich wollte alte Wunden nicht öffnen und gab ihnen die Chance, mit neuen Erinnerungen überpflastert zu werden. Auch wenn es mir nicht leicht fiel, las ich zwischen den Zeilen, dass es ihm leidtat.

      Am Tag meiner Weiterreise fuhren wir zusammen ein paar Stationen mit dem Zug. Er musste wegen eines Geschäftstermins in die gleiche Richtung wie ich und bestand darauf, dass wir gemeinsam fuhren. Er saß mir gegenüber, und zwischen uns befand sich ein grauer Tisch. Plötzlich durchbrach er die Stille und fing an, von meinem Bruder zu sprechen. Seine Tränen überforderten mich. Mit leiser Stimme flehte er um Vergebung. Ich reichte ihm ein Taschentuch und sah zu, wie er sein nasses Gesicht trocknete und dann schlagartig versuchte, weitere Tränen zu unterdrücken, um keine Schwäche zu zeigen. Das nasse Taschentuch zerdrückte er in seinen unbeweglich aussehenden Händen.

      Ich empfand Mitleid für ihn. Das Empfinden war so stark und so wichtig, dass ich lächelte. In diesem Augenblick hatte sich etwas in mir verändert: Der Mann, der mir als Kind immer Angst gemacht hatte, der mir immer groß, stark und mächtig vorkam, war auf einmal ein alter, schwacher Mann, der mit zitternder Stimme um Vergebung bat. Ich schwieg und akzeptierte auf diese Weise seine Entschuldigung. Zum ersten Mal in meinem Leben legte ich meine Hand auf seine. Es war der Augenblick, in dem ich für mich entschieden hatte, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Es war der Augenblick, dessentwegen ich hergekommen war.

      Wir erreichten unseren Zielbahnhof. Unsere Verabschiedung war kurz und ließ den Gefühlsausbruch wenige Minuten zuvor fast unwirklich erscheinen. Hier trennten sich unsere Wege auf unabsehbare Zeit wieder.

      Hundemüde und völlig überfordert von der unerwarteten Größe der Stadt kam ich in Warschau an. Ich machte mich auf die Suche nach etwas zu essen und einem Ort mit WLAN, wo ich spontan nach einem Schlafplatz schauen konnte. Für diesen Zweck nutzte ich schon seit vielen Jahren immer wieder die Couchsurfing-Webseite, eine Plattform für Reisende, die gerne bei Einheimischen übernachten. Teilweise aus Neugier der anderen Kultur gegenüber, aber manchmal auch aus finanziellen Gründen.

      Ich muss zugeben, dass ich diesen Teil der Reise nicht besonders gut vorbereitet hatte. Es fing bereits an zu dämmern, und ich hatte noch kaum etwas von der Stadt gesehen. Glücklicherweise war eine weibliche Couchsurf-Gastgeberin bereit, mich spontan aufzunehmen. Ihre Wohnung lag ein wenig außerhalb des Zentrums, und so musste ich noch eine kleine, zweistündige Wanderung unternehmen. Das letzte Stück führte mich durch einen Plattenbaudschungel, der um diese Uhrzeit ausgesprochen einschüchternd wirkte. Das Echo meiner Schritte hallte durch die langen, breiten Straßen. Die meisten Straßenlaternen funktionierten nicht, die restlichen flackerten mühsam und machten mich auf den Nieselregen aufmerksam.

      Gerade als ich abbiegen musste, gab die Lampe, die mir den Weg leuchten sollte, den Geist auf. In der Ferne hörte man Hunde bellen und Paare streiten. Plötzlich überraschte mich ein Geräusch aus nächster Nähe. Neben mir ertönte ein lautes Räuspern aus einer dunklen Ecke unter einem großen Baum. Alles in mir erstarrte. Ich kniff meine Augen zusammen, um etwas erkennen zu können. Die Silhouette eines Mannes zeichnete sich in der Dunkelheit ab, doch selbst mit Mühe konnte ich kein Gesicht erkennen. Er saß auf einer kaputten Holzbank und rauchte einen Joint. Den nächsten Zug spülte er mit einem großen Schluck aus einer kleinen weißen Glasflasche runter, die im Laternenlicht glänzte. Aus Angst, er könnte sich provoziert fühlen, sah ich schnell weg.

      Nach dieser unerwarteten Begegnung wurde die Nachbarschaft etwas freundlicher: Zahlreiche beleuchtete Fenster bildeten ein Meer aus Lichtern um mich herum. Sie erstreckten sich bis in den funkelnden Nachthimmel und wirkten an solch einem hoffnungslosen Ort sogar romantisch. Jeder Eingang sah gleich aus, nur die Türen waren mit anderen Buchstaben gekennzeichnet, aber laut Google war ich an der richtigen Adresse angekommen.

      Um die Zigarettenstummel und den Plastikmüll auf den Betonstufen stieg ich leichtfüßig herum und ging zum Aufzug. Sehr stabil wirkte die Kiste zwar nicht, aber 16 Stockwerke wollte ich heute nicht mehr nach oben laufen, und immerhin passte ich mit meinem Backpack gerade so hinein. Es stank nach Urin und kaltem Rauch, die Wände waren vollgeschrieben mit Beleidigungen und Liebesschwüren. Das Gekritzel lenkte mich ab von den knirschenden und pfeifenden Geräuschen, die der Fahrstuhl machte.

      Nach einer gefühlten Ewigkeit war ich hoffentlich vor der richtigen Tür angekommen. Zweimal musste ich klopfen, bis ich ein paar Sekunden später Schritte und das metallische Klirren des Sicherheitsriegels hörte. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und zu meiner Überraschung fiel mein Blick nach unten, da abgesehen von einem aufgeregten schwarzen Hund auch ein wunderhübsches kleines Mädchen zum Vorschein kam. Sie lächelte mich verschmitzt mit schmalem, geschlossenem Mund an. Dass ihre beiden Zähne vorne fehlten, fiel mir erst auf, als sie den Mund öffnete, um nach ihrer Mutter zu rufen. Mit einem Mal war die Tür komplett offen, eine schlanke Frau Mitte 20 kam dahinter zum Vorschein und umarmte mich herzlich. Ehrlich gesagt hatte ich nicht damit gerechnet, so liebevoll begrüßt zu werden an einem so lieblos wirkenden Ort. Doch gleich darauf nahmen mich noch zwei weitere Bewohner in Empfang: Ein Kaninchen hüpfte mir auf dem Boden entgegen, darauf folgte ein weiteres kleines Mädchen, vielleicht zwei Jahre jünger als ihre circa zehnjährige Schwester, die mir die Tür aufgemacht hatte.

      Es roch nach frisch gekochter Hausmannskost, und das Wohnzimmer sah aus wie ein Dschungel. In der Ecke standen zwei Terrarien, eins mit einer kleinen Schlange, das andere mit einem Chamäleon. Das Sofa war ausgezogen und zum Bett umfunktioniert worden, es sah gemütlich aus mit einer flauschigen Decke und mehreren Kissen.

      Meine Gastgeberin Maria sprach mit sanfter Stimme und ging rührend mit ihren Mädels um. Beim Abendessen, mit dem sie extra auf mich gewartet hatten, erzählte sie mir, dass sie einen gewalttätigen Ex-Mann hat, der sie und die Kinder immer wieder bedroht hatte, wenn er betrunken nach Hause gekommen war. Sie war mit ihm seit der Schulzeit zusammen gewesen, und der Umzug und die Trennung hatten sie viel Kraft gekostet, insbesondere weil es über Nacht geschehen musste und ohne ihm zu verraten, wohin sie flohen, aus Angst vor einem seiner Wutausbrüche. Nervös spielte sie an ihrem dezenten goldenen Ring, während sie mir davon erzählte. »Ich bereue aber nichts, weil er mir diese zwei wundervollen Kinder geschenkt hat«, sagte sie und blickte verliebt in Richtung der beiden.

      »Hast du denn keine Angst, dass er euch irgendwie findet?«, fragte ich vorsichtig.

      »Nein, es ist ihm wahrscheinlich lieb, dass wir weg sind. Jetzt kann er in Ruhe trinken und muss sein Geld nicht mit den Kindern teilen.«

      Es war in meinen Augen sehr ungewöhnlich, dass eine Frau, die in solchen Verhältnissen lebte, bei Couchsurfing einen Schlafplatz anbot. Die meisten Mütter mit jungen

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