Du darfst nicht sterben. Andrea Nagele

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Du darfst nicht sterben - Andrea Nagele страница 6

Автор:
Серия:
Издательство:
Du darfst nicht sterben - Andrea Nagele

Скачать книгу

Unfallkrankenhaus, eine Privatklinik und das öffentliche Spital. Hastig kritzelt er Adressen und Telefonnummern auf ein Post-it. Nach kurzem Überlegen streicht er die Privatklinik von der Liste. Eine Zusatzversicherung hatte Anne nie.

      Es dauert einige Zeit, bis er eine Telefonzelle findet.

      »Allgemeines Krankenhaus, was kann ich für Sie tun?«

      »Ich möchte eine Patientin besuchen, Anne Parker, in welchem Zimmer liegt sie?«

      Die Stimme zögert. »Da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. Eine Patientin dieses Namens gibt es bei uns nicht.«

      Ohne Gruß beendet Paul das Gespräch, nur um im nächsten Krankenhaus ebenfalls abgewiesen zu werden. Enttäuscht beißt er sich auf die Lippe. So kommt er nicht weiter, er muss sich etwas einfallen lassen. Automatisch will er an seinen Barthaaren zupfen, seine Finger treffen jedoch auf glatte Haut.

      Verdammt, alles abgeschoren.

      Schon lange kam er sich nicht mehr so nackt und schutzlos vor. Erst als er das dunkle Brillengestell aufsetzt, fühlt er sich etwas besser. Blicklos starrt er ins Leere, bis ihm endlich einfällt, wie er ans Ziel kommen könnte. Ungeduldig tippt er eine Nummer.

      »Notrufzentrale?«

      »Mein Name ist Meier«, beginnt er und räuspert sich, »ich bin Redakteur bei der ›Bild am Abend‹ und schreibe an einem Artikel über die junge Frau, die gestern das Messerattentat überlebt hat.«

      Sofort wird er unterbrochen. »Schön, aber was hat das mit uns zu tun?«

      Er spricht freundlich weiter, obwohl er der blöden Ziege am anderen Ende der Leitung liebend gern den Hals umgedreht hätte. »Ich wüsste gern, in welches Krankenhaus man das Opfer gebracht hat.«

      »Es ist uns verboten, darüber Auskunft zu geben. Da müssen Sie sich schon an die Polizei wenden.«

      Das könnte dir so passen, denkt er erbost.

      So wird das nichts.

      Kurz entschlossen ruft er nochmals im Unfallkrankenhaus an.

      »Ich schreibe eine Masterarbeit über Rettungseinsätze und benötige eine kurze Information«, sagt er mit verstellter Stimme.

      »Worum geht es konkret?«

      »Ich möchte wissen, wohin die Ambulanz lebensgefährlich verletzte Patienten bringt. Gibt es da einen fixen Zuweisungsmodus?«

      »Selbstverständlich gibt es den. Es wird prinzipiell das dem Unfallort nächstgelegene Krankenhaus angefahren.«

      »Danke.« Zufrieden beendet Paul das Gespräch.

      Im Wagen kramt er den Stadtplan hervor, markiert die Krankenhäuser und schätzt die Entfernung zwischen der Wohnung und den Spitälern. Dann misst er punktgenau mit dem Lineal nach.

      Jetzt weiß er, wo sie liegt.

      Wieder macht er sich auf den Weg.

      Mit dem Seesack auf dem Rücken schlendert Paul, einen gemächlichen Schritt vortäuschend, den steril wirkenden Flur entlang. Vor der Tür zu den Besuchertoiletten bleibt er stehen und vergewissert sich sorgfältig, dass er von niemandem beobachtet wird.

      Entschlossen stößt er die Tür auf und betritt den Waschraum. Er ist allein. Neben aneinandergereihten Pissoirs befindet sich die Toilette, eine kleine versperrbare Kabine. Genauso, wie er es erhofft hat. Niemand kann durch den Bodenspalt seine Füße sehen oder über den Rand schauen. Ein schlechter Ort für Klaustrophobiker, aber Platzangst ist jetzt sein geringstes Problem.

      Rasch entledigt er sich der Jeans, seines T-Shirts und der Mokassins, stopft alles in den Seesack und schlüpft in seine weiße Arztverkleidung. Die Augen versteckt er hinter dem dunklen Brillengestell.

      Jetzt gilt es, Annes Zimmer zu finden und auf Lilis Eintreffen zu warten.

      Wieder geht er den Korridor entlang. Wie ein Arzt, der seinen Dienst antritt, oder einer, der am Ende der Nachtschicht heimgeht.

      Vor der Kanzel bleibt er stehen. Mit einem Lächeln klopft er ans Glas. Eine Lernschwester bedient die Gegensprechanlage.

      »Schwester Bernadette«, liest er laut von ihrem Namensschild ab, »ich besuche meine Patientin, Frau Parker.« Seine Stimme klingt selbstbewusst, als er Annes Geburtsdatum herunterrasselt.

      Die Schwester tippt etwas in ihren PC. »Den Gang hinunter, aber den Weg zur Intensiv muss ich Ihnen ja nicht erklären.« Sie lächelt verlegen.

      Mit einem Nicken verabschiedet er sich.

      Schweiß hat sich auf seiner Stirn, über seiner Oberlippe, im Nacken und unter den Achseln gebildet. Unauffällig wischt er den feuchten Film mit dem Handrücken aus seinem Gesicht und wartet, bis sich die Schiebetür öffnet. Als wäre es für ihn Routine, drückt er auf den Knopf eines durchsichtigen Behälters, verreibt das Desinfektionsmittel zwischen seinen Händen und geht durch die geöffnete Tür den Flur entlang.

      Er hat hektisches Treiben erwartet und ist von der Ruhe, die herrscht, überrascht. Die Station erinnert ihn eher an eine Kuranstalt als an eine Abteilung, in der der Tod allgegenwärtig ist.

      Ein Pfleger schiebt einen Metallwagen an ihm vorbei, würdigt ihn keines Blickes. Eine Reinigungskraft im gestreiften Overall wischt weiter vorne mit müden Bewegungen über den Linoleumboden. Ansonsten ist der Gang leer.

      Durch die entspiegelten Glasfenster kann Paul zu beiden Seiten Gestalten in ihren Betten erkennen. Wie Mumien liegen einige da, sie sind von Kopf bis Fuß bandagiert, andere, mit bläulichen Lippen in wächsernen Gesichtern, sind an Maschinen gekettet. In keinem der Zimmer hält sich ein Besucher auf, nur Ärzte und Pflegepersonal beugen sich über Patienten.

      Wo aber liegt Anne?

      Hier noch einmal nachfragen? Besser nicht.

      Gerade als er endlich eine ihm vertraut scheinende Bahn goldig schimmernden Haares zu sehen vermeint, schrillt ein Alarm los. Paul erschrickt.

      Unmittelbar verwandelt sich die geruhsame Stille in wilden Aktionismus. Türen fliegen auf, Apparate werden über den Bodenbelag gezerrt, Ärzte folgen einer kreischenden Stimme, die alles übertönt.

      »Herzstillstand!«

      Paul bekommt einen unsanften Stoß in den Rücken.

      »Stehen Sie hier nicht herum. Ab mit Ihnen ins Zimmer acht.«

      In Annes Krankenzimmer findet er sich wieder und starrt auf ihr fahles Gesicht. Zwischen ihren langen Wimpern kann er die nach oben gerollten Augäpfel erkennen. Ihre Lippen sind tiefviolett. Paul ist so auf das Geschehen fokussiert, dass er die Person, die in seinem Blickfeld auftaucht, nicht zuordnen kann.

      »Sie da. Verschwinden Sie. Das ist nicht Ihre Station, Sie stehen uns nur im Weg.«

      »Wir verlieren sie schon wieder«, hört er jemand anderen sagen.

      Die furchteinflößenden Laute, die ein schlaffer Körper macht, wenn er zuerst hochschnellt und dann zurück auf das Laken fällt, begleiten seinen unfreiwilligen Rückzug.

      Als

Скачать книгу