Die Todesstrafe II. Jacques Derrida

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Die Todesstrafe II - Jacques  Derrida Passagen forum

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abgelehnt hatte, erinnern Sie sich an L’Exécution, worüber wir letztes Jahr sprachen38), < als Giscard > „im Privaten seine tiefe Abneigung gegen die Todesstrafe“ erklärt hatte.39 Was bei den Befürwortern einer Abschaffung der Todesstrafe40 viele Hoffnungen aufkommen ließ, Hoffnungen, die bis zur nächsten Präsidentschaft, der von Mitterand von 1981 an, enttäuscht wurden. Unter Giscard – und das ist das einzige Indiz, das ich im Augenblick isolieren möchte, neben einer Verfassungsreform, die den Verfassungsrat41 reformierte (eine Institution, die sich vom Obersten Gerichtshof in Amerika, über den wir noch sprechen werden, unterscheidet, aber irgendwie mit ihm vergleichbar ist) – wurden jedoch zwei Gesetze verabschiedet, die beide alles in allem diese „Frage des Alters“ betrafen. Das Alter der Volljährigkeit wurde auf 18 Jahre gesenkt, und das Gesetz über die Abtreibung wurde am Ende dessen, was Badinter eine „betrübliche Debatte“42 nennt (im Laufe dieser Debatte wurde Simone Veil, die den Gesetzesentwurf vorgelegt hatte, beschimpft und mit einer Naziverbrecherin verglichen), das Gesetz über die Abtreibung wurde dank der massiven Zustimmung der Linken mit 284 gegen 189 Stimmen verabschiedet.43 Nun hatten aber, wie Badinter in Erinnerung ruft, im Laufe der Debatten einige Leute erklärt, man könne nicht gleichzeitig ein Gegner der Todesstrafe, das heißt ein Anhänger der absoluten Achtung vor dem Leben sein (vorausgesetzt, man könne, was ich nicht glaube, gegen die Todesstrafe sein, ohne ein unbedingtes Recht auf das Eigentum am eigenen Leben zu setzen, aber lassen wir das) [einige Leute hatten also erklärt, man könne nicht gleichzeitig gegen die Todesstrafe, das heißt ein Anhänger der absoluten Achtung vor dem Leben,] und für eine Liberalisierung der Abtreibung sein. Diese Verbindung, die eine bestimmte Rhetorik gebraucht und missbraucht, wollte ich hier in Erinnerung rufen. Badinter hat kurz danach Folgendes erwidert, was mir ein wenig vorschnell zu sein scheint: „Aber die Todesstrafe war eine Strafe, die dem Verurteilten von der Gesellschaft auferlegt wurde, während die Wahl der Abtreibung der Entscheidung der Frauen überlassen wurde. Die Freiheit war auf ihrer Seite. Nichts dergleichen im Falle der Todesstrafe.“44

      Worauf die Gegner der Abtreibung und Anhänger der Todesstrafe leicht hätten antworten können, dass die Entscheidungsfreiheit, die der Mutter überlassen wurde (die hier nicht das zum Tode verurteilte Subjekt ist, das heißt das Kind, das geboren werden soll45), der Entscheidungsfreiheit, die dem zum Tode Verurteilten verweigert wird, nicht symmetrisch entgegengesetzt werden könne. Die scheinbare Parallele, auf die sich die Gegner der Todesstrafe berufen, besteht nicht zwischen dem zum Tode Verurteilten und der Mutter, sondern zwischen dem zum Tode Verurteilten und dem Kind, das geboren werden soll.

      2. Andererseits möchte ich kurz die andere exemplarische Dimension in Erinnerung rufen, nämlich dass – um immer noch an der Oberfläche jener „Frage des Alters“ zu bleiben – diese Frage der Kindheit dieses Mal nicht das Alter des Kindes betreffen würde, das geboren werden soll oder dessen Geburt in gewisser Weise abgebrochen oder untersagt < wird >, es ginge also nicht um das Recht, geboren zu werden und also nicht zu sterben, sondern um jenes Recht, nicht geboren zu werden, von dem man in letzter Zeit in Frankreich gesprochen hat, in Bezug auf Nicolas, jenen schwerbehinderten jungen Mann, dessen Eltern die Ärzteschaft gerichtlich dafür belangten, falsche Diagnosen erstellt zu haben oder zur gewünschten Zeit nicht über die Möglichkeit oder die Notwendigkeit, die kommende Geburt zu verhindern, informiert oder beraten zu haben.46 Wir haben darüber gesprochen, welche Partei man auch immer ergreift in einem Prozess, der von nun an durch ein Urteil entschieden ist, das das Leben selbst entschädigt, das Am-Leben-Sein von jemandem, dessen Eltern denken, dass es besser gewesen wäre, er hätte nicht gelebt, wir haben diesbezüglich nicht mehr von einem unbedingten Recht auf Leben gesprochen, sondern von einem potentiellen Recht darauf, nicht geboren zu werden. Nicht von einem Recht, zu sterben [mourir] oder zu töten [faire mourir], sondern von einem Recht, nicht geboren zu werden. Wie kann das Subjekt dieses Rechts aussehen? Geboren zu werden oder nicht geboren zu werden, beliebten wir in Bezug [au sujet] auf die radikalste Entscheidung zu sagen, die es gibt und bei der klarer ist denn je, dass sie, auf welches Ich auch immer bezogen, die Entscheidung des Anderen ist und bleibt. Beim Suizid eines Erwachsenen weiß man nicht, ob er die freie und autonome Entscheidung des suizidalen Subjekts ist; im Fall des Embryo ist klar, dass die Entscheidung, zu sein und geboren zu werden, oder nicht geboren zu werden, die des Anderen bleibt, Vater und Mutter, die nunmehr das Recht haben, die Ärzteschaft zu beschuldigen, ihre eigene Entscheidung nicht mit Hilfe ihres Wissens erhellt zu haben. Und das Recht, zu klagen, um das Leben des Überlebenden zu entschädigen, dessen Interessen sie vertreten. Wie sieht das Subjekt dieses potentiellen Rechts aus? Wer kann es in Anspruch nehmen? Wer ist dafür rechenschaftspflichtig, und für wen, und wem gegenüber? Worin besteht die inkriminierte Tat [acte]? In dem Akt, leben zu lassen, das Leben zu geben, ein Leben, das schlimmer wäre als der Tod, und also in einem Leben-lassen, das schlimmer wäre als Den-Tod-geben?

      Die – zugegeben etwas abstrakte – Formulierung von einem „Leben-lassen, das schlimmer wäre als Den-Tod-geben“, könnte, ohne dass es da die geringste Symmetrie gäbe, auch den Blick freigeben auf das Problem der Sterbehilfe [euthanasie], das heute, wie Sie wissen, neue Aktualität erfährt, in den Vereinigten Staaten und in Europa. Letztes Jahr haben wir dieses Wort, „euthanasie47, bisweilen gepaart mit dem Wort „Anästhesie“, häufig verwendet, um all die Diskurse oder Behauptungen in Bezug auf eine Abmilderung, eine Abschwächung der Grausamkeit und eine Humanisierung der Hinrichtung, der Weisen der Tötung in Anwendung der Todesstrafe zu bezeichnen: die tödliche Injektion von Gift anstelle des Elektrischen Stuhls oder des Hängens, und auch schon die Guillotine, die von Dr. Guillotin als schmerzlos und beinahe den Genuss einer leichten Kühle am Nacken verschaffend präsentiert wurde.48 Heute, in einem viel engeren Sinne, betrifft die juristische Frage der Sterbehilfe [euthanasie] das Recht, zu töten, den Tod zu beschleunigen (aber jeder Mord besteht darin, einen Tod zu beschleunigen, der für all die zum Tode Verurteilten, die wir sind, in jedem Falle unvermeidlich ist), das Recht also, zu töten, indem man den Tod von mutmaßlich unheilbaren Patienten beschleunigt, deren Leiden danach verlangt, angesichts dessen die Patienten bisweilen selbst danach verlangen, dass es ein Ende nehme, dieses Leiden. Eine Sterbehilfe, bei der es schwierig ist, die Handlung [acte], den Handelnden [agent] und den Moment strikt auf der Linie einer unteilbaren Grenze zu definieren (die nicht spürbare Steigerung einer Dosis Morphium auf Verlangen oder ohne explizites Verlangen eines Patienten kann diese Schwelle überschreiten, ohne dass irgendjemand dafür die Verantwortung eines Mordes im eigentlichen Sinne übernehmen müsste),

      eine Sterbehilfe, die bekanntlich tatsächlich öfter praktiziert wird, als man in den Krankenhäusern und anderswo vermeldet,

      eine Sterbehilfe, die im Prinzip sowohl der dem Arzt durch den Hippokratischen Eid obliegenden Pflicht (zu heilen, zu retten, die Gesundheit wiederherzustellen, sich in den Dienst des Lebens und nicht des Todes zu stellen) als auch den Geboten der abrahamitischen Religionen widerspricht,

      eine Sterbehilfe, über die von den Familien im Falle von alten Menschen leichter zu entscheiden ist als im Falle von Kindern, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen,

      eine Sterbehilfe, deren Begriff ebenfalls einigen grundsätzlichen Fragen, insbesondere psychoanalytischer Art, schwer standhielte (dem Anderen dabei helfen, gut zu sterben; sich selbst dabei helfen, den eigenen Tod gut zu sterben. Wo fängt das an? Wo hört das auf?),

      eine Sterbehilfe schließlich, die in den Vereinigten Staaten zu heftigen Debatten Anlass gibt, insbesondere am Beispiel eines Arztes, der zugibt und für sich in Anspruch nimmt, Sterbehilfe geleistet zu haben und in der Zukunft weiterhin die Verantwortung dafür übernehmen zu wollen,

      eine Sterbehilfe, die letzte Woche in Holland unter bestimmten Bedingungen legalisiert wurde.49

      So viele Fragen, die von derselben Problematik des Akts, des Alters und des Begehrens herrühren.

      *

      Diese drei Flugdrachen/Hirschkäfer

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