Die Todesstrafe II. Jacques Derrida

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Die Todesstrafe II - Jacques  Derrida Passagen forum

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fallen gelassen zu haben, das Beccaria durch das Wort „Recht“ ersetzt (was kein Recht sein kann, kann nicht gerecht sein, so lautet die Voraussetzung), und dieses Mal das Nützliche mit dem Notwendigen verbindend.

      Folglich stellt die Todesstrafe kein Recht dar, und sie kann kein Recht sein, wie ich bewiesen habe; sondern sie ist ein Krieg der Nation gegen einen Bürger, weil sie die Vernichtung seines Daseins für notwendig oder nützlich erachtet. Wenn ich jedoch beweisen werde, dass diese Strafe weder nützlich noch notwendig ist, so habe ich für die Sache der Menschheit den Sieg errungen.73

      Wir werden das ebenso locker wie dicht gesponnene Gewebe dieser Argumentation rekonstruieren; dieser alles in allem utilitaristischen Begründung der Abschaffung der Todesstrafe, die die (meiner Ansicht nach problematische) Grundlage der meisten heutigen Diskurse zugunsten der Abschaffung der Todesstrafe bildet, einschließlich dessen, der vor dem französischen Parlament, und auch in einem weiteren Sinne, für die Abschaffung der Todesstrafe argumentiert hatte, nämlich die Rede [discours] desjenigen74, der jenen Satz von Beccaria seinem letzten Buch als Motto voranstellt.

      Um dieses Buch von Badinter, sein erstes Kapitel, das also den Titel „Von einem Präsidenten zum anderen“ trägt, über einen anderen Flügel unseres Vorstoßes anzusprechen, aber immer noch unter dem Titel „Präsidentenflügel [présidentiailes]“, zusammen mit der Frage des Präsidenten, der präsidentiellen Souveränität, hätte ich heute unser Interesse auch auf das lateinische Wort „Präsident“ lenken wollen (das Wort auf Französisch und auf Englisch oder auf Deutsch oder auf Italienisch, Spanisch aussprechen?75). Was ist das, ein Präsident? Und welche Beziehung < besteht > zwischen der Präsidentialität und der Todesstrafe? Wie soll man heute über die französischen und amerikanischen Präsidentschaften, ja über die Präsidentschaftswahlkämpfe in ihrer Beziehung zur Todesstrafe sprechen? Was ist das, ein Präsident? Praesidere, das heißt vorne sitzen, wie auf einem Thron, der die Autorität markiert, von der her man die Stirn bietet. Auf diese Weise vorne platziert, wie ein Schild, aber auch wie ein Problem (< griech. > probléma bedeutet auch „Schild“), trägt der Präsident zugleich Verantwortung dafür, zu beschützen, „zu wachen über…“, ist er mit einer Pflicht und einem Recht versehen [investi]: zu wachen, zu überwachen, um zu beschützen (die gemeinsame Freiheit, die Nation, die Gemeinschaft usw.). Gleichzeitig ist die Präsidentschaft [présidence] ein Vorrang [préséance], ein Primat, ein Prinzipat, ein Kommando und eine Leitung [direction]. Bei Tacitus und Sallust konnte das eine militärische Bedeutung haben. Ein Präsident als Staatschef ist im Übrigen auch Armeechef und hat das Recht wie die Pflicht, die nationale Verteidigung souverän zu gewährleisten, den Krieg zu erklären. Und natürlich das Begnadigungsrecht auszuüben. Davon ausgehend müsste man die beiden Präsidentschaftswahlkämpfe in einer bestimmten Perspektive sehen: jenen, der in Frankreich in die Abschaffung der Todesstrafe im Jahre 1981 mündete, und den, der zwanzig < Jahre > später in den Vereinigten Staaten zur Bestätigung, zur Konsolidierung, wenn nicht Verschärfung der Todesstrafe führt. Wir werden noch darüber sprechen.

      Wenn ich jetzt die Zeit hätte, auf einem anderen Flügel eine Front aufzumachen, würde ich, vor dem Tod, vor „meinem Tod“, vor dem „mein Tod“ eines und einer jeden, vor der Todesstrafe von der Strafe selbst, im Allgemeinen, sprechen. Ist die Todesstrafe [peine de mort] eine Strafe, eine Strafe unter anderen? Oder eine Ausnahme von dem, was man mit einem Allgemeinbegriff die Strafe [peine] oder die Bestrafung [punition] nennt? Genügt es, ein substantivisches Attribut, einen Genitiv (die Todes-Strafe) hinzuzufügen, um das Subjekt „Strafe“ durch eine ergänzende Bestimmung, einen Fall, ein Beispiel, ein Attribut zu ergänzen? Ist die Todesstrafe eine Strafe? Ist sie kompatibel mit dem Begriff Strafe, der ihr hier als Subjekt dient?

      Wir haben letztes Jahr vielleicht viel gesagt, aber ich habe das Gefühl, dass wir die Frage der Todesstrafe [la peine de mort] trotz allem kaum angesprochen haben, kaum [à peine]. Auf meinem Computer, um so weit oben und so sichtbar wie möglich zu beginnen, das heißt mit dem Buchstaben A beginnend, und um mein Dokument rasch wiederzufinden, habe ich dem dieses Seminar betreffenden Dokument den Titel „À peine de mort“ gegeben, was nicht sagen will „sous peine de mort [unter Todesstrafe]“ (ein Seminar über die Todesstrafe unter Todesstrafe, so als ob ein Seminar über die Todesstrafe zur Todesstrafe verurteilt wäre oder Gefahr liefe, mit dem Tode bestraft zu werden) – was also nicht „unter Todesstrafe“ sagen will, sondern, auf gänzlich unübersetzbare Weise, dass es zögern wird zwischen der peine (poena auf Lateinisch, von griechisch poiné), die Bestrafung bedeutet, den zu bezahlenden Preis, die Abzahlung, das Lösegeld, das dazu bestimmt ist, einen Mord zu sühnen usw. (ich werde noch darauf zurückkommen), und den beiden französischen Bedeutungen von „à peine“: einerseits „schmerzlich [péniblement]“, „bekümmernd [qui fait peiner]“, was Kummer [peine], Leiden bereitet, eventuell in Begleichung einer Schuld76, sowie andererseits „kaum“, „noch nicht“, was auf Lateinisch mit paene oder pene77 ausgedrückt wird, was weder mit dem Kummer [la peine] von „à peine“ noch mit lateinisch poena oder griechisch poiné zusammenhängt < , das > Bestrafung bedeutet.

      Bevor es mit dem Tod verbunden wurde, wirft das Wort peine, penalty, poiné, poena im Sinne von Bestrafung oder schmerzlicher Abzahlung [rétribution pénible], Leiden implizierender Sanktion oder Auslösung, Sühne, [wirft also das Wort peine] hinsichtlich Semantik und Geschichte Schwindel erregende Probleme auf. Eine erste Vorstellung davon würden Sie bekommen, wenn Sie Benveniste lesen.78 Ich werde kurz etwas dazu sagen, allzu kurz, wobei ich Sie aber auf die Lektüre des ganzen Kapitels verweisen möchte. Ich werde einige Worte dazu sagen aus Gründen, die sich später erhellen werden, nämlich einen gewissen Zusammenhang, den man, wie Kant es tat, erkennen wollte zwischen der Strafe [la peine], insbesondere der Todesstrafe, und der Würde des Menschen, der Ehre des Menschen, da der Mensch, das rationale oder vernünftige Wesen, das mit Vernunft begabte Lebewesen, das heißt das fähig ist, sich über die pathologischen Motive und das Leben zu erheben, da der Mensch also das einzige Wesen ist, das die Ehre verdient, ein Recht zu besitzen (ein Recht der Person als Zweck an sich und nicht als Mittel), und also die Ehre, in sein Recht eine Todesstrafe einzuschreiben, die das Rechtssubjekt über das Leben erhebt. Wir hatten letztes Jahr über diese Logik gesprochen und wir werden dieses Jahr noch einmal darauf zurückkommen, bald schon, immer einer Linie von Fragen folgend, die von unserem ersten Erstaunen inspiriert ist: Wie kommt es, dass kein Philosoph als solcher, kein philosophisches System als solches sich je auf vernünftige Weise der Todesstrafe entgegensetzen oder einen Diskurs zugunsten der Abschaffung der Todesstrafe philosophisch rechtfertigen konnte, einen < Diskurs >, der aus Prinzip für die Abschaffung der Todesstrafe ist (ja, aus Prinzip, und ich insistiere immer noch, aus Prinzip und nicht aus Nützlichkeit, aus Prinzip, denn es gibt viele Gründe und Weisen, sich der Todesstrafe entgegenzusetzen, und solange man es nicht aus Prinzip tut, indem man erhellt, was „aus Prinzip“ bedeutet, wird die Bewegung für die Abschaffung der Todesstrafe problematisch, begrenzt und prekär, sowie der Umkehrbarkeit unterworfen sein, was sie immer noch bleibt)79.

      Es wird also noch zu fragen bleiben, was, sowohl für die Geschichte der Philosophie, für die Geschichte des Philosophischen, als auch für die Geschichte der Strafe als Todesstrafe, die Tatsache bedeutet, dass es bis auf den heutigen Tag nie eine Philosophie der Abschaffung der Todesstrafe [philosophie abolitionniste] gegeben hat, und dass, bis auf den heutigen Tag, kein Philosoph als solcher, kein philosophisches System als solches die Todesstrafe ausschließen oder verurteilen konnte oder musste. Mit einem Wort: Wer verurteilt die Philosophie als solche bis auf den heutigen Tag dazu, sich im Prinzip auf der Seite der Verurteilung zum Tode zu halten? Das ist einer der Einsätze dessen, was man die „Dekonstruktion“ nennt (wir haben es letztes Jahr wie folgt formuliert80: die Dekonstruktion des phallogozentrischen Gerüsts; das phallogozentrische Gerüst, das heißt sowohl die Spekulation als auch die Architektonik, das Stütz- und Konstruktions-Supplement, das notwendig

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