Mehr als ein Wunder. Steve de Shazer

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Mehr als ein Wunder - Steve de Shazer Systemische Therapie

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de Shazer bot denen, die ihn kennen lernen und bei ihm lernen durften, ganz nebenbei eine Lösung zum Umgang mit der alten Frage über das Verhältnis von Theorie und Praxis an; eine Lösung, die wieder sehr nahe bei Wittgensteins Haltung zu dieser Frage liegt. Für Steve zeigte sich das Muster der Methode gerade in der brillanten Praxis seiner Frau Insoo Kim Berg, die auf so vielfältige Art hier in diesem Buch vertreten ist, sowohl als Therapeutin im Falltranskript als auch als Gesprächspartnerin bei den Reflexionen des Teams über die Fälle.

      Steve de Shazer hatte die außergewöhnliche Fähigkeit, grundlegende Einsichten aus der Beobachtung von Praxis zu gewinnen, und sich zugleich bei dem Klienten auf das ganz Konkrete eines Falles zu beschränken, ohne die KlientInnen oder die von ihm Lernenden mit inhaltlichen Thesen über die Regeln des ursprünglich gestörten Verhaltens zu belasten. Zugleich aber hatte er eine reflexive Aufmerksamkeit, eine Art methodisch-theoretischen Witness State, durch den er das, was andere in der Praxis unbewusst verkörperten, zum Vorschein brachte, beschreibbar machte und damit lernbar.

      Denn ohne Bewusstsein für solche nicht mehr inhaltlich gebundenen Invarianzen höherer Ordnung ist es schwer, etwas zu vermitteln und lernbar zu machen. Der Beitrag von Steve de Shazer dazu kann aus meiner Sicht gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. So wird z. B. klar, dass Vorsicht bei jeder Verdinglichung von Gefühlen geboten ist, wo Gefühle als eine Art innere Ursache von Leiden gesehen werden: Dies kann schon die Form der Konstruktion eines Problems haben.

       Nichtwissen

      Steve de Shazers vielleicht am weitesten berühmt gewordene Form des Lobs auf das Nichtwissen bestand wohl in seiner Empfehlung, wenn einem eine Interpretation einfalle, möge man doch ein Aspirin nehmen, sich in die nächste Ecke hocken und warten, bis der Anfall vorbei ist. Hier wird Nichtwissen von Seiten der TherapeutInnen sogar als ein wichtiger Teil ihrer Professionalität angesehen, wären doch Interpretationen so etwas wie Einschränkungen der Freiheit der Klientinnen, unseren Erwartungen zuwiderlaufend zu antworten.

      Wie Steve und Insoo uns immer wieder zeigten, stand für sie beide vor der Antwort nie fest, was die Bedeutung dessen gewesen sei, das sie gefragt hatten. Und auch aus diesem Grunde war ja aus Steves und Insoos Sicht die Wunderfrage immer wieder eine neue Frage.

      Einen weiteren überraschenden Zug des lösungsfokussierten Ansatzes, der auch von erfahrenen Praktikern manchmal unterschätzt wird, ist, wie sehr lösungsfokussierte Frage eigentlich ausschließlich der Generierung relevanter Unterschiede bei den KlientInnen dienen, nicht aber der inhaltlichen Information der TherapeutInnen.4

       Wer spricht?

      Ein ungewöhnlicher Zug, aus meiner Sicht eine geradezu geniale didaktische Idee der AutorInnen dieses Buches ist die Idee, Gespräche im Team ohne klare Angaben, wer spricht und wer antwortet, darzustellen. Das Vorgehen kam mir erst irgendwie bekannt, aber auch irritierend vor, aber nach etwas genauerer Lektüre war ich gerade von diesem Vorgehen begeistert: Die Autoren verwenden so ein literarisches Stilmittel, das von Wittgenstein in die Philosophie eingeführt wurde: Dialoge mit mehrdeutigen Sprecherzuordnungen, die den Leser zu immer wieder neuen inneren Dialogen mit neuen Rollenverteilungen führen.5 Hier spiegeln die AutorInnen den Aufbau der Texte in den Philosophischen Untersuchungen Wittgensteins und lassen zugleich die LeserInnen eine typische konstruktivistische Lernerfahrung machen.

      Auch bei dieser ungewöhnlichen partiellen Verschleierung der Herkunft mancher Argumente werden doch durch Frageformen und Themen manchmal die Sprecher transparent … das Schöne ist dann, dass dieses Vorgehen erlaubt, zwischendurch derartige Zuordnungen auch wieder zu vergessen. Die AutorInnen zeigen dabei durchaus viele relevante Unterschiede z. B. bezüglich der bevorzugten Fragereihenfolgen, ihrer Haltung zu den Skalen und zum Stellen der Wunderfrage. Wieder ist zu sehen, wie wenig normiert viele Abläufe in dem scheinbar so fast mechanisch wirkenden Procedere der SFBT liegt.

       Ausblick und Vorschau

      Mehr als ein Wunder: Kann es ein schöneres Motto für diesen Neuaufbruch in der Zeit nach Steve und Insoo geben? Über zwei Jahrzehnte begleitet Steve den Weg von Insa und mir, über fast eines hin durften wir auch Insoo kennen lernen. Und diese Zeit war als ganzes ein Wunder für uns. Es gab viele kleine Schritte – und letztlich blieb kaum ein Stein auf dem anderen. Wie sich die Klientinnen oft buchstäblich körperlich schon während der ersten Erwähnungen des Wunders zu verändern begannen – und wie viel Erfahrung es dann brauchte, damit es bei anderen Klienten gelang; wie dieser Ansatz von Anfang an so einfach war – und welch ungeheuere Sorgfalt und Mühe es erforderte, diese Einfachheit immer wieder zu erneuern. Doch während dieser Bemühungen wuchsen die Früchte des Bemühens wie von selbst heran. Klientinnen stellten plötzlich immer geeignetere Fragen für ihren eigenen Prozess der Lösung – und wir staunten, da wir nicht wirklich wussten, was wir denn nun richtiger gemacht hatten. Manchmal fanden wir es heraus – kaum dass ein paar Jahre vergangen waren … Und dann merkten wir, dass Steve oder Insoo auf der neuen Insel, die wir so erreicht hatten, schon lange ansässig waren.

      Steve und Insoo haben das Wunder in den Alltag geholt, und, vielleicht sogar noch über die Wunder hinausgehend, die Fähigkeit zur wertschätzenden Beobachtung.

      Lassen sie uns Steve und Insoo zu Ehren in unser und in andrer Menschen Leben mit so viel Wertschätzung blicken, dass die Kostbarkeit der Ressourcen wieder deutlicher wird, »einen kleinen Schritt« wie es in einem der Buchtitel von Yvonne Dolan heißt und wie es viele unsrer KlientInnen sich zur guten Angewohnheit machten: erinnern wir uns daran, dass wir dem Wunder schon begegnet sind. So lädt man Wunder ein – am besten noch heute! More than Miracles!

       München, den 9. Februar 2008Matthias Varga von Kibéd

      1 im Folgenden: SFBT für »Solution Focused Brief Therapy«.

      2 Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen 217: »›Wie kann ich einer Regel folgen?‹ – wenn das nicht eine Frage nach den Ursachen ist, so ist es eine nach der Rechtfertigung dafür, daß ich so nach ihr handle.

      Habe ich die Begründungen erschöpft, so bin ich nun auf dem harten Felsen angelangt, und mein Spaten biegt sich zurück …«

      3 In dieser Hinsicht ist der Ansatz wirklich den analytischen und tiefenpsychologischen Auffassungen diametral entgegengesetzt. Aus Wittgensteins Sicht verwechselt Freud in seiner Theoriebildung Ursachen und Gründe.

      4 Durch nichts wurde mir das so klar, wie wenn Insa Sparrer lösungsfokussierte Interviews führt, bei dem bis auf ein »Ja« oder »Nein« oder eine Skalenzahl die KlientInnen keine hörbaren Antworten geben müssen, ohne dass das einen relevanten Unterschied für den Gesamtablauf der lösungsfokussierten Arbeit macht.

      5 und nebenbei Generationen von Doktoranden mit Fragen nach »der« richtigen Rollenverteilung beschäftigen werden.

       Vorbemerkungen

      Es ist mir eine besondere Freude, ein neues Vorwort für die deutsche Ausgabe von More Than Miracles schreiben zu dürfen. Steve de Shazer, dem dieses Buch gewidmet ist, fühlte sich mit seinen deutschsprachigen Kollegen und Kolleginnen auf besondere Weise verbunden und hatte große Achtung vor ihnen, und er identifizierte sich stark mit seinem deutschen Erbe. Leider verstarb Steve ein paar Wochen nach der Fertigstellung der Endfassung dieses Buches, und Insoo Kim Berg, seine Ehefrau und enge Arbeitspartnerin, verschied ein knappes Jahr nach der Veröffentlichung des Werkes in den USA.

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