Zukunft gestalten: JETZT. Jakob von Uexküll

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Zukunft gestalten: JETZT - Jakob von Uexküll

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Auf keinem anderen Kontinent gibt es heute ein entsprechend ausgebautes und ausgewogenes System von Institutionen und Rechten zum Schutz des Individuums. Aber jetzt muss Europa eine noch wichtigere Vorreiterrolle wahrnehmen. Denn ohne eine gesunde natürliche Umwelt nützen uns Menschenrechte wenig. Es kann kein Recht auf etwas geben, was nicht möglich ist, und der europäische Pro-Kopf-Verbrauch von Ressourcen z. B. ist weltweit nicht möglich. Weil das so ist, ist diese Lebensweise auch in Europa nicht mehr zu rechtfertigen.

      Bisher konnten wir Fragen der gerechten weltweiten Verteilung von Wohlergehen und Lebensqualität immer mit dem Hinweis auf Wachstum und den technischen Fortschritt beantworten, der uns Europäer in den letzten 100 bis 200 Jahren so viel reicher gemacht hat. Aber offensichtlich haben wir von der globalen Substanz gelebt. Die Globalisierung hat die Grenzen des Wachstums hinausgeschoben, da wir in den ökologischen und ökonomischen Raum anderer Länder hineinwachsen konnten. Da das, was wir konsumieren zunehmend billig (und schmutzig) in Asien hergestellt wurde, konnten wir lange behaupten, der Club of Rome sei mit seinen Warnungen zu pessimistisch gewesen.

      In Wirklichkeit sind viele Grenzen des Wachstums weltweit schon überschritten, was auch in Europa in den nächsten Jahren – spätestens Jahrzehnten – sehr klar werden wird, obwohl wir noch – wie in den Monaten vor den beiden Weltkriegen – glauben, es wird im Großen und Ganzen weitergehen wie bisher. Man merkt in der öffentlich-politischen Debatte in Europa noch wenig von den enormen Herausforderungen und Veränderungen, die auf uns und unsere Kinder zukommen.

      „Die Natur spielt verrückt“, sagte mir kürzlich jemand, der in Norddeutschland auf dem Lande lebt. Auch dort ist das zunehmende Klima-Chaos schon für diejenigen spürbar, die sich in der Natur auskennen. Aber die größte Bedrohung für unsere gemeinsame Zukunft findet in Afrika statt. Während man sich in Europa über steigende Zahlen politischer Flüchtlinge aufregt, wird von dort in den nächsten Jahrzehnten etwas auf uns zukommen, was unsere Vorstellungskraft weit übersteigt. Nicht ein Öko-Fundamentalist sondern der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds, Michel Camdessus, warnte kürzlich nach einer Afrika-Reise, dort würden immer größere Gebiete durch den Klimawandel so schnell unbewohnbar, dass in den nächsten Jahrzehnten damit zu rechnen sei, dass 200 Millionen – ich wiederhole: 200 Millionen – Afrikaner versuchen werden, nach Europa zu kommen, weil sie zu Hause nicht mehr überleben können. Auch wenn ein Teil davon unterwegs umkommt – was zu befürchten ist – wird auch der ankommende Rest zunehmend nicht nur afrikanische sondern auch europäische Staaten unregierbar machen. Demokratie, Menschenrechte, Frieden, Lebensqualität und Sicherheit in Europa sind bedroht, weil wir auf den globalen Klimawandel nicht ernsthaft reagiert haben. Das Ziel, diesen auf durchschnittlich +2 °C zu begrenzen, ist nicht mehr machbar, wenn wir jetzt nicht radikal umsteuern, statt unsere Hoffnung in technische Phantasien zu setzen. Bei +4 °C, auf die wir zurzeit zusteuern, ist keine Anpassung mehr möglich, warnt u. a. der führende deutsche Klimaexperte Prof. Schellnhuber.

      Es geht jetzt um Entscheidungen von uns, die über Tausende von Generationen nachwirken werden. Während Pessimisten wie Prof. Giddens, Autor von „The Politics of Climate Change“, befürchten, unsere Erde könne unbewohnbar werden wie der Planet Venus, sehen auch Optimisten unsere Zivilisation, Errungenschaften und Hoffnungen bedroht.

      Eine häufige Antwort darauf lautet, wir Europäer täten ja schon viel, aber es würde alles nichts nützen, wenn die Chinesen nicht radikal umsteuern, was nicht zu erwarten ist, denn auch sie wollen einen europäischen Lebensstandard.

      Aber europäische Lebensstandards sind weltweit unmöglich – das weiß auch die chinesische Regierung. Und viele CO2-Emissionen dort entstehen auf Grund der Produktion für europäische Verbraucher.

      Wir reden in Europa viel über Rechte, aber es gibt keine Rechte ohne entsprechende Pflichten und Verantwortlichkeiten. Dies ist eine sehr unbequeme Wahrheit. 1998 berief der damalige UNESCO-Direktor Federico Mayor eine internationale Kommission, die eine Deklaration über menschliche Pflichten und Verantwortlichkeiten – analog zur UN-Menschenrechtsdeklaration – erarbeitete. Mayor plante, die Erklärung erst der UNESCO und dann der UNO zur Diskussion und Verabschiedung vorzulegen. Aber sie wurde schon im UNESCO Executive Committee blockiert, denn die Mehrheit – angeführt von den USA – wollten von Pflichten und Verantwortlichkeiten nichts wissen.

      Daher lassen wir es zu, dass der Klimawandel und andere ökologische Bedrohungen seit 40 Jahren zunehmen, obwohl uns die Folgen bekannt sind. Werden wir auch in Europa erst aufwachen, wenn ein Umsteuern nicht mehr hilft? Was werden unsere Kinder und Enkel dann über uns sagen? Wie wertvoll ist uns Europa wirklich, wenn wir zu bequem sind, unseren Kontinent vor Chaos und Zerstörung zu schützen?

      Bei einem Treffen in Moskau im Mai 1989, an dem ich als Europa-Abgeordneter teilnahm, versicherte der Vertreter der Bundesregierung seinen DDR-Kollegen, niemand im Westen plane, den Status von Berlin zu verändern. Die Mauer fiel bekanntlich sechs Monate später.

      Veränderungen können also sehr schnell kommen und wir sollten vorbereitet sein. Heute gibt es viele Konferenzen über das, was alles geändert werden müsste und welche Ziele wir anstreben wollen. Aber das „Wie?“ wird selten diskutiert. Die Subventionen auf fossile Brennstoffe müssen abgeschafft werden, heißt es, aber wie geht das in der Praxis? Der WFC hat die Initiative ergriffen, mit unserem Globalen-Politik-Aktionsplan zu zeigen, welche Veränderungen unbedingt nötig sind. Er ist der erste Versuch, vernetzte, zusammenhängende Lösungen anzubieten, anstatt jede Herausforderung isoliert zu sehen.

      Wir brauchen ein neues Verständnis für Risiko-Hierarchien. In einer zerstörten natürlichen Umwelt wird es nur noch um den Kampf um immer knappere lebenswichtige Ressourcen gehen, nicht um Demokratie, Märkte, Entwicklung, Menschenrechte, Kultur und Fortschritt sondern ums Überleben.

      Der Kampf gegen den Klimawandel ist daher heute auch ein Kampf für Menschenrechte, und besonders für Frauen- und Kinderrechte. Der Klimawandel ist nicht nur eine Umwelt-Bedrohung sondern eine Sicherheits-, Friedens-, Menschenrechts- und Zivilisations-Bedrohung.

      Was muss getan werden? Die Externalisierung von Produktionskosten, d. h. ihre Abwälzung auf die Um- und Nachwelt, ist Betrug am Kunden. Aber die Internalisierung aller Kosten würde heute die meisten Unternehmen in den Bankrott treiben. Daher brauchen wir Übergangslösungen zu einer Ordnung, wo ökologisch nachhaltiges Wirtschaften auch ökonomisch sinnvoll und lohnend ist. Dies erfordert neue gesetzliche Unternehmensformen wie die in einigen US-Staaten zugelassenen B-(oder Benefit-)Corporations, die nicht auf Profitmaximierung ausgerichtet sind.

      Es erfordert einen Umbau unserer Produktion nach dem „Cradle-to-Cradle“-Prinzip, welches von dem Hamburger Chemiker Michael Braungart und dem US-Architekten William McDonough entwickelt wurde. Produkte müssen von Anfang an so entworfen werden, dass sie sich möglichst leicht wiederverwenden lassen.

      Es erfordert einen Übergang zum nachhaltigen Konsum. Der 2. Bericht an den Club of Rome (nach „Grenzen des Wachstums“) hieß „No limits to learning“ – die Zahl der Sprachen, Musikinstrumente und anderer Fähigkeiten, die man lernen kann, ist nicht ökologisch begrenzt.

      Es erfordert Erziehungs-Systeme, die ökologisch gebildete Bürger hervorbringen.

      Es erfordert neue Fortschrittsindikatoren und eine Vertiefung der politischen Debatte, u. a. durch die Reduzierung des Einflusses privater Geldgeber. In den USA stellte eine Studie der Princeton University letztes Jahr fest, das Land erfülle nicht mehr die Kriterien einer Demokratie, sondern die einer Oligarchie, wo die Politiker mehr ihren Geldgebern als ihren Wählern verpflichtet sind.

      Es erfordert die politische Vertretung der Interessen zukünftiger Generationen nach den nationalen Modellen, die z. B. in Ungarn und Wales entwickelt wurden, aber auch auf EU- und UN-Ebene, wo der WFC eine entsprechende Initiative ergriffen hat.

      Es erfordert,

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