David Copperfield. Charles Dickens
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»Sie sind und bleiben immer dieselbe in meiner Erinnerung. Und wenn Sie sagen, daß Sie ›zahnlos, dick, alt und häßlich‹ geworden seien (was ich nebenbei nicht glaube), dann eile ich in Gedanken zu dem Hause in Lombard Street, das ebenso wie meine Luftschlösser verschwunden ist und dessen Backsteine und Mörtel zerfallen sind, und ich sehe Sie in einem himbeerfarbigen Kleide, mit einer kleinen schwarzen Einfassung oben ... aus schwarzem Plüsch, scheint es ... in Zackenspitzen geschnitten ... in unzähligen Zackenspitzen ... und mich mit meinem jugendlichen Herzen wie ein gefangener Schmetterling auf jeder Spitze aufgespießt.«
Von Käthe selbst hören wir erst aus der amerikanischen Reise (1842) etwas ausführlicher. Er schildert ihr Wesen dort recht humoristisch. Käthe hat allerdings die ständige Neigung anzustoßen: aus jeder Droschke zu fallen, sich den Fuß zu verstauchen, mit der Stirn an alle Laternenpfähle anzurennen. Doch gibt ihr Dickens das Zeugnis einer in jeder Hinsicht bewundernswürdigen Reisegefährtin. Sie ist nie müde, nie verstimmt, klagt nie und beklagt sich über nichts, obgleich er ihr starke Anstrengungen zumutet; sie ist immer willig und heiter: »kurz« – so schließt Dickens – »sie hat mir sehr gut gefallen.« Selbst seinem Wunsche, gleich ihm eine Rolle auf dem Theater zu übernehmen, gibt sie nach, obwohl nicht gerne. »Ich spielte das ganze Stück hindurch unter lautem Gelächter; was sagst Du aber dazu,« schreibt Dickens aus Montreal an Forster, »daß Käthe spielte, und zwar verteufelt gut, wie ich Dir versichern kann?«
Mit der Parlamentssession von 1836 endete übrigens seine Tätigkeit als Berichterstatter, und einige Früchte seiner vermehrten Muße zeigten sich noch vor dem Schlusse dieses Jahres. Die musikalischen Talente und Verbindungen seiner ältesten Schwester hatten ihn mit vielen Freunden und Professoren dieser Kunst bekanntgemacht. So kam es, daß er sich lebhaft für Brahams Unternehmen an dem St. James-Theater interessierte. Braham war ein damals bekannter englischer Sänger und Komponist, der in diesem Jahre den Versuch machte, im St. James-Theater eine englische Oper zu begründen. Dickens schrieb zu seinem Besten eine auf einer seiner Skizzen beruhende Posse und das Textbuch für eine Oper, zu der sein Freund Hullah die Musik komponierte. Sowohl die Posse, die unter dem Titel »Der fremde Herr« im September, als die »Die Dorfkoketten« betitelte Oper, die im Dezember 1836 aufgeführt wurden, hatten einen guten Erfolg.
Das Aussehen von Dickens war in jenen Tagen sehr verschieden von dem Antlitz, wie es die Photographien der späteren Generation bekanntgemacht haben. »Zuerst wurde man (so schreibt sein Biograph John Forster) durch ein Aussehen von kindlicher Jugend angezogen und dann durch einen Freimut und eine Offenheit des Ausdrucks, die ein sicheres Zeugnis ablegten für die inneren guten Eigenschaften. Die Züge waren sehr edel. Er hatte eine prächtige Stirn, eine feste Nase mit vollen weiten Flügeln, Augen, die wunderbar glänzten von Geist, und die überströmten von Humor und Heiterkeit, und einen ziemlich hervortretenden, von lebhafter Erregbarkeit zeugenden Mund. *)Diese Darstellung liegt dem Bilde zugrunde, das unsern Band als erstes ziert. Thackeray sagte von dem Originalgemälde Maclises: »Die Ähnlichkeit ist wahrhaft staunenerregend. Ein Spiegel könnte kein besseres Faksimile geben. Wir haben hier den wirklichen identischen Menschen Dickens, den inneren sowohl als den äußeren.«Der ganze Kopf war gut geformt und symmetrisch und von äußerst kühner Miene und Haltung. Das in späteren Jahren so spärliche und ergraute Haar war damals von reichem Braun und üppigster Fülle, und das bärtige Gesicht seiner letzten zwei Jahrzehnte zeigte kaum eine Spur mehr davon; aber es war etwas in dem Gesichte, wie ich mich dessen zuerst erinnere, das keine Zeit verändern konnte und was ihm bis zuletzt unverwandelt aufgeprägt blieb. Das war die Schnelligkeit, die Schärfe, die praktische Macht, der eifrige, ruhelose, energische Ausdruck aller Züge, der so wenig von einem Gelehrten oder Schreiber von Büchern und soviel von einem Manne der Tat und der Welterfahrung kundtat. Licht und Bewegung glänzte aus allen Teilen dieses Angesichtes. Es war wie aus Stahl gemacht, bemerkte vier oder fünf Jahre nach der Zeit, von der ich rede, eine höchst selbständige und feine Beobachterin, die verstorbene Mrs. Carlyle. ›Was für ein Gesicht in einem Gesellschaftszimmer!‹ schrieb mir Leigh Hunt am Morgen, nachdem ich sie miteinander bekanntgemacht hatte. ›Es hat Leben und Seele für fünfzig menschliche Geschöpfe.‹ In solchen Ausdrücken erkennt man nicht allein die ruhelose und unwiderstehliche Lebhaftigkeit und Kraft, von der ich gesprochen habe, sondern auch das, was von Beständigkeit und fester Ausdauer darunterlag.«
Wenn die Erfindung den wesentlichsten Bestandteil eines Dichters ausmacht, so war Dickens ein sehr großer Dichter. Er hat gleich Shakespeare gewiß reichlich hundert von Gestalten geschaffen, die von Wahrheit und Lebenskraft strotzen. Die Neigung zur Karikatur, zur »Charge« ist allerdings ein nicht zu entkräftender Vorwurf, den man gegen die Künstlerschaft dieses großen Humoristen erheben kann, aber diese Neigung ist doch mehr eine Äußerlichkeit, die der Lebenswahrheit seiner Gestalten keinen großen Abbruch tut, um so mehr sich seit den Pickwickiern bis zu seinem letzten Werke eine fortwährende Abnahme dieser Untugend feststellen läßt. Schwerlich hat die englische Literatur einen zweiten Schriftsteller aufzuweisen, der so wie er mit der Hauptstadt verwachsen und mit ihren Verhältnissen vertraut gewesen wäre, der sie gleichzeitig so fest und unlöslich mit seinen Dichtwerken verflochten hätte. Zwar verstand er vornehmlich nur das Leben der mittleren und unteren Volksschichten zu schildern – die Darstellung des Highlife war seinem Zeitgenossen Thackeray vorbehalten – aber es gab dafür auch innerhalb dieses beschränkten Gebietes keine Pforte, die sich vor ihm und seiner Kunst nicht erschlossen hätte. Unterstützt wird er hierin durch seine alles durchdringende Beobachtungsgabe und seine staunenswerte Gewandtheit und Sicherheit in der Handhabung der Sprache.
Was die peinliche Treue seiner Schilderung anbetrifft, so wird Dickens nur von Defoe, was das Malerische und Anschauliche betrifft, nur von Balzac erreicht, mit dem er noch die Eigenschaft teilt, daß seine kühne und kräftiggestaltende Phantasie alle leblosen Dinge zu beseelen vermag. Bei Dickens wird ein messingener Türklopfer zu einer menschlichen Gestalt, ein alter Stuhl zu einem neuen Märchen und ein prosaischer Bettpfosten zu einer poetischen Traumerscheinung. So lebendig und kraftvoll ist die Entfaltung der Phantasie, daß alles von ihr mit fortgerissen wird. Erdichtete Gegenstände nehmen die Genauigkeit wirklicher Gegenstände an. Lebendige Gedanken werden durch leblose Dinge beeinflußt. Die Glocken trösten den armen alten Zettelausträger, das Heimchen bringt die Zweifel des rauhen Kärrners zur Ruhe, die Meereswogen besänftigen den sterbenden Knaben, Wolken, Blumen, Blätter, alle spielen ihre Rolle, kaum eine Form der Materie ist ohne eine lebendige Eigenschaft, kein schweigendes Ding ohne seine Stimme. Dazu kommt die lebensfrohe Überzeugung, daß es in der Welt nicht mit allem so schlimm bestellt sei, wie es oft den Anschein habe, und aus diesem Optimismus erwächst ihm der gesunde Humor, mit dem er in seinen Romanen die schroffsten Gegensätze wohltuend zu versöhnen weiß. Sein Humor hat nicht den bloßen spaßhaften Charakter, seine Komik ist stets drastisch, sein Spott verletzt nicht, und selbst da, wo seine Satire ätzend wirkt, fühlt man noch sicher heraus, daß der Dichter kein eifernder Sittenprediger ist, sondern ein Herz hat voll von warmer Menschenliebe. Als Anwalt der Schutzlosen und Mißhandelten, namentlich der Kinder, wandte er sich an die Herzen seiner Leser, die von solchen Existenzen zuvor kaum eine Ahnung hatten und für die sich damit in den Dickensschen Romanen eine ganz neue Welt auftat, die Welt des Alltags, der Darbenden und Hungernden. Sein Freund Forster erzählt, wie der Schöpfer des modernen Londoner Romans bei Tag und Nacht die Straßen der Metropole zu durchstreifen liebte, wie er sich in die Höhlen des Lasters und Verbrechens begab und so an der Quelle studierte. Daher die Echtheit der Schilderung, die selbst der Ausländer fühlt, z. B. in den Landschaftsbildern an den Themseufern bei Nacht, oder in den Straßen im flackernden Schimmer der Laternen, die der braune Nebel mit seinen flutenden Bändern umflort. Freilich geht ihm eine Gabe bis zum gewissen Grade ab: das ist die konsequente Charakterzeichnung.
Ein feiner Kenner der Dickensschen Romane hat gesagt, sie gleichen fast ohne Ausnahme Märchen, die glaubhaft gemacht seien durch den meisterhaften Realismus, mit dem der Dichter die ganze Umgebung, das äußere Beiwerk zu schildern weiß. Und Johann Proescholdt bestätigt es, wenn er sagt: Jeder aufmerksame Leser wird bemerken, daß sich in den einzelnen Dickensschen