Warum musste Abel sterben?. Anselm Grün

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Warum musste Abel sterben? - Anselm Grün

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hat. Dann wäre Gott nämlich selbst zwiespältig und unheimlich, möglicherweise sogar bösartig und gefährlich.

      Was kann ein Mensch bei solchen Voraussetzungen und Möglichkeiten tun? In unserem Text ist es die Frau, die das Entscheidende unternimmt. Sie ist es, die sich auf die Seite Gottes schlagen will, indem sie das Gebot Gottes noch einmal wörtlich formuliert: »So hat der Schöpfer gesprochen, von allen Bäumen im Garten dürft ihr (»selbstverständlich« muss man hinzufügen) essen, nur von dem Baum in der Mitte des Gartens, hat er gesagt, esst davon nicht.« Etwas später heißt es dann im Text, dass die Frau genau das tun wird, was sie eigentlich für nicht denkbar hielt und dessen sie sich innerlich verweigerte.

      Sie zitiert das Gotteswort buchstäblich mit einer einzigen, aber dadurch alles verändernden Abwandlung: »Gott hat gesagt«, so legt sie dem Allmächtigen in den Mund, »rührt an diesen Baum überhaupt nicht, denn sonst werdet ihr sterben«. Was ist geschehen, dass sie das Wort Gottes so, wie es gesagt wurde, gar nicht wiederholen kann, sondern etwas hinzufügt, eine Radikalisierung: »Rührt nicht daran!« Was könnte dahinterstecken?

      Eine Handbewegung würde genügen und Gott stünde bereit. Er wäre wie ein Rächer und könnte den Menschen vernichten. Das würde bedeuten, Gott ist an dieser Stelle der Erzählung nicht mehr der Beschützer und Erhalter des menschlichen Lebens, sondern es wäre ihm zuzutrauen, dass er den Menschen für ein geringes Vergehen verurteilt und vernichtet. Die gesamte Beziehung zwischen Gott und Mensch wäre dann plötzlich durchtränkt von einer überdimensionalen Angst. Mehr noch: Der Mensch selbst müsste Angst haben, er könnte das Unausdenkbare wirklich tun und daher vor sich selbst auf der Hut sein, weil er jederzeit, getrieben von Begierde, nach dem Baum greifen könnte. Er müsste auch vor dem eigenen Inneren, seinem Selbst Angst haben. Und darüber hinaus: Auch die Welt, die um ihn herum ist, wäre nicht mehr so, wie er sie vorfand. Denn in seinem Inneren fühlte er sich getrieben, der Schlange zu folgen, weil es anscheinend keinen anderen Weg zum Glück mehr gibt, als von diesem Baum zu essen. Nur, indem das Verbotene getan wird, winkte dem Menschen noch die Fülle des Lebens. Denn mit dem Essen des Apfels gingen den Menschen die Augen auf und sie würden erkennen, dass sie nackt sind. Das waren sie zwar schon immer und es fühlte sich ursprünglich auch gut an. Einander begegnen zu dürfen in der Wahrheit des eigenen Wesens, voller Vertrauen, geliebt zu werden für das, was wir sind, wäre eine Auszeichnung und der Begriff von Nähe, Gemeinsamkeit, Zärtlichkeit, Verschmelzung. Jetzt aber bedeutete nackt zu sein plötzlich etwas ganz anderes. Es wäre identisch mit Sich-ausgesetzt-Fühlen unter den Augen des anderen. Es wäre durchtränkt von einem bedrohlichen Schamgefühl. Mit einem Mal würde sich der Mensch so fühlen, dass er sich, auf den anderen bezogen, als nicht mehr zumutbar empfindet.

      Was hat sich in dieser Situation, in dieser Szene geändert? Was meinen wir, wenn wir von Gott reden? Im Grunde doch nur das Eine: dass es eine Hand gibt, die uns einhüllt wie ein Gewand und uns beschützt aufwachsen lässt. Dann, nach der Veränderung, nach dem Essen des Apfels, wissen die Menschen plötzlich so wie Gott selbst, was es heißt, nur Kreatur zu sein. Und nun wird auch verständlich, was Gott mit seinem Verbot eigentlich meinte: Es gibt nur einen Weg, dass Menschen erfahren und wissen, was es bedeutet, Kreatur ohne den Hintergrund ihres Schöpfers zu sein. Das ist dann der Fall, wenn sie von Gott abfallen und der Angst mehr glauben als der Liebe, dem Egoismus und dem Narzissmus mehr als der Gemeinsamkeit und der Beziehung. Und genau das hätten die Menschen nie kennenlernen sollen und dürfen: wie unglücklich geschaffene Wesen sein müssen, wenn sie mit dem Schöpfer nicht mehr in Einklang sind. Das ganze Dasein auf der Seite Gottes ist voller Glück, freudvoll, erfüllt, bereichernd, zuversichtlich, voll Hoffnung und Vertrauen. Und dasselbe Dasein, ohne jede Änderung in den Strukturen, kann ohne die Einheit mit Gott unglücklich bis in die tiefsten menschlichen Empfindungen hinein sein. Das ist es, was Gott den Menschen sozusagen vorenthalten wollte. Das wusste nur Gott, und es sollte den Menschen erspart bleiben.

      Die Schlange hatte eigentlich ganz Recht. Sie sagte: »Ihr werdet weise sein und Wissende. Aber ihr werdet nackt dastehen und euch selbst nicht ertragen in eurer eigenen Selbsterkenntnis.« Sie hat nicht einmal gelogen, sondern ihr Versprechen gehalten. Sie hat nur nicht gesagt, dass das, was sie den Menschen gibt, ihr Ruin sein wird.

      In der Lebensgeschichte jedes Einzelnen gibt es die Erfahrung, dass er aus einem individuellen Paradies verjagt werden muss: die Nähe und die Versorgung durch die Mutter. Es ist der Augenblick, da die Einheit zwischen Mutter und Kind zerbricht, indem zum Beispiel ein Nahrungsverbot in Form von Abstillen wirksam wird. Für das Kind aber werden die frühen Erfahrungen von Verwöhnung schmerzlich in Erinnerung bleiben. Es wird sich bestraft fühlen für seine Maßlosigkeit und die ersten Anfänge eines tiefsitzenden Schuldgefühls in sich aufnehmen. Das Schuldgefühl, das sich am stärksten in uns breitmacht, bezieht sich nicht auf das, was wir moralisch falsch gemacht haben, sondern es richtet sich auf das, was wir selbst sind. Diese Schuldgefühle sind aber unvermeidbar. Sie werden innerlich wie eine ausweglose Situation empfunden, denn wir sind dazu verpflichtet, Nahrung aufzunehmen, damit wir überleben. Das heißt also, wir müssen dadurch, dass wir existieren, anderen etwas wegnehmen bzw. etwas in Anspruch nehmen, was andere dann nicht erhalten können. Wir benötigen Kleidung und Geld, Zuwendung und Arbeit. Dadurch, dass wir leben, verdrängen wir einen anderen. Auf der Welt zu sein und schon dadurch schuldig zu werden, das ist von einem bestimmten Moment an nicht zu widerlegen.

      Keine Mutter wird in der Lage sein, ihrem Kind restlos die Zusage zu geben, dass es nur gemocht, nur umfangen, nur erwünscht auf die Welt gekommen ist. Irgendwo beschleicht uns immer der Zweifel, ob es nicht ganz anders besser sein könnte. Diese Lücke des Zweifels ins Absolute getrieben, lehrt uns die Geschichte aus der Genesis zu verstehen. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass der Zweifel auf der Seite des Menschen steht. Aufseiten Gottes hat sich nicht das Geringste verändert. Er bleibt wie er ist und was er ist. Sein Blick auf den Menschen ist immer der gleiche. Nur aufseiten des Menschen ist alles anders geworden. Er muss jetzt die Entscheidung treffen, ob er die Nähe seines Gottes wie einen Segen und einen Trost, wie Geborgenheit empfindet, oder wie einen Fluch, eine Bedrohung, wie etwas Unheimliches, dem es auszuweichen gilt. Das entscheidet sich nicht an Gott, aber an der Art, wie wir Menschen ihn erleben.

      Es ist etwas Rätselhaftes, dass Gott uns fragen muss, wo wir sind, und wir fürchten nichts mehr, als darauf Antwort zu geben. In jeder wirklichen Lebenskrise, wenn wir uns selbst wie etwas Unmögliches vorkommen, das sich, wenn möglich, verkriechen möchte, oder uns beschämt fühlen, hören wir diese Frage Gottes: »Wo bist du?« Immer, wenn wir glauben, niemand dürfte uns so, wie wir sind, sehen, wir müssten uns selbst anders darstellen und unsere kritischen Eigenschaften und Charakterzüge verhüllen, hören wir doch im Untergrund die geheime Stimme, die fragt: »Wo bist du?« Es bedeutet immer: »Wer bist du denn eigentlich?« Und weiter: »Welcher Weg hat dich denn dorthin geführt, wo du bist?«

      Viele haben das Gefühl: Wenn andere herausbekommen, wie ich wirklich bin, ohne Maske, ohne Fassade, dann ist alles verloren. Das darf auf keinen Fall passieren. Die Nähe eines anderen Menschen ist oft nur auszuhalten, indem man Masken trägt. Es ist schwer möglich, wahrhaftig zu sein, solange das Eingeständnis der Wahrheit das Leben vernichtet, an das man sich klammert. Und genau das ist ein Teil der Geschichte im Buch Genesis. Wenn denn schon Gott alle Schuld kennt, wenn es kein Ausweichen mehr gibt, dann zumindest eine Ausrede: Man ist schuldig geworden, indem man unschuldig geblieben ist, denn man konnte nichts dafür, man ist nicht zuständig für das, was man getan hat, man war nie man selbst, sondern von außen gelenkt, durch fremden Einfluss, für den man nichts konnte. Eigentlich war man nie der Täter, sondern selbst Opfer. Doch diese Gedankengänge, diese Entschuldigungen haben wir im Angesicht Gottes nicht nötig. Denn er verhält sich durchgängig gleich. Er, der Allmächtige, wird kommen und uns am Ende mit unseren Minderwertigkeits- und Schamgefühlen annehmen und zu verstehen suchen. Noch deutlicher und sinnfälliger zeigt sich dies in der Gestalt des Jesus von Nazaret: Er wollte, dass wir das Bild eines strafenden Gottes endgültig aufgeben. Er wollte, dass wir nicht länger glauben, Gott erwarte den perfekten, reinen, disziplinierten Menschen. Er machte immer wieder klar, dass wir an einen Gott glauben sollen, der den Verzweifelten nah ist, sich um die Zerbrochenen sorgt und den

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