Warum musste Abel sterben?. Anselm Grün

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Warum musste Abel sterben? - Anselm Grün страница 5

Автор:
Серия:
Издательство:
Warum musste Abel sterben? - Anselm Grün

Скачать книгу

nur, dass ihr mich liebt« von Rainer Werner Fassbinder bildet sich die Geschichte von Kain und Abel in einem gewissen Sinn ab. Er erzählt von einem jungen Mann, der zum Mörder wird, weil er auf verzweifelte Weise die Liebe seiner Freundin erringen möchte. Er tut alles, was er kann: bringt Blumensträuße, die überdimensioniert sind, schreibt Briefe und wirbt um sie in einem Übermaß. Sie hält das nicht aus und empfindet es als Belästigung. Sie fühlt sich von ihm bedroht, sodass sie ihm so gut wie möglich aus dem Weg geht. Er aber erlebt dies als Ablehnung und Zurückweisung, was ihn so in seinem Selbstwertgefühl kränkt, dass es zu der Mordtat kommt, die es ihm dann noch unmöglicher macht, von irgendjemandem geliebt zu werden.

      Warum ist das so? Wenn wir noch einmal auf unseren biblischen Text blicken, so schaut Gott auf Abel und seine Gabe, aber auf Kain schaut er nicht. Wieso hat Gott nicht beide in gleicher Weise angeschaut? Liegt nicht darin auch eine Mitschuld an dem Mord?

      Wenn wir so fragen, werden wir in die Irre gehen. Denn was die Bibel in dieser Geschichte erklärt, ist erschütternd: Gott bleibt, wie er ist. Auf der Seite Gottes hat sich nichts verändert. Aber auf der Seite der Menschen erscheint es ganz anders. Daraus entsteht das Problem. Kein Mensch kann in dem Gefühl, abgelehnt zu sein, an irgendeinen gerechten Gott glauben. Für ihn wird es viele Gründe geben zu sagen: Der andere neben mir ist der Attraktivere, der Bessere, der Wichtigere, unabhängig davon, worauf sich diese Annahme gründet. Irgendetwas hat der andere, was man selbst nicht hat, und manchmal ist es nur, dass er anders ist. Das Gefühl, selbst wertlos zu sein, ist oft so tief verwurzelt, dass es sich buchstäblich in jeden anderen hineinprojiziert. Es ist ein ständiger Kampf des einen gegen den anderen, der aus dem Gefühl entsteht, abgelehnt und nicht akzeptiert zu sein. Wir müssen davon ausgehen, dass dieses Gefühl Kain begleitete. Er hat alles gegeben, was er hatte. Er hat alles getan, was er konnte. Mehr ist ihm nicht möglich. Und nun mit ansehen zu müssen, dass sich am Ende alle seine Bemühungen, alle Anstrengungen nicht gelohnt haben, ist für ihn nicht auszuhalten. Er fühlt sich abgeschoben und in die zweite Reihe gestellt.

      Stellen wir uns eine Familie vor. Die Mutter übertrug nach der Geburt des zweiten Kindes ihre Mutterliebe von dem erstgeborenen, schwierigen Sohn (Kain) auf den fröhlichen und zugewandten zweiten Sohn (Abel). Kain erleidet dann den Rückzug der Mutter als lebensbedrohend. Sie wird sich mit Kain auseinandersetzen und ihn dafür zurechtweisen, wenn er auf seinen Bruder Gefühle wie Zorn, Hass und Neid entwickelt. Doch wenn die Mutter ihn schon ablehnt, gibt es noch immer den Vater. Stellen wir uns ihn als einen verschlossenen, wortkargen Menschen vor, so wird auch dieser ihm nicht die Angst nehmen können, nun abgeschoben und ungeliebt zu sein. In seinem Roman »Jenseits von Eden« hat John Steinbeck die Geschichte von Kain und Abel romanhaft verarbeitet. Er beschreibt zwei Brüder namens Caleb und Aaron, die beide um die Liebe des Vaters ringen. Der Vater hat aber Aaron lieber als Caleb. Caleb versucht auf unterschiedliche Weise, sich die Anerkennung seines Vaters zu erwerben, zum Beispiel, indem er Bohnen zieht und diese gut verkaufen kann, um damit die Schulden seines Vaters zu begleichen. Der Vater nimmt aber das Geld nicht an. Aaron hingegen wird von seinem Vater immer gelobt und bevorzugt. Caleb ist so verzweifelt, dass er seinem Bruder Aaron erzählt, seine Mutter sei eine Hure geworden. Die Scham über die Mutter führt dazu, dass sich Aaron freiwillig zum Kriegsdienst meldet – in dem er möglicherweise umkommen wird.

      Es ist die bekannteste Geschichte der Welt, schreibt Steinbeck, denn sie ist jedermanns Geschichte. Es ist die sinnbildliche Geschichte der menschlichen Seele. Die größte Angst, die ein Kind befallen kann, ist die, nicht geliebt zu werden. Jeder Mensch hat wohl in größerem oder kleinerem Ausmaß solche Gefühle verspürt, die in der Folge in Zorn und Hass münden und zu Taten führen, die uns schuldig werden lassen. Das ist ein Mechanismus, der in die Geschichte der Menschheit eingegraben ist. Darin liegt vieles begründet: Ein Kind, dem die Liebe verweigert wird, nach der es sich sehnt, lebt seine Aggressivität manchmal dadurch aus, dass es Spielsachen zerstört oder Tiere quält. Andere stehlen, um sich mithilfe von Geld oder Dingen Liebe zu sichern. Immer wieder resultiert daraus Schuld und Rache und weitere Schuld. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das Schuldbewusstsein kennt, auch wenn es nur kurz aufscheint. Darum ist diese alte biblische Geschichte so bedeutsam, weil sie ein Spiegel der verborgenen, verworfenen, schuldbewussten Seele ist. Äußerst verzweifelt sieht Kain sich ungesehen und abgelehnt – mit einer einzigen Erklärung: Es gibt neben ihm Abel, seinen Bruder. Er ist der Bessere, der Bevorzugte. Könnte er ihn ausschalten, wäre alles gut. Er wäre dann endlich allein mit seinem Gott und kein anderer könnte sich mehr dazwischenschieben.

      In vielen Familien stellt es sich genauso dar: Da kommt eine jüngere Schwester oder ein Bruder zur Welt. Schon das genügt, um ein labiles Gleichgewicht zwischen Mutter und Kind, Vater und Kind zu erzeugen. Dieses neue Kind ist »überzählig«, es ist zu viel auf der Welt, zumindest in den Augen dessen, der sich einfach durch die Anwesenheit des anderen aus seinem Paradies vertrieben fühlt. In anderen Familien erscheint dem Jüngeren der Ältere über alle Maßen bevorzugt. Er darf Dinge, die es selbst nicht darf. Mit ihm tauschen die Eltern Gedanken aus, die sie ihm selbst vorenthalten. Allein der Altersunterschied kann so viel an Neid heraufbeschwören, dass das Zusammenleben unter den Geschwistern umso schmerzlicher werden muss, je weniger sie der Liebe ihrer Eltern gewiss sind.

      Dies, generalisiert betrachtet als Verhältnis unter all den menschlichen Schwestern und Brüdern, ist die Geschichte von Kain und Abel. Wäre der andere erkennbar schlechter, so könnte man gut mit ihm leben. Aber gerade die Eigenschaften, die gut an ihm sind, die man loben müsste, die eine Auszeichnung verdienen, werden zur Gefahr. Um Gefühle jedoch grundsätzlich zu ändern, müsste der eine dem anderen sagen: »Als mein Bruder bist du nicht mein Feind, nicht meine Konkurrenz, du nimmst mir nicht das weg, was ich brauche, sondern ich erkenne dich an in deinen Vorteilen und Vorzügen.« Eine solche Aussage kann nur treffen, wer selbst das Gefühl hat, anerkannt und akzeptiert zu sein. Wie schwer das ist, zeigt uns die vorliegende Geschichte. Kain wird sein ganzes Leben lang umgetrieben, er wird seine Heimat finden in der Heimatlosigkeit, Grund finden in der Grundlosigkeit und zu Hause sein im Unbehausten.

      So erleben wir, dass die Bibel an dieser Stelle eine bittere, fast bösartige Kulturgeschichte der Menschen nacherzählt. Es endet damit, dass der Mörder Kain auf einem verfluchten Boden als Flüchtling sesshaft wird und später sein Sohn Henoch zum Gründer der ersten Stadt heranwächst. Das gibt uns Hoffnung, dass Gott trotz der furchtbaren Tat ihn und seine Nachkommen nicht verlässt.

      Die altjüdische Konflikt- und Mordgeschichte von Kain und Abel ist noch nicht zu ihrem Ende gekommen. Nach mehr als zwei Jahrtausenden erscheint sie immer noch als schmerzliche Zeitgeschichte der Menschheit. Das Lebensmuster aus Aggressivität und Lebenswillen, Mord und Erkennen, aus Verweigerung, Frust und Flucht zeigt sich hier exemplarisch. Die Aktualität des Konfliktes in dieser Geschichte kann unserem sozialen Blick auf die biblische Geschichte und unserer eigenen Gegenwart helfen. Das Schwierigste zwischen den Menschen ist bis heute das Zusammenleben in Frieden. Eine geschwisterliche Gesellschaft – wer wollte das nicht? Dann müsste auch der andersartige und sogar der konkurrierende Kain Bruder bleiben oder werden dürfen. Dies wäre der biblische Auftrag seit den Tagen nach dem Entstehen dieser Geschichte.

      Möglich ist dies, wenn wir spüren, dass wir Vertrauen in Gott haben dürfen: geliebt zu werden, nur weil wir sind. Dies wäre das Fundament, um Hass, Feindschaft, Mord und Krieg untereinander zu überwinden.

      Bernd Deininger

      Nur wenige Geschichten in der Bibel sind so gut erzählt, aber auch so bedrückend wie die Szene, als Abraham mit seinem Sohn Isaak am Berg Morija steht. Die Geschichte mit dem zentralen Thema der Opferbringung wird auch in der Malerei stark rezipiert. Erstaunlich ist, dass die Verteilung der Rollen im Wesentlichen klar zu sein scheint: Abraham ist das Subjekt der Handlung, Isaak das Objekt. Unschlüssigkeit gibt es lediglich hinsichtlich des Alters des Sohnes. Einmal wird von ihm als Kind, dann als Jüngling, später als erwachsenem Mann berichtet.

      Die rabbinische Literatur, die vom ersten nachchristlichen

Скачать книгу