Warum musste Abel sterben?. Anselm Grün

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Warum musste Abel sterben? - Anselm Grün

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wer eigentlich das Opfer ist, gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen. Einmal ist Abraham das Opfer, dann Sara, die Ehefrau Abrahams und Mutter Isaaks, in anderen Schriften ist es Isaak im Sinne einer Selbstopferung. Im Judentum lautet der traditionelle Titel der Erzählung: »Die Bindung Isaaks«. Versucht man aber nun eine Gesamtschau auf das Geschehen, so beherrscht Abraham als Zentralfigur die Szene, wohingegen Isaak eher benutzt wird und dem Vater ausgeliefert ist. Die Bereitwilligkeit, mit der Isaak den Anordnungen seines Vaters folgt, scheint im Alter Isaaks begründet zu liegen. Das Lebensalter Isaaks wird daraus abgeleitet, dass Sara ihn in ihrem 90. Jahr empfangen hat und im Alter von 127 Jahren starb. Nachdem Sara unmittelbar nach der Nachricht, dass Isaak nicht geopfert wurde, stirbt, wäre er also bei seiner Bindung am Berg Morija 37 Jahre alt gewesen. Dies würde dafür sprechen, was die rabbinische Tradition immer wieder betont, dass Isaak durchaus freiwillig gehandelt hat und als erwachsener Mann auch Möglichkeiten gehabt hätte, die Bindung zu verweigern. Die rabbinische Überlieferung betont zudem, dass beide, Abraham und Isaak, einmütig gehandelt haben. Vater und Sohn gehen gemeinsam entschlossen den Weg – Abraham, um zu binden, und Isaak, um gebunden zu werden.

      1843 erschien unter dem Titel »Furcht und Zittern« eine Schrift von Sören Kierkegaard, die die Szene auf dem Berg Morija zu beschreiben versucht. Dabei geht es Kierkegaard wesentlich darum, durchzuspielen, welche Reaktionen im inneren Erleben von Menschen möglich sind, wenn sie sich ganz auf diese Geschichte einlassen. Der Auftrag Gottes, der völlig außerhalb jedes Denkhorizonts zu liegen scheint, lautet: »Geh und opfere deinen Sohn.«

      Wäre es nicht denkbar, so konstruiert Kierkegaard, dass Abraham vermutet, Gott könne so etwas gar nicht von ihm fordern, also sei es eine Versuchung, der es zu widerstehen gilt. Wenn dies so wäre, dann wäre Abraham nicht so mächtig in die Geschichte des Alten Testaments eingegangen und nicht der Stammvater des Glaubens geworden. Für Kierkegaard erscheint es wesentlich, die Bibel so zu lesen, dass sich jeder Mensch, der sich mit diesen Texten befasst, existenziell betroffen fühlt. Er versucht sie in das innere Erleben der Menschen hineinzuziehen, weshalb die wichtigste Frage für ihn ist: Was bedeutet das, was da steht, wenn es dir persönlich gesagt würde und was spielt sich in deinen Gefühlen und Gedanken ab, wenn du die Worte so hörst, als ob sie direkt zu dir gesprochen würden? Kann es sein, dass sich an dieser kleinen biblischen Erzählung erklären lässt, was oder wie Gott ist? Und weiter: Was wäre das für ein Gott, der damit droht, ganz wesentliche menschliche Beziehungen, also die zwischen Vater und Sohn, in dieser Art zu zerstören? Beschreibt uns die Bibel hier tatsächlich einen Gott, der Gehorsam befiehlt bis hin zu Sadismus und zur Grausamkeit? Sollte diese Opferung tatsächlich der Wunsch Gottes gewesen sein, dann wäre es das existenziell Bedrohlichste, was möglich wäre, um Gott zu gehorchen. Dann wäre dem Sadismus und der Gewalt im Namen Gottes Tür und Tor geöffnet.

      Es ist deshalb eine zentrale Frage, die sich jeder religiöse Mensch zu stellen hat, was Gehorsam gegenüber Gott ist. Und wenn wir diese Frage nicht wirklich beantworten, dann verstehen wir etwas Wesentliches in der Bibel nicht. Am einfachsten wäre es, wenn wir uns unserer individuellen Verantwortung nicht stellen wollen, die Frage an die soziale Gruppe oder an das Kollektiv zu delegieren. In der Regel wäre es dann die Gruppe, die Gemeinde der Gläubigen bzw. die Kirche, die sagt, wie ein entsprechender Gottesbefehl auszulegen ist. Im christlichen Abendland hat aber gerade dieses Vorgehen eine lange und schlimme Tradition: zu gehorchen, wegzuschauen, den Kopf in den Sand zu stecken und sich zu weigern, eine eigenständige Position zu entwickeln. In der Kirchengeschichte gibt es unzählige Beispiele von blindem Gehorsam, die viel Unheil angerichtet haben. Insbesondere nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus muss uns ein solcher blinder Gehorsam unheimlich geworden sein.

      Wir wünschen uns heute in den Schulen für unsere Kinder eine Pädagogik, die Mut macht, an sich selbst zu glauben und die Sensibilität für eigene Entscheidungsfähigkeit einübt. Wir wünschen uns, dass jeder Mensch zu den Dingen Zugang findet, an denen er wachsen und reifen kann. Menschliches Lebensglück ist davon abhängig, ob dies in den entscheidenden ersten zehn Lebensjahren gelingt. Aber, so könnte man einwenden, besteht dann nicht die Gefahr, dass eine solche Perspektive den Egoismus fördert? Selbstfindung und Selbstverwirklichung kann durchaus auch heißen, auf die Umwelt und Mitwelt nur bedingt zu reagieren. Jeder Mensch muss jedoch auch lernen, sich in seinem erwachsenen Leben in unterschiedlicher Weise auf Situationen einzulassen und sie auszuhalten bzw. Opfer zu bringen.

      Wenn wir einen Blick auf die Kulturen und Religionen der Welt werfen, wird in vielen sehr genau beschrieben, wie Opfer gebracht werden müssen, um Glück zu gewinnen. Bei den Azteken waren Menschenopfer nötig, um die Sonne zum Leuchten zu bringen. In der griechischen Antike beschreibt der Dramatiker Aischylos, dass Agamemnon seine Tochter Iphigenie zu opfern habe, damit die Windstille beseitigt werde, um die Schiffe vor Troja in Fahrt zu bringen. Im Buch der Richter im Alten Testament wird erzählt, dass Jiftach auszieht, um Israel gegen den Angriff der Feinde zu verteidigen, und er verspricht, dass er bei einem Sieg aus Dankbarkeit für das Glück im Kampf seine eigene Tochter opfern wird. So altertümlich und legendenhaft das klingt, ist es nicht dennoch ein Teil unserer Wirklichkeit?

      Wenn wir uns in unserer unmittelbaren Nähe oder in unserer Gesellschaft umblicken, gibt es viele Menschen, die glauben, etwas opfern zu müssen, um Größeres zu erreichen. Eltern erklären auch heute noch ihren Kindern, dass sie Verzicht üben müssen, bevor sie »richtig leben« können: Erst muss ein Haus gebaut werden, erst muss die wirtschaftliche Lage gesichert sein. Bevor etwas angeschafft wird, muss gespart werden. Das Leben vertröstet sich auf morgen, und ein Tag nach dem anderen wird für eine Zukunft geopfert, die möglicherweise nie eintritt.

      Wie viele von uns hatten schon den Gedanken: Diese Situation muss ich jetzt aushalten. Ich muss mich ein- und unterordnen, mich unter Umständen auch quälen und missbrauchen lassen, damit ich in eine bessere Zukunft komme. Das Gefühl, Opfer bringen zu müssen, um sich im Leben und in der Gesellschaft einen angestrebten Platz zu erwerben, scheint für viele Menschen normal zu sein. Ohne Schmerz gibt es kein Glück. Das heißt aber auch, dass eine Form des verinnerlichten Sadismus zu den Selbstverständlichkeiten unseres Lebens gehört. Wenn wir das auf die Religion übertragen, sehen wir, dass es noch immer viele gibt, die glauben, näher bei Gott zu sein, indem sie ihre Triebregungen, ihre Neigungen, ihre Vorstellungen und Fantasien, die sie als unmoralisch empfinden, opfern.

      Versuchen wir nun die Geschichte Abrahams und Isaaks auf eine andere Weise zu verstehen und an die Stelle des Gehorsams und des Opfers einen anderen Blick zu setzen. Abraham wird von Gott in eine Lage gebracht, in der er nicht einmal seiner Frau Sara erklären kann, welchen Befehl er erhalten hat. Ethisch betrachtet ist das, was er tun soll, ein Verbrechen. So versucht der Patriarch die argwöhnische Frau und Mutter zu hintergehen. Er sagt zu Sara: »Bereite uns Speise und Trank, wir wollen essen und fröhlich sein!« Als sie dann mitten im Essen waren, sagte er: »Du weißt, dass ich im Alter von drei Jahren meinen Schöpfer erkannt habe; der Knabe ist nun groß und ist nicht eingeweiht. Es gibt aber einen Ort, nicht sehr weit von uns, wo selbst die Knaben eingeweiht werden. Ich will ihn nehmen und dort einweihen.« Sie antwortet: »Gehe in Frieden.« Er brach schon morgens früh auf, da er Angst hatte, dass seine Gemahlin Verdacht schöpfen könnte, dass irgendetwas nicht stimmt. Die Angst, die Sara um ihren Sohn hat, zeigt sich dann später in der fürsorglichen Liebe des Sohnes zu seiner Mutter. Diese kommt in der letzten Bitte Isaaks bei seiner Bindung zum Ausdruck: Er fürchtet, die Nachricht von seiner Opferung könnte die Mutter zu einer tödlichen Kurzschlusshandlung veranlassen. Tatsächlich ist es dann auch so, dass Sara im Folgekapitel stirbt, möglicherweise als Reaktion auf Isaaks Bindung, wenngleich die Opferung nicht vollzogen wird.

      Insofern wäre der Tod Saras durchaus auch als ein Gradmesser der latenten Grausamkeit des göttlichen Befehls und väterlichen Gehorsams zu verstehen. An dieser Stelle ist es nun aber wichtig zu fragen, wie von Gott gesprochen wird. Wenn wir uns fragen, was Gott will, so könnten wir darauf verweisen, dass es wichtig wäre, die Zehn Gebote einzuhalten. Es ist nötig, zumindest die Bergpredigt zur Kenntnis zu nehmen, um danach zu leben. Dies wären zumindest zwei wichtige Aspekte, die aus der Bibel direkt herauszulesen sind. Für viele Menschen spricht Gott aber auch dadurch, wie Theologen und die Kirche ihn auslegen, also durch

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