Fehlalarm!. Leopold Stummer

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­Verständnishilfe und allgemeine ­Beschreibung der Problematik

      In den entwickelten Gesellschaften westlichen Typs lebt heute die überwiegende Anzahl der Menschen länger, gesünder und in besseren materiellen Verhältnissen als jemals zuvor. Diese Aussage kann so von den meisten Menschen nicht ohne weiteres anerkannt werden. Die Frage: »Warum geht es gerade mir so schlecht, obwohl es doch allen so gut geht?«1, verlangt nach einer individuellen und überzeugenden Antwort.

      Perfektes Glücksgefühl ist nicht auf Dauer zu erzielen, wahrscheinlich nicht einmal durch eine Elektrode im Gehirn, die permanent das Lustzentrum reizt. Im Tierversuch2 hat sich erwiesen, dass derart »beglückte« Tiere auf Nahrungsaufnahme, Trinken, soziale Interaktion (z. B. Sex), etc. völlig vergessen – es handelt sich also eigentlich um die ultimative Droge.

      In der Realität gilt aber das Gegenteil: Immer passt irgendetwas nicht.3 Und da man sich selbst nur ungern als zimperlich, mimosenhaft oder verweichlicht sehen will, muss die Misere, die uns plagt, außerhalb unseres Selbst und auch einigermaßen beeindruckend sein.

      In alter Zeit waren die Erklärungsmodelle fürs Unwohlsein relativ einfach. In jeder Mythologie gibt es dafür einen Haufen Götter, deren Spektrum an Merkmalen von »zu schrägen Scherzen geneigt« bis »typischerweise bösartig« reicht. Besonders die letztgenannte Sorte durch Showdarbietungen, Opfer, Immobilien, Tempelprostituierte, etc. etc. ruhig zu halten, war die Aufgabe von Priestern. Ihr Marketingargument lautet: »… gib uns einen Anteil von deinen Gütern (z. B. 10% von allem), und wir sorgen absolut zuverlässig (!) dafür, dass Gott die Sonne morgen wieder aufgehen lässt.« Dies erweist sich bis heute als bequeme und sichere Einkommensquelle. Außerdem beruhigte die Priesterschaft, sie würde sich für einen geringfügigen Aufpreis persönlich um gesteigerte Fruchtbarkeit von Vieh und Weibern kümmern.

      Der noch immer sehr weit verbreitete Gott Jahve ben ­Sinai ist dafür ein gutes Beispiel. Insgesamt sind in der Bibel über tausend Gewaltakte von Gott gegen Menschen verzeichnet worden, im Vergleich dazu nur ca. 600 von Mensch gegen Mensch. [1] Obwohl er als Monotheistengott natürlich alles immer selber machen musste, sind die einschlägigen Berichte voll von Naturkatastrophen, kollektiven und individuellen Racheakten, verordneten Massakern, Genoziden und überaus schrägen4 Anordnungen.

      Zusätzlich gab es früher tatsächlich viele echte Desaster: Kriege, Seuchen, Hungersnöte, Massenspinnereien wie Hexenjagden, Kreuzzüge o. Ä., mangelnde Rechtssicherheit, … ja, sogar echte, leibhaftige Wölfe (Canis lupus). In Zeiten, da ein Schluck Wasser, eine kleine Verletzung oder ein loses Wort zu einem (von Gottes Gnaden) Höhergestellten leicht tödliche Folgen haben konnte, war eine Begründung für subjektives Unwohlsein wohl nicht sehr schwer zu finden.

      Aufklärung, bürgerliche Revolution, säkulares Weltbild, Aufstieg der Naturwissenschaften – alle diese »Neuerungen«, obwohl vielfach bis heute heftig bekämpft, führten langsam (sehr, sehr langsam!) zu einer Änderung der Verhältnisse. Es begann vielen Menschen besser zu gehen, zumindest in jenen Regionen, in denen die genannten Einflüsse auch tatsächlich wirksam wurden. Natürlich galt es, noch einige von Gottes Gnaden stammende Fragen zu klären, einige Ideen wurden missverstanden, viele Widerstände mussten (und müssen noch) überwunden werden, aber im Großen und Ganzen rührte sich doch ein bisschen was. Die Menschen wurden (an diesen Orten) gesünder, besser genährt, relativ weniger oft in Kriegen vernichtet, und darum auch älter.5

      Zufriedenheit oder womöglich sogar Glücksgefühle treten zwar immer wieder auf, sind aber leider meist von kurzer Dauer. Schließlich wird man auch nach einem köstlichen Essen wieder hungrig, nach einem noch so ruhigen Schlaf wieder müde, nach einem besonders befriedigenden sexuellen Erlebnis wieder … usw. Es bleibt nicht! Und das scheint auch noch naturgesetzlich zu sein. Wie bei allen unvermeidbaren unangenehmen Wahrheiten – z. B. der Gewissheit der eigenen Sterblichkeit – setzen Ablenkungs- und Verdrängungsmechanismen ein, die uns vor der ungeliebten Wirklichkeit zwar nur scheinbar bewahren, diese aber zumindest verdaulicher machen.

      Begreiflicherweise ist dort, wo sich ein Markt entwickelt – in unserem Fall der Bereich rund um das psychische Bedürfnis nach eingebildetem Schutz vor aufgebauschten Gefahren – ist die Versuchung groß, diesen Markt auch zu bedienen. Wenn man ein Wirtschaftsvolumen betrachtet, das von Esoterik (allgemeine, individuelle Lebensangst) über Religion (zuzüglich Sekten), privatem und öffentlichem Sicherheitsapparat, bis hin zu weltraumgestützten Überwachungsgeräten und dem gesamten militärisch-industriellen Komplex reicht, dann kann man wohl sagen, dass wir uns unsere Ängste etwas kosten lassen. Dieses Potential nicht auszuschöpfen wäre für jeden unternehmerisch gesinnten Geschäftsmann6 geradezu unverzeihlich.

      Über die individuelle Psyche hinaus existiert aber auch ein sozusagen naturgegebenes öffentliches Interesse an permanenter Panik. Ein anschauliches historisches Beispiel für diese These sind die »Pestregimina« des 14. und 15. Jahrhunderts. Die wiederkehrenden Pestepidemien waren bei einer geschätzten Sterblichkeit von 30–50% ganz sicher keine eingebildete oder übertriebene Bedrohung. Vermutlich hätte eine moderne technisierte Zivilisation wie die unsere kaum bessere Aussichten, eine Katastrophe dieser Dimension zu absorbieren, als die Gesellschaft des Spätmittelalters

      Von den verschiedenen »Experten« wurden Miasmen, Sternenkonstellationen, Ketzer, Juden, Sündhaftigkeit oder ganz allgemein der Zorn Gottes als Ursache der Seuche identifiziert. Empirisch hat sich mit der Zeit dann trotzdem erwiesen, dass bestimmte Maßnahmen einen gewissen – wenn auch geringen – Schutz bieten können. Solche Vorkehrungen wurden zunächst von oberitalienischen Städten angewandt und ständig verbessert (d. i. verschärft).

      Obwohl von vielen der »Experten« abgelehnt, wurden umfassende Verhaltensregeln gegen die drohende Pest, wie beispielsweise die rigorose Kontrolle von Personen- und Warenverkehr, durch die (zu Recht) verängstigte Bevölkerung als sinnvoll akzeptiert, vielerorts rundheraus gefordert, gelegentlich sogar befolgt. Allerdings wurden dann später auch eben diese massiven Eingriffe in vorher private Lebensbereiche häufig als unangenehm, unangemessen und unzumutbar empfunden.

      Neben der Beliebtheit des Prinzips »… die Regeln sollen nur für die anderen gelten, aber nicht für mich …« bemerkten viele, besonders die »einfachen« Menschen, dass die ursprünglich erwünschte obrigkeitliche Fürsorge ein wenig über das Ziel hinausgeschossen und kaum wieder abzuschütteln war. Gesundheitsbehörden waren gegründet worden und erhielten umfassende Befugnisse, oft zu Lasten der schon vorher etablierten Obrigkeit (die davon natürlich auch keineswegs begeistert war). Gewerbe und Handel wurden reglementiert und kontrolliert, Todesfälle registriert, Leichenschauen durchgeführt, Pässe ausgestellt, Quarantänen verhängt, etc. – und das alles natürlich auf Kosten der Betroffenen. »Auf Kosten« ist hier auch durchaus wörtlich zu nehmen, da die umfassenden Kontrollmaßnahmen und der wachsende bürokratische Apparat mit empfindlichen Sondersteuern finanziert wurden.

      Manche Historiker sehen in diesen bürokratischen Maßnahmen eine Keimzelle des Zentralismus der Neuzeit. »Von Geburt bis zum Tode begann der Staat nun, viele Aspekte des Alltagslebens zu inspizieren, zu verzeichnen und zu kontrollieren. Nicht die Pest wurde kontrolliert, sondern die Gesellschaft; die Sorge um die Gesundheit wurde zur Ausrede für Ordnungsmaßnahmen. Das Staatswesen (das die Bedürfnisse der Spitze befriedigte) musste erhalten werden – nicht etwa das einzelne Individuum, auch wenn es zu tausenden zu Grunde ging« [2]. Klarerweise wurden Bürokratie, Behörden, Einschränkungen, Kontrollen und all die anderen Maßnahmen keineswegs abgeschafft, wenn die Pest erst einmal erloschen war. Erfahrungsgemäß werden Kontrollmechanismen eben immer nur ergänzt, nie jedoch freiwillig verringert. Zeitgenössische Analogien, z. B. zu Terrorangst und »homeland security«, sind leicht erkennbar.

      Noch ein Faktor kann als allgemeines Merkmal einer Massenneurose gelten. Lang tradiertes falsches »Wissen« erweist sich als ungeheuer zählebig. Die biblische

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