Fehlalarm!. Leopold Stummer

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dass die Wölfe immer als Verlierer dargestellt wurden. Alles andere wäre Defätismus, Subversion oder schlichtweg Verrat gewesen.

      Als schließlich längere Zeit keine Wölfe mehr aufzutreiben waren und das Interesse und die Motivation der Bevölkerung schon wieder nachzulassen drohte,9 kam es zu einer erneuten Krise. Der Rat der Dorfwichtigen bemerkte an winzigen, beinahe ätherischen Anzeichen, dass die durch Wölfe verursachte zivile Ausnahmenotfallsituation kaum mehr jemanden interessierte. Kürzung der Spesen und Rücknahme der Abwehrmaßnahmen schwebten sozusagen fast greifbar über der Agora.

      Nach nächtelangen Beratungen gelangte der Dorfrat zu dem Schluss, dass wohl ein geändertes Bedrohungsszenario eingetreten sei. Die Experten wurden befragt, ob es nicht vorstellbar wäre, dass z. B. auch Bären Schafe fressen könnten. Die flexibleren der Experten riefen sofort: »Ja! Ja! Bär! Bär!« – Es müssten unverzüglich Maßnahmen gegen diese noch viel größere Gefahr getroffen werden. Die dämlicheren Experten bestanden darauf, zuerst einmal das Wolfsproblem grundsätzlich, endgültig und ein für alle Mal zu lösen. Natürlich gerade nach eben derjenigen Methode, deren Entwicklung sie demnächst, bei nur geringfügiger Erhöhung ihrer Mittel, vervollkommnen würden.

      Es kam alles, wie es kommen musste: Alte und neue Bärenexperten warnten eindringlich vor den lange verkannten Risiken durch die immanente Bärenplage (bzw. den lange unbekannten Risiken, hatte doch niemand in dieser Gegend jemals einen Bären gesehen!). Die Klatschweiber erzählten jedem immer wieder von den überaus schrecklichen Gefahren. Der Dorfrat dankte den Experten für die zum Glück noch rechtzeitig erfolgten Warnungen und versprach, unverzüglich Maßnahmen einzuleiten. Die Wolfssicherheitskräfte bildeten sofort eine »Sonderkommission Problembär«, der Zimmermann erklärte, wie die Zäune um die (mittlerweile schaffreie) Weide bärensicher verstärkt werden könnten, usw. usw.

      Kurzfristig drohte der »WolfBuster 600®« – ein verbessertes Nachfolgeprodukt des (zwar bewährten, aber trotzdem wenig eleganten und inzwischen auch schon veralteten) »Wolf-B-Gone®«-Sprays – zum kommerziellen Flop zu werden. Der immer noch etwas sonderbare, aber inzwischen steinreich gewordene Dorfbewohner, dessen sonstige Aktivitäten inzwischen nicht mehr belächelt oder gar offen verspottet, sondern nach Möglichkeit imitiert wurden, konnte jedoch glücklicherweise durch ein sofort vermarktetes Upgrade sein Produkt zum »Bearliminator Extended 599®« und damit zum überhaupt-noch-nie-dagewesenen Kassenschlager verbessern.

      Die Dorfbewohner hätten nun zufrieden sein können, allerdings waren sie – ohne es selbst zu bemerken – in eine Art Spirale geraten. Na ja, einige merkten es natürlich schon, aber je nach charakterlicher Veranlagung nützten sie die Lage schamlos aus, um sich selbst zu bereichern, oder – naserümpfend – fühlten sich weitaus überlegen und bezahlten die immer häufiger werdenden Steuern, Abgaben, Gebühren … mit hochmütiger Verzweiflung.

      Den Bären folgten (unvollständige Aufzählung): Hyänen, Löwen, Greife (ursprünglich eigentlich Krähen, aber zum Glück hatte das niemand bemerkt), Kentauren, Zyklopen, Harpyien, Gorgonen, Sirenen sowie die Hydra, Sphinx und Chimäre (besonders Letztere galt als äußerst tückisch).

      Obwohl alle diese Gefahren gerade noch knapp von der verängstigten Bürgerschaft abgewendet werden konnten, war das Leben im Dorf doch nie mehr wie früher. Der mittlerweile selbst zum Greis gealterte Junge bereute bitterlich, dass er seinerzeit »Wolf! Wolf!« gerufen hatte. Niemand wollte seine alte Geschichte noch hören. Er wurde von der Dorfjugend (die sich inzwischen nicht einmal mehr von Zombie-Cerberussen ängstigen ließ) verlacht und »Wopa! Wopa!« gerufen. Immer öfter dachte der inzwischen schon selbst beinahe weise gewordene ehemalige Junghirte, er hätte damals einfach die Klappe halten sollen. Bei den (damals noch) zahlreichen Schafen in der Herde wäre es vielleicht gar nicht aufgefallen, wenn eins fehlte – und er hätte sich im Lichte des inzwischen Vorgefallenen bestimmt sehr, sehr bemüht, dass nie wieder ein Wolf ein Schaf aus seiner Herde fräße, und selbst wenn, dann hätte er das Problem viel diskreter gehandhabt.

      Es gab allerdings auch wirklich schlimme Auswirkungen: Da ein sehr hoher Anteil der gemeinsamen Bemühungen des Dorfes für die Abwehr der immer gefährlicher werdenden Bedrohungen gebraucht wurde, begann es bald an anderen Dingen zu mangeln. Die Greise des Dorfes, die früher immer von irgendeiner freundlichen Dorfbewohnerin nebenbei mit Essen versorgt worden waren, mussten zunehmend selbst für ihre Ernährung sorgen. Die Kinder, die früher von einigen Dorfbewohnern beaufsichtigt wurden, blieben sich selbst überlassen, weil keiner mehr Zeit für sie hatte. Viele etwas größere Dorfjugendliche glaubten, keine andere Zukunftsaussicht zu haben, als später in die Dorfdeppenbranche einzusteigen. (Wir erinnern uns – dies war die Aufnahmevoraussetzung für die Sicherheitstruppen, und obwohl inzwischen viele Reformen stattgefunden hatten, um »die Effizienz zu steigern«, war dieses Kriterium immer unverändert geblieben.) Aus Verzweiflung über diese Berufsaussichten und viele andere – tatsächliche oder eingebildete – Fehler im System, tranken manche zu viel Wein, andre wurden gewalttätig, manche hockten nur mehr herum und starrten Tag und Nacht ins Herdfeuer, und wieder andere begannen, in diesem Feuer die Kräuter zu verbrennen, die neuerdings haufenweise auf den ehemaligen Weiden wuchsen, um den Rauch zu inhalieren. Vielen früher durchaus vernünftigen und achtbaren Dorfbewohnern war inzwischen schon alles egal – sie mieden Dorfrat und Dorfversammlung, kümmerten sich um nichts mehr und versuchten nur noch, ihre verbliebenen Habseligkeiten vor den Sicherheits-Spendeneinsammlern zu verbergen.

      Am schlimmsten war, dass einige der Dorfbewohner auf die Idee kamen, die Schuld an sämtlichen Misslichkeiten einfach den Bewohnern anderer Dörfer in die Schuhe bzw. Riemensandalen zu schieben. Übersiedlungs- und Arbeitsverbote wurden erlassen, der Warenverkehr überwacht, und die Abkömmlinge von Nachbardörfern wurden mit Misstrauen und Schmähungen drangsaliert. Einige etwas weiter entfernte Nachbardörfer wurden verdächtigt, heimlich Wölfe zu züchten oder zumindest demnächst die Mittel dazu zu besitzen. Die inzwischen ja ohnedies kaum ausgelasteten Sicherheitskräfte überfielen dann diese Dörfer, sorgten für völliges Chaos, suchten intensiv nach Wolfsspuren, nahmen alles, was sie brauchen konnten, mit und zogen nach kürzerer oder längerer Zeit – völlige Verwüstung zurücklassend – wieder ab.

      Die Nachbardörfer konnten wenig dagegen tun, waren ihre eigenen Dorftrottel doch mengenmäßig weit unterlegen und sie selbst in der Abwehr von Bedrohungen wenig geübt. Der eine oder andere der erzürnten Nachbardörfler versuchte zwar, es den Wolfsbekämpfungstruppen heimzuzahlen – dies führte aber nur zu verstärkten Maßnahmen, weil es ein Beweis niederer feindlicher Gesinnung war.

      Begreiflicherweise geriet das Dorf bei den Nachbarn bald in etwas zwielichtigen Ruf. Alle verkauften ihnen gerne Baumaterial für monstersichere Zäune10 und Wachtürme, Nahrungsmittel, Öl (natürlich Oliven-) und Sicherheitsbedarfsartikel. Inzwischen waren Sklaven und Beutegut aber praktisch die einzigen Handelsprodukte unseres Dorfes, während der berühmte »MonsterRepulsor Supreme®« beispielsweise zur Gänze in einem ganz anderen Dorf an der Küste gefertigt wurde. Vielerorts wurden die Dorfbewohner von ihren Mitmenschen als gemeingefährliche, unzivilisierte Irre, mit denen man am besten so wenig wie möglich zu tun hätte, gemieden.

      Mit geringfügigen Einschränkungen hätte alles ewig so weitergehen können, war doch die Furcht vor Wölfen – oder eigentlich die Reaktionen, die diese Furcht ­hervorriefen – keinerlei zeitlicher und kaum einer materiellen Beschränkung unterworfen.

      Doch es kam anders: Die Römer – die dem Vernehmen nach ursprünglich von einer Wölfin aufgezogen worden waren und deshalb keinerlei Berührungsängste hatten – eroberten schließlich Griechenland. Sie nahmen viele Einwohner mit, als Haussklaven, Ärzte(sklaven), Lehrer(sklaven) … und als Geschichtenerzähler(sklaven). Letztere waren es dann natürlich auch, die die Kunde überall und bis zum heutigen Tage verbreiteten:

      »Wolf! Wolf! …«

      Na ja – das ist halt eine alte Geschichte!

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