Fehlalarm!. Leopold Stummer

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durch Zugriff auf die dörflichen Vorratslager zu ergänzen pflegte, eine Gewohnheit, die bei manchen Bewohnern schon zu kritischem Stirnrunzeln geführt hatte. Einige stellten offen die Frage, ob so ein Dorfvorsteher heutzutage überhaupt nötig sei, und selbst wenn – ob dieser spezielle denn auch der richtige für dieses Amt sei? Auch hatte er erst in der vorangegangenen Nacht großen Gefallen an der überaus jungen Tochter eines angesehenen Dorfindustriellen (und Schafbesitzers) gefunden. Es schien ihm deshalb dringend notwendig, den Dorfbewohnern seine nimmermüde, oft zu Unrecht kritisierte und dem Dorf aber stets zum Vorteil gereichende Tätigkeit zu »kommunizieren«.

      Die Klatschweiber (des einen, des anderen und beiderlei Geschlechts) stürzten sich sofort auf unseren armen Jungen. »Was ging dir durch den Kopf, als du den Wolf sahst? Wann hast du deine Mutter zuletzt besucht? Glaubst du, dass der Dorfvorsteher genug gegen Wölfe unternimmt? Wie sehr liebst du eigentlich dein ›Lieblingsschaf‹? – Und war es gerade dieses, das der Wolf geholt hat? Hast du den Wolf womöglich durch dein Verhalten provoziert oder hast du vielleicht immer schon etwas gegen Wölfe gehabt? Von welchem Schneider stammt dein Faltenröckchen? Wirst du deine Geschichte im Amphitheater aufführen lassen? – Und wer soll die Regie übernehmen?« So fragten sie durcheinander, bis der Junge vor lauter Verwirrung nur mehr blöde grinsen konnte und alle weiteren Auskünfte von einem rasch herbeigeeilten, erfahrenen »Freund« gegeben werden mussten.

      Bei dieser Gelegenheit wurde natürlich auch vielfach bemerkt, wie sportlich, gut aussehend und gebräunt der Körper des jungen Schäfers war, der nun unter anderem auch schon selbst überlegte, ob er mit seinen Schalmeienklängen nicht eine Konzerttournee durch die Nachbardörfer machen sollte – jetzt, wo er doch endlich prominent war.

      Vor die mittlerweile auf der Agora versammelte große Menschenmenge traten nun auch gemessenen Schrittes die Experten – Leute also, die schon selbst einmal von einem Wolf gehört oder sich über einen solchen Gedanken gemacht hatten, oder aber solche, die zwar keine Ahnung hatten, was ein Wolf überhaupt ist, aber ein dringendes Bedürfnis fühlten, den zahlreich versammelten Leuten eine Rede zu halten und ihnen zu erklären, was denn das eigentliche Problem bei der Sache sei.

      Alle waren sehr zufrieden, dass ihr zuvor überaus langweiliges Leben im idyllischen griechischen Bergdorf um 600 v. Chr. plötzlich so interessant, ja geradezu aufregend geworden war. Einige regten sich auch wirklich sehr heftig auf, aber da erschien der Dorfrat und verkündete, zur Erleichterung (fast) aller, die soeben beschlossenen »Sofortmaßnahmen«:

      Die vier bereits vorhandenen Dorftrottel wurden unverzüglich zu Wolfssicherheitskräften ausgebildet, auf Gott Pan4 vereidigt und zu einer Anti-Wolf-Einsatztruppe zusammengestellt. Weitere Dorftrottel aus der Umgebung würden in Kürze zur Verstärkung angeworben werden. Der Zimmermann des Dorfes freute sich insgeheim sehr, denn das Angebot, das er selbst im Dorfrat gemacht hatte, nämlich hohe, mehrfache Zäune und Wachtürme rund um die Schafsweide zu errichten, war ohne das sonst ortsübliche Feilschen sofort angenommen worden. (Er war deshalb sogar bereit, über die seiner Tochter vom Dorfvorsteher in der vergangenen Nacht angetane Schmach zu schweigen.)

      Ein etwas sonderbarer Dorfbewohner, dessen sonstige Aktivitäten oft belächelt oder sogar offen verspottet worden waren, versprach unter großem Applaus der Anwesenden, sich unverzüglich an die Entwicklung eines neuartigen »Wolf-B-Gone®«-Sprays zu machen, der, sobald er einmal fertig wäre, wirklich alle (!) ihrer Probleme lösen würde.

      Natürlich wurden die angekündigten Sofortmaßnahmen auch unverzüglich umgesetzt. Die Schafe mussten sich jetzt, bevor sie die Weide betreten durften, genauestens von den »Sicherheitskräften« auf Wolfsspuren durchsuchen lassen. Besonders streng wurde darauf geachtet, dass keine »Wölfe im Schafspelz«5 durch die Kontrollen kommen konnten. (In Ermangelung von Röntgenanlagen wurden die Tiere von zwei Bewachern einfach gegen die Sonne gehalten). Alle Gegenstände, ganz besonders das störende Fell (unter dem ja ein Wolf hätte versteckt sein können), mussten sicherheitshalber von den Schafen abgelegt werden. Die Schafe mussten sich deshalb vor dem Betreten der Weide jedes Mal gemäß den geltenden Sicherheitsvorschriften frisch scheren lassen, eine Maßnahme, die von dem Pressesprecher des Dachverbandes der Schafscherer mit »endlich fällig« kommentiert wurde.

      Patrouillen und Beobachter auf den Wachtürmen bemerkten jede kleinste Unregelmäßigkeit in der Umgebung und verzeichneten diese sofort. (Da die ehemaligen Dorftrottel ja nicht besonders gut schreiben konnten, ritzten sie Zeichen in ihre hölzernen Sitzbänke – von da her stammt der Ausdruck »Datenbank«.)

      Missliebige Dorfbewohner, die aus anderen, weiter zurückliegenden Gründen schon hinreichend verdächtig waren, wurden häufig der Lykantophilie beschuldigt. Entsprechend motivierte anständige und einfache Leute, zusammen mit den inzwischen überaus zahlreichen Sicherheitskräften, besuchten gelegentlich solche Bewohner in ihren Hütten, wo sie die Möbel und das sonstige Inventar zerschlugen, um möglicher Kooperation oder auch nur Duldung von Wölfen in deren Behausungen entgegenzuwirken. Begründet wurde diese Maßnahme damit, dass den Wölfen jede Gelegenheit zum Verstecken genommen werden sollte und die potentiellen Lykantophilen somit vor sich selbst geschützt, überzeugt, befriedet und befreit werden würden.

      Bald musste jeder, der ein öffentliches Amt im Dorf innehaben wollte (und wer wollte das nicht, in wirtschaftlich schweren Zeiten?), einen Eid6 ablegen, dass er niemals, weder zu früherer Zeit noch hinkünftig, Sympathie, Duldung, Toleranz, Billigung o. Ä. gegenüber Wölfen und wolfsähnlichen Individuen oder Organisationen hatte oder haben würde. Besonders wichtig war das Ablegen dieses Eides für Schauspieler wegen deren Vorbildwirkung für die Dorfjugend. Sämtliche verfügbaren Epen und anderen Schriftwerke wurden auf vermeintlich wolfsfreundliche Passagen durchsucht und entsprechend korrigiert.7

      Es ergaben sich natürlich auch einige unbedeutende Anfangsschwierigkeiten. Der Schäferjunge war nach dem Abebben seiner Popularität entlassen worden, weil er nicht die für Sicherheitskräfte notwendige »innere Einstellung« nachweisen konnte. Die Rechnungen des Zimmermanns für Sicherheitsanlagen, der Unterhalt der vielen Wächter und besonders die mit den zahlreichen Koordinierungs- und Expertentreffen verbundenen Spesen führten dazu, dass die Schafherde nach und nach, ein Tier nach dem anderen, verkauft werden musste. Die danach eingetretene kurzfristige Finanzierungskrise wurde nach eingehender Beratung des Dorfrats durch eine Wein- & Olivensolidarabgabe gelöst. Schließlich war es ja auch gerechterweise nicht einzusehen, warum nur die (inzwischen Ex-)Schafzüchter Opfer für die Abwehr der grausamen Bedrohung zu bringen hätten.

      Einige dieser Ex-Schafzüchter – darunter besonders der Zimmermann – maulten, wozu die Sicherheitsmaßnahmen überhaupt noch gut seien, wo es doch gar keine Schafe mehr gäbe. Diesen unqualifizierten Kritikern wurde entgegengehalten, dass »der (allerdings nicht einzige) Preis der Freiheit ständige Wachsamkeit sei«, »man ja nie wissen« könne, und »außergewöhnliche Zeiten auch außergewöhnliche Maßnahmen erfordern« würden. Außerdem hatte der Zimmermann sich bekanntlich ohnedies schamlos an den überhöhten Preisen seiner Zäune und Wachtürme bereichert (und seine Tochter soll Gerüchten zufolge ein amoralisches Flittchen sein).

      Die auch schon früher eher seltenen Wölfe erwiesen sich übrigens als erstaunlich flexibel. Durch Krach und Hektik der örtlichen Sicherheitsmaßnahmen stark belästigt, verlegten sie ihr Aktionsgebiet und änderten ihr Beuteschema: Sie beschränkten hinfort ihre Diät auf kleine Schweinchen (3), Geißlein (7), Rotkäppchen & Großmutter (je 1), etc.8 Gelegentlich wirkten sie später auch in Filmen (Disney™, Warner™, …) und Gameshows mit (z. B.: Wolf, Ziege, Kohlkopf – und im Ruderboot nur Platz für zwei).

      Wenn diese Art des Nahrungserwerbs auch nicht immer erfolgreich war, so erfreuten sich die Wölfe doch eines gesicherten, stressfreien und weitestgehend unbehelligten Daseins. Die wenigen Reibereien mit Menschen verliefen zwar mitunter gewalttätig, waren dafür aber sehr selten (z. B. die fatale Begegnung mit dem Jäger nach dem Verzehr von Großmutter und Rotkäppchen).

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