Fehlalarm!. Leopold Stummer

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Fehlalarm! - Leopold Stummer

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      Aber lassen Sie uns die Lage einmal näher besehen!

      3

      Warum immer wieder neue Katastrophen auftauchen

      Die Sozialpsychologie hat erkannt, dass der Glaube an eine »greifbare Gefährdung es ermöglicht, das eigene Unbehagen zu erklären und zu rechtfertigen« [3]. Zuerst also kommt das Unbehagen – dann die Erklärung. Um unsere Gedankengänge etwas anschaulicher zu gestalten, wollen wir in Anlehnung an die so lehrreiche Aesopsche Fabel im vorangegangenen Kapitel diese »Erklärung« für das Sich-bedroht-Fühlen im Folgenden als »Wolf« bezeichnen und definieren also:

      Ein Wolf im Sinne dieses Buches ist eine Gefahr, die durchaus eine real existierende Ursache haben (oder gehabt haben) kann. Wichtigstes Merkmal ist, dass die Gefahr über alles realistische Maß hinaus übertrieben und die angebotene »Rettung« üblicherweise einfach, linear und weitgehend frei von Sachkenntnis propagiert wird. Die Rettung beinhaltet dann »eo ipso« – »aus sich heraus« – die Überwindung allen Übels, da das Übel zuvor auf ein singuläres Problem reduziert worden ist.

      Individuelle Ängste betreffen vor allem das eigene, ganz private Wohlbefinden.1 In einem Weltbild, in dem das Leben nach dem Tode oder der Ruhm der Nation zunehmend an Bedeutung verloren2 haben, stehen Gesundheitsüberlegungen oft im Zentrum der Sorgen von entsprechend disponierten Personen. Unwissenheit, Hypochondrie, Geschäftemacherei, der Wunsch nach einfachen Lösungen, Profilierungssucht, und natürlich auch echt empfundene Besorgnis bilden eine oft recht verwirrende Mischung. Aber auch mangelnde subjektive Zufriedenheit erzeugt weitreichende Ängste.

      Ein eindrucksvolles Beispiel von zunächst sehr ­persönlichen Ängsten waren die Auseinandersetzungen um Silikonimplantate in den USA der späten 80er und 90er Jahre. Im Laufe dieses »Skandals« spielte sich ein Team aus Journalisten, Anwälten, Ärzten und vermeintlich »GeschädigtInnen« gegenseitig Dollarmilliarden an Schadenersatz von den Herstellern zu.

      Ursprünglich waren die Anfang der 60er Jahre entwickelten Implantate bei ihren Trägerinnen3 recht beliebt. Abgesehen von ihrer Verwendung zur Wiederherstellung nach Brustamputationen, wurden die Objekte auch häufig zur optischen Optimierung reiferer Damen verwendet. Natürlich bleiben alte Schreckschrauben auch mit aufgepumpter Oberweite im Kern solche – sie selbst sehen das aber oft anders (und ihre Chirurgen offiziell auch). Letztlich ist es aber dasselbe Problem wie das der Penislänge bei Männern.

      Persönliche Befindlichkeitsstörungen, wie sie bei älteren, sehr auf ihr Äußeres fixierten Damen nun einmal auftreten können, wurden in der Folge diesen Silikonpolstern zugeschrieben, da ja irgendetwas schuld sein muss und bloßes Alter als Erklärung nicht akzeptabel wäre. Tatsächlich war bei einigen Implantaten dieses Typs Silikon aus den Kissen in den Körper ausgetreten. Laut Klägerinnen bzw. deren Anwälte führte dies zu Brustkrebs. Nachdem diese Behauptung wissenschaftlich widerlegt wurde, sollten Autoimmunerkrankungen wie Rheuma und verschiedene neurologische Leiden durch die Implantate bedingt sein. Die Folge waren Schadenersatz- und Schmerzensgeldprozesse in Milliardenhöhe. Der betreffende Typ von Implantaten wurde 1992 verboten, und zwar trotz ausführlicher unabhängiger wissenschaftlicher Studien, die nachwiesen, dass die »erlittenen Schäden« sämtlich nicht existent oder nicht ursächlich auf die Implantate zurückzuführen waren. [4] Nichts konnte festgestellt werden, das nicht bei älteren Damen auf natürliche Weise ebenso zustande käme.

      Nach einigen Änderungen wurden die Implantate 2006 wieder zugelassen. Die wissenschaftliche Wahrheit hat allerdings, wie so oft, gegenüber dem »gesunden Volksempfinden« den Kürzeren gezogen – auch wenn Letzteres zunächst erst von Medien inszeniert werden musste. (Dem zugrundeliegenden Krankheitsbild der multiplen somatoformen Störung4 widmen wir uns ein wenig später.)

      Woher kommt aber das öffentliche Aufsehen bei einem so überaus persönlichen Detail wie Brustvergrößerung? Die psychologische Erklärung beruht auf der »availability heuristic«: Demnach wird eine Angelegenheit als umso wichtiger und dringender empfunden, je öfter sie einem bewusst (gemacht) wird. [4] Ein »Problem«, das oft genug von den Medien in die allgemeine Aufmerksamkeit gerückt wird, wird von der Mehrheit bald als »dringend« empfunden. Durch zeitnahe demoskopische Umfragen kann diese Tatsache natürlich »statistisch-wissenschaftlich« abgesichert und somit durch Rückkopplung verstärkt werden. Dies schafft wiederum unmittelbaren Handlungsbedarf für politische Vertreter, Talk-Show-Produzenten und »Experten«. Beachtenswert ist aber, dass die ursprüngliche Realität des »Problems« bei diesem Mechanismus kaum eine Rolle spielt.

      Zusätzlich zum bequemen Erklärungsmodell für individuelles Unbehagen bietet das Angst-Phänomen auch offenkundige Vorteile für soziale Gemeinschaften. Es kann zum Beispiel durch die überlaute Warnung vor einer in der Realität relativ geringfügigen Gefahr von schlimmen realen Fehlleistungen abgelenkt werden. Vielleicht dient es sogar als Bemäntelung für die leidige Tatsache, dass die wirklich großen Probleme gar keine einfachen Lösungen zulassen. Die öffentliche Aufmerksamkeit wird jedenfalls elegant von komplexen, konkreten Schwierigkeiten auf bedeutungsarme Wehwehchen gelenkt, für die dann (besonders durch »interessierte Kreise«) einfache (monokausale) Lösungen ­versprochen werden. Ein willkürlich gewähltes Beispiel5 für einen solchen Prozess liefert die regelmäßig ausbrechende »Brutalisierungsdiskussion«:

      Von Zeit zu Zeit – eigentlich selten, wenn man das Ausmaß an Gewalt, Demütigung und Fremdbestimmung an diesen Anstalten bedenkt – dreht ein Schüler6 durch und massakriert Lehrer und/oder Schüler seiner Schule (wen wohl sonst?). Bei den folgenden Ermittlungen stellt sich dann unter anderem regelmäßig heraus, dass der Betreffende auf seinem Computer (oder irgendwo anders) gewalttätigen Einflüssen ausgesetzt war. (Die Computerspiele sind die zeitgemäße Version, historische Vorläufer sind Fernsehen, Film, Theater, Bücher und wahrscheinlich auch Klatschgeschichten, öffentliche Hinrichtungen, Gladiatorenspiele und altgriechische Tragödien.) Reaktiv wird dann sofort durch Medien und Politik (egal ob rechts oder unrechts) ein Verbot der entsprechenden »Unterhaltung« gefordert, mit der Begründung, der ansonsten naturgemäß friedfertig-reine Knabe sei erst durch das betreffende Medium sozusagen zwangsläufig zur blutdürstenden Bestie mutiert.

      Die Zweckdienlichkeit von computersimulierten Massakern als Trainingsmethode angehender Massenmörder ist aber insofern zu hinterfragen: Wenn ein zartes, jugendliches Gemüt durch Killerspiele zum Meister des Amoklaufes werden kann, wieso können dann z. B. virtuelle Golf-, Fußball- oder Tennisspiele niemanden für die (überaus lukrative) Profi-Liga qualifizieren oder wenigstens vor den Folgen von Bewegungsmangel und Überernährung bewahren?7

      Da praktisch alle Jugendlichen (männlich, weiß, Mittelschicht – wir erinnern uns) ähnlichen Einflüssen ausgesetzt sind, wundert man sich, warum sich Lehrer überhaupt noch aus ihren Schützengräben und Bunkern wagen – die ­Verdun-Front 1916 müsste vergleichsweise ein Erholungspark gewesen sein. Die Vermutung, dass das Problem möglicherweise doch etwas weniger ubiquitär sein könnte, erweist sich bei näherer Betrachtung als zutreffend.

      Das Missverhältnis zwischen einem vollständigen Verbot des Mediums X oder Y und dem (trotz aller bereits früher ergriffenen Patentlösungen) alle paar Jahre stattfindenden Amoklauf eines zornigen Einzeltäters ist beträchtlich. Besonders eigenartig ist, dass echte Ursachenforschung meist unterbleibt bzw. durch eine »Patentlösung« geradezu verhindert wird. Der blutdürstige Video-Aficionado hat seine bedauernswerten Mitmenschen ja nicht mit virtuellen Waffen massakriert (z. B. einer Laser-Raketen-Zap-O-Matic8), sondern es werden bei solchen Dramen regelmäßig reale Waffen verwendet.

      Es kann zudem auch eine gewisse soziale Vorgeschichte vermutet werden. Hatte der bewusste Jugendliche außer Brutalo-Ballerspielen (bzw. -Videos, -Filmen, -Büchern, …) und

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