Fehlalarm!. Leopold Stummer

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Fehlalarm! - Leopold Stummer

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gehört oder nicht gehört oder nicht hören wollen?

      Einfache, monokausale »Erklärungen« zu postulieren ist wesentlich bequemer als die individuelle Aufarbeitung eines tragischen, aber immer singulären Ereignisses mit allen seinen Wechselbeziehungen. Noch schwieriger – wenn man das Geflecht an Ursachen und Wirkungen einmal tatsächlich untersucht hätte – wäre es dann, eine fundierte Schuldzuweisung zu treffen, und noch viel mühsamer ist es, danach wirklich zweckmäßige Maßnahmen durchzusetzen. Gerade schon irreal wäre der Gedanke, diese später auf ihre Zweckmäßigkeit hin zu evaluieren, gegebenenfalls anzupassen oder zu entsorgen.

      Eine solche Vorgehensweise übersteigt bei weitem die Sendezeit oder den Seitenrahmen – und besonders Geduld, Interesse und Intelligenz des geneigten Publikums und seiner Vertreter. Es kann deshalb von der öffentlichen Wahrnehmung unbeachtet bleiben, dass (auch jugendliche) Amokläufer eine Vorgeschichte und ein Umfeld haben und meistens auch Gründe, warum sie ihr eigenes (und konsequenterweise auch fremdes) Leben als nicht erhaltenswert einschätzen.

      Dieser im öffentlichen Bewusstsein ablaufende Verdrängungsmechanismus – komplizierte, schwer lösbare Fragen gegen einfach zu bewältigende Detailprobleme auszutauschen – wird uns im Folgenden noch öfter begegnen.

      Die Grenzen zwischen den individuellen, gruppenfokussierten und allgemein gesellschaftspolitischen Ängsten sind natürlich fließend. Auch sind Letztere nicht so universell verbreitet, wie es zunächst erscheint. Vermutlich beschäftigt die Sorge um die Nahrungszufuhr des nächsten Tages insgesamt viel mehr Menschen als zum Beispiel die Angst vor Strahlungsenergie, die durch Elektrogeräte im Stand-by-Betrieb abgegeben wird (Elektrosmog).

      Bei manchen Ängsten gelingt es trotzdem, sie global zu verbreiten – ungeachtet der überaus geringen Chance eines beliebigen Erdenbürgers, jemals dem betreffenden Problem zu begegnen. Hier ein Beispiel für Besorgnis von globalem Ausmaß:

      Eingedenk der umfassenden Sicherheitsmaßnahmen, die dem geneigten Leser beim Besteigen eines Flugzeuges ganz bestimmt schon aufgefallen sind, hier eine Quizfrage: Wie viele Flugzeugabstürze hat es wohl gegeben, die durch einen Bombenanschlag verursacht worden sind? Zum Beispiel in dem Zeitraum von 1984–2004?

      Es müssen sehr viele gewesen sein, die Sicherheitsmaßnahmen sind ja auch extrem umständlich (Gepäcksidentifizierung und Einzelbefragung der Passagiere, biometrische Merkmale feststellen), teuer (transportable Spektrometer, Unterdruckkammern, Hunde, …) und unangenehm (z. B. Preisgabe persönlicher Intima – elektronisch im Vorfeld und akut bei der Durchsuchung).

      Da steht man also als zahlender Kunde bzw. »Gast« mit seinen in 100-ml-Gebinde abgefüllten Flüssigkeiten, einzeln in transparente, verschließbare, genau 1l fassende Plastikbeutel verpackt, in einer sehr, sehr langen, sich kaum bewegenden Schlange.

      Es ist besser, in der langen Warteschlange (und beim Bezahlen des »Security«-Zuschlags) nicht daran zu denken (außerdem ist es zugegebenermaßen für die bei einem Anschlag persönlich Betroffenen unerheblich).

      A b e r:

       Die Gesamtzahl der Bombenanschläge9 im Zeitraum 1984–2004, immerhin also in 20 Jahren, beträgt 18. Bei zwölf dieser Anschläge wurden Menschen getötet. Die durchschnittliche Zahl der Bombenanschläge auf ein Flugzeug ist also weniger als einer pro Jahr (1994–2004 sind’s insgesamt fünf, die Tendenz ist also fallend), und das bei stark wachsender Anzahl10 von Flügen.

       Typische »Terroristen« waren nur für einen Teil dieser Anschläge verantwortlich, die überwiegende Zahl geht auf gewöhnliche Verrückte, kriminelle Racheakte und ähnliche Konflikte zurück.

       Durch Selbstmörder verursachte Flugzeugabstürze gab’s zehn. – Nein, nicht in zwanzig Jahren, sondern insgesamt seit Beginn der Aufzeichnungen (1955). Der Anschlag 9/11 (2001 auf das World Trade Center in New York) war natürlich in jeder Hinsicht besonders spektakulär, aber ein überaus seltenes Einzelereignis.

       Entsprechende Kontrollen zeigten, dass es nur wenige Probleme bereitet, »Gegenstände«, etwa auch durch Mitarbeiter des Flughafens, an Bord von Maschinen zu bringen bzw. bringen zu lassen. Jedes Sicherheitssystem hat unvermeidbarerweise Lücken.

       Überhaupt noch nie wurde bisher an Bord während des Fluges aus Flüssigkeiten Sprengstoff hergestellt und zur Explosion gebracht (aus Muttermilch schon gar nicht). Einige Experten bezeichnen ein derartiges Vorhaben auch als »sehr schwierig und wenig erfolgversprechend«.

       Jährlich sterben insgesamt mehr Menschen durch Eselstritte als durch Flugzeugabstürze jedweder Art und Ursache.

      Es wird also sehr viel unbequemer und teurer Aufwand wegen eines winzig kleinen Risikos getrieben. Die Problematik bei Flugreisen ist aber wahrscheinlich vielschichtiger. Das offensichtlich stark aufgebauschte Bedrohungsszenario ist geeignet, das in vieler Hinsicht lästige Bedürfnis der Menschen nach Nichteinmischung, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung11 usw. auf ein kontrollierbares Ausmaß einzuschränken.

      Natürlich war 9/11 für einen wesentlichen Anteil der potentiellen Flug-Kundschaft ein schwerer Schock, den die Berichterstattung in den Medien nicht eben gemildert hat. Wenn es allerdings um die Sicherheit vor (massiv übertriebenen) Gefahren geht, sind auch ansonsten sehr selbstbewusste Menschen überraschend leicht bereit, sich ins »Unvermeidliche« zu fügen.

      An diesem Spiel sind natürlich nicht nur Behörden beteiligt. Die Sicherheitsbranche mit allem notwendigen Personal, Detektoren, Röntgenapparaten usw. erzielt jedenfalls beträchtliche Umsätze (die letztlich irgendwo auf der Rechnung auftauchen).

      Vielleicht besteht aber auch ein aus tiefenpsychologischer Urangst resultierendes Schuldgefühl beim Fliegen. Die metaphorische »Angst vorm Fliegen« [6] lassen wir hier weg, sie spielt aber möglicherweise indirekt, im Sinne von »abheben«, »sich gehen lassen« bzw. »Kontrollverlust« eine Rolle. Ein Kontrollverlust, der durch äußerliche, fremde Kontrollen wieder ausgeglichen wird.

      Ein möglicher zusätzlicher Einfluss könnte auch vom vielfach geäußerten Unmut von EntscheidungsträgerInnen12 stammen, die das zunehmende Gedränge mit schwerbepackten Prolos auf dem Weg zwischen Executive Lounge und Gate unzumutbar finden. Ein bisschen mehr Flugangst könnte das Jet-Set-Territorium vielleicht endlich wieder ein wenig exklusiver werden lassen. Ohnehin geht man vielerorts den Weg, die billigen Chartervieh-Massentransporte so weit wie möglich von den Business-Executive-Platinum-Card-Holdern zu trennen, am besten gleich mit verschiedenen Flughäfen.

      Genug Tiefenpsychologie (fürs Erste)! Sowohl individuelle Ängste, die Probleme bestimmter Interessengruppen und schließlich auch noch globale Sorgen bedrücken uns. Die Furcht erschließt aber auch eine zuverlässige Einkommensquelle. Sogar relativ harmlose Produkte können mit diesem Argument besser verkauft werden. Oder fürchten gerade Sie etwa in diesem Augenblick nicht, dass Ihr Deo (oder Tampon) zum falschen Zeitpunkt versagt? Können Sie sicher sein, dass … (Auftritt eines beruhigend aussehenden, seriös gekleideten Schauspielers …) Ihre Bank-, Versicherungs- oder Gesundheitsleistungen auch »sicher« sind. Oder wollen Sie etwa, dass Ihre Familie in einem Auto zerschmettert wird, bei dem nicht sämtliche erdenklichen Warnlämpchen eingebaut wurden? Sorgen Sie sich nicht bei jeder Mahlzeit darum, ob sie auch wirklich das täglich notwendige Quantum an Spurenelementen aufgenommen haben? Und was ist mit den Kindern? All dies nicht zu bedenken, wäre wahrhaft leichtfertig (versichert der lächelnde Herr aus der Werbung).

      Cum hoc ergo propter hoc (lat.: zugleich, also deswegen) und post hoc ergo propter hoc (danach, also deswegen), sind beides altbekannte logische Fehler, »passieren« aber ständig, und zwar vermutlich nicht immer unbeabsichtigt. Ihre Auswirkungen bestimmen unser Handeln, oft bis

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