Thassos Reiseführer Michael Müller Verlag. Thomas Schröder
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Nicht zu Unrecht hat man Liménas als ein einzigartiges antikes „Freilichtmuseum“ bezeichnet. Zu verdanken ist dies in erster Linie der Französischen Archäologischen Schule Athen, die seit 1911 bis in die Gegenwart hinein Ausgrabungsarbeiten durchführt. Besonders sehenswert sind neben dem wunderschön gelegenen Theater in der antiken Oberstadt die Agorá und das Museum, vor allem aber die teilweise noch sehr gut erhaltene, einst etwa 3,5 km lange, gewaltige Stadtmauer mit ihren schönen und mächtigen Toren, die die damalige Unter- und Oberstadt halbkreisförmig umgab. Auch die mittelalterliche Festung auf der Akrópolis ist einen Besuch wert. Wer unsere drei Rundgänge miteinander kombinieren möchte, sollte einen ganzen Tag dafür einplanen.
Erster Rundgang: Durch die Unterstadt
Der Spaziergang, für den Sie etwa eine Stunde benötigen, beginnt am alten Fährhafen an der Mole, wo man vor einigen Jahren eine aus dem blendend weißen thassitischen Marmor gefertigte Delfinskulptur aufgestellt hat.
Gegenüber der Mole geht man die Odós Gallikís Arch. Scolís leicht aufwärts und erreicht nach insgesamt 150 m einen Platz. An dessen Ostseite befinden sich die Reste einer frühchristlichen Basilika vom Beginn des 6. Jh. Zwei der auffallend schlanken Säulen hat man wieder aufgerichtet, am Boden liegen die verbliebenen zahlreichen Säulentrümmer, z. T. kann man in Kapitellen noch eingravierte lateinische Kreuze erkennen. Zu sehen sind auch die Mauerreste der halbrunden Apsis.
Geht man die Straße weiter aufwärts, kommt man nach wenigen Metern an einer riesigen ummauerten Platane vorbei, deren Stamm unten an einer Seite so tief ausgehöhlt ist, dass man sich bei Regen bequem darin unterstellen könnte. An der übernächsten Abzweigung hält man sich an dem kleinen Hotel Akrópolis rechts, dann an der folgenden T-Kreuzung links. Nachdem man kurz darauf eine Bäckerei passiert hat, kommt man zu einer weiteren Kreuzung. Hier stehen rechts Reste der alten Stadtmauer bzw. das Zeus-Hera-Tor, ein wichtiger Zugang zur antiken Stadt. Dieser war etwa 4 m breit und wurde seit dem 5. Jh. v. Chr. zu beiden Seiten von je einem hohen Marmorpfeiler mit den Reliefs des Göttervaters bzw. seiner Frau begrenzt. Nur der Hera-Pfeiler ist noch vorhanden und zeigt die Göttin mit dem Zepter in der Hand auf ihrem Thron sitzend, die Füße auf einen Schemel gestellt. Die geflügelte Gestalt vor ihr ist die Götterbotin Iris, die Aufträge von ihrer Herrin entgegennimmt.
Folgt man der Odós Pierre Vambez ca. 50 m stadtauswärts, sieht man rechts unter einem Olivenbaum einen großen steinernen Sarkophag aus dem 3. Jh. n. Chr. In ihm wurde laut der eingemeißelten Inschrift ein gewisser Poliádis bestattet. Dieser römische Sarkophag ist das letzte Überbleibsel eines antiken Friedhofs.
Um einen Teil der Stadtmauer zu sehen, geht man wieder zurück und biegt schräg gegenüber vom Zeus-Hera-Tor nach rechts auf ein Asphaltsträßchen ab (Schild South Wall). Nach knapp 50 m beginnt die ca. 2500 Jahre alte Schutzmauer, die zunächst noch niedrig ist, dann aber höher wird. Bald passiert man die Reste eines in die Mauer integrierten Wehrturms. Der Weg entfernt sich schließlich von der Mauer und man geht am Hotel Galaxy vorbei zur Odós Gallikís Arch. Scolís, der man einige Meter nach rechts zum Silenentor folgt. Benannt wurde dieses Stadttor nach dem Relief, das sich an seiner linken Seite befindet: Ein zwei Meter hoher, nur mit Stiefeln bekleideter Silene, ein Dämon, schreitet mit einem zweihenkeligen Trinkgefäß in der Hand in Richtung Stadt. In einer kleinen Nische neben der Figur ließen Reisende damals einen Obolus zurück. Durch dieses Tor kam man einst zunächst in das sog. Silenenviertel, von dessen Häusern noch einige Grundmauern erhalten sind. Man geht nun auf der Odós Gallikís Arch. Scolís stadteinwärts und kommt bald zum Heraklion, dem Heiligtum des Herakles, der im antiken Thássos nicht nur als Held, sondern auch als Gott verehrt wurde. Von dem einst riesigen Gebäudekomplex sind kaum mehr als die rechteckigen Fundamente eines Tempels sowie Reste eines Altars zu erkennen. Hier wurde jedoch nicht nur dem gewaltigen Herakles gehuldigt, die Kultstätte war 405 v. Chr. auch Schauplatz grausamer Hinrichtungen: Als die damals auf der Seite Athens stehenden Thassioten von dem spartanischen General Lýsandros besiegt worden waren, ließ dieser im Heraklesheiligtum einen großen Teil der „attischen“ Inselbewohner ermorden.
Schräg gegenüber dem Heraklesheiligtum steht das heutige Rathaus der Stadt (Odós Pierre de Vambez). Unmittelbar hinter dem Gebäude entdeckt man ein Feld, auf dem mehrere antike Sarkophage, zumeist aus römischer Zeit, herumliegen.
Vom Heraklion folgt man der Odós Pierre de Vambez, die unterhalb des Heiligtums verläuft, und passiert dabei spärliche Reste eines römischen Caracallabogens. Bei der zweiten Möglichkeit zweigt man nach links in die Odós Theagénous ab. Nimmt man dann wieder die nächste Möglichkeit nach rechts, stößt man nach wenigen Metern zunächst auf die kleine schiefergedeckte Nikolauskirche, neben der man erst vor einigen Jahren einen modernen Glockenturm errichtet hat. Links vom Haupteingang befindet sich die Ikone des heiligen Bischofs und Schutzpatrons der Seefahrer. Gewaltige marmorne Säulen trennen die Seitenschiffe vom Mittelschiff. Die Fresken in der Kuppel und in der Apsis sind vom Kerzenruß fast völlig schwarz, jedoch lassen sich im Gewölbe der Pantokrator und weiter hinten eine Darstellung der Auferstehung ausmachen. Sehenswert ist auch die hölzerne Ikonostase mit Weinreben und dem als Motiv auch andernorts stets wiederkehrenden byzantinischen Doppeladler. Unmittelbar an die Kirche schließt sich das Gelände der antiken Agorá an.
Zweiter Rundgang: Antike Agorá und Archäologisches Museum
Die Agorá, seit dem 4. Jh. v. Chr. bis in die Zeit der Römerherrschaft Zentrum des sozialen, administrativen und kultischen Lebens der antiken Stadt Thássos, war einst im Westen, Osten und Süden von Säulenhallen (Stoen) umgeben, während sich an der Nordseite v. a. Geschäfte und Verwaltungsgebäude befanden. Im Innern dieses annähernd quadratischen Platzes standen Altäre, Heiligtümer, ein Tempel sowie Ehrenpodeste. Heute sind zwar keine sensationellen Reste mehr zu sehen, doch mit etwas Fantasie kann man sich anhand der Ausgrabungen einige der einst eleganten Gebäude gut vorstellen. Sehenswert ist die Agorá auch, weil sie eine der lebendigsten archäologischen Stätten Griechenlands ist, die wir bisher kennengelernt haben. Zwar wurde sie von Mitarbeitern der Französischen Archäologischen Schule vor etwa 50 Jahren im Wesentlichen ausgegraben, doch noch heute trifft man dort regelmäßig Spezialisten bei der Arbeit an, die immer noch weitere Teile freilegen. So kann man nie genau vorhersehen, wie oder ob sich eine Stoá, eine Tempelanlage oder ein Bezirk verändert hat, wenn man nach einiger Zeit wieder zu Besuch kommt.
Nach dem Betreten des Geländes über eine Treppe sieht man links die Reste eines ehemaligen Säulenhofs 1, auf den sich in römischer Zeit eine Exédra, ein halbkreisförmiger Raum, öffnete, deren Grundmauern heute noch gut zu sehen sind. Dahinter schließt sich die lange Nordwest-Stoá 2 an, von deren 35 dorischen Säulen immerhin einige teilweise wieder aufgerichtet werden konnten.
Rechts von dieser Säulenhalle sind fünf flache Stufen erkennbar. Sie gehören zum westlichen Propylon 3, dem einstigen Haupteingang der Agorá. Von hier kommt man in die Südwest-Stoá 4. In dem halbrunden Raum am Ende dieser Wandelhalle wurde eine beeindruckende Statue des Kaisers Hadrian aus thassitischem Marmor gefunden, die man im Museum bewundern kann. Von hier geht man wenige Meter geradeaus weiter, hält sich rechts und sieht etwas tiefer einen Teil der antiken Straße 5 vor sich liegen. In deren Mitte steht eines der Schmuckstücke der Agorá, eine nahezu vollständig aufgebaute Exédra 6. Von der halbkreisförmigen Mauer vor Wind geschützt, konnte man damals bequem auf einer Bank sitzen und wunderbar plaudern. Hervorragend erhalten ist auch die Dekoration, eine mit