Die Todgeweihten. F. John-Ferrer

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Die Todgeweihten - F. John-Ferrer

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winkt ab. »Unsinn. Es sähe wie Kneifen aus. Außerdem reizt mich die Sache. Wenn die Kameraden von der ›Decima‹ mit dabei sind, möchte auch ich dabei sein.«

      Boltz setzt sich auf die Schreibtischecke. Sein Blick gleitet an der breitschultrigen Gestalt des Leutnants auf und nieder.

      »Es wird diesmal ziemlich schwer sein, mein Junge. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob du den Strapazen gewachsen bist. Der Mensch ist keine Maschine.«

      »Leicht war’s noch nie, Walter, und was meine gesundheitliche Verfassung anbelangt, so mute ich mir bestimmt nicht zu viel zu. Außerdem, Walter – der Dienst in Ancona ist mir zu langweilig. Ich freue mich, dass wieder mal was anliegt – und ich freue mich doppelt, weil ich weiß, dass ich in San Giorgio ein paar Freunde wiedersehen werde.«

      Boltz’ Miene bleibt ernst und nachdenklich. In seinen etwas müde dreinschauenden Augen liegt ein heimliches Bitten, als er sagt: »Von unserer Gruppe sind nicht mehr viel übrig geblieben, Jochen. Jeder Einsatz rafft ein paar dahin. Ehrlich gesagt, mein Junge: Ich hätte nichts dagegen, wenn du diesmal daheim bliebst und mir sagtest: ›Ich kann nicht. Ich fühle mich der Aufgabe nicht gewachsen. In vier oder sechs Wochen mache ich wieder mit!‹«

      Brandt geht zum Fenster und schaut hinaus. Tief unten breitet sich die blaugrüne Wasserfläche der Adria aus. Himmel und Wasser verschmelzen zu eins. Klar und hell scheint die Sonne, lässt vergessen, dass der Krieg schon fünf Jahre lang tobt. Friedlich ist das Meer, einsam, ohne Rauchwolke, ohne weißen Segelfleck.

      Ich könnte mich drücken, denkt der Mann am Fenster. Ein Wort würde genügen. Walter wartet darauf, dass ich sage: Es geht nicht – ich fühle mich der Aufgabe, rein gesundheitlich, nicht gewachsen. Er hat das aber alles erst hintenan gesetzt und die Pflicht vorangestellt. Soll ich das Schicksal noch einmal herausfordern? Hat es überhaupt noch einen Sinn, das Leben aufs Spiel zu setzen?

      Stille herrscht. Der Mann am Schreibtisch reibt sich mit der Hand das hagere Gesicht, streicht sich dann über das graue Haar.

      Draußen im Vorraum beginnt eine Schreibmaschine zu klappern. Unten im Schloßhof summt ein Motor, brüllt auf und verstummt wieder. Feldwebel Dengler hat den Wagen fertig gemacht und lädt noch drei Kanister Sprit auf.

      Brandt dreht sich um; sein Gesicht liegt im Schatten, als er sagt: »Ich danke dir für dein Angebot, Walter. Sobald ich den Auftrag erledigt habe, werde ich bei dir ein Urlaubsgesuch einreichen.« Er geht auf Boltz zu und reicht ihm die Hand. »Ich fahre jetzt.«

      »Zieh dich bitte um, Jochen.«

      »Ja.«

      Die Hände halten sich noch immer fest. Die beiden Männer schauen sich in die Augen.

      »Soll ich jemand benachrichtigen, falls dir etwas zustößt?«, fragt der Oberstleutnant.

      »Ich habe nur Mutter. Du musst dir selbst einen Text ausdenken, Walter.«

      Boltz lässt Brandts Hand los.

      »Du wirst es schaffen«, sagt er und klopft dem Leutnant auf die Schulter. »Grüße Lorenzoni von mir.«

      Sie gehen zur Tür. Dort bleibt Boltz noch einmal stehen. »Ich bin stolz auf dich, Jochen. Es käme mir sauer an, wenn du …« Boltz gibt sich einen Ruck. »Mach’s gut, mein Junge, und komm mir heil zurück.«

      Brandt klappt die Hacken zusammen und steht stramm.

      »Leutnant Brandt meldet sich ab.«

      »Ich wünsche euch alles Gute und viel Erfolg.«

      Oberstleutnant Boltz lässt Brandt hinaus und schließt die Tür. Drüben am Schreibtisch verstummt das Stakkato der Maschine. Fräulein Emmy schaut auf und kommt um den Schreibtisch herum.

      »Sie gehen schon wieder, Herr Leutnant?«

      »Ja. Ich muss mich wieder einmal von Ihnen verabschieden, Emmy.«

      »Wohin denn diesmal?«

      »Zur Abwechslung mal nach Bari.« Er reicht ihr die Hand. »Ich werde Ihnen eine Ansichtskarte schreiben, Emmy.«

      »Oh …«, macht sie erschrocken, »nach Bari. So weit wieder.«

      »Drücken Sie mir die Daumen«, sagt er.

      Sie nickt, und ihre blassblauen Augen schauen etwas verstört zu ihm auf.

      »Dann … dann viel Glück, Herr Leutnant.«

      »Das könnten wir brauchen.«

      Er drückt ihre Hand, streichelt ihr rasch über das Haar und verlässt die Halle mit schnellen Schritten.

      Emmy steht noch eine Weile da und schaut der entschwundenen Gestalt nach; dann seufzt sie leise und kehrt wieder hinter ihre Schreibmaschine zurück. Aber es dauert einige Zeit, ehe Fräulein Emmy den Brief nach Berlin weitertippt; denn sie muss daran denken, dass Leutnant Brandt weit ins feindliche Hinterland gehen wird und dass von dort nur wenige zurückkehren. Dieser Gedanke treibt dem Mädchen einen feuchten Schimmer in die Augen.

      Zehn Minuten später brummt im Schlosshof ein alter Fiat-Wagen und schaukelt mit zwei Männern in Zivil durch das alte Burgtor. Die Posten stehen stramm und grüßen. Gleich darauf verschwindet der Wagen in einer dichten Staubwolke.

      Brandt und Feldwebel Dengler – letzterer ein untersetzter, breitschultriger Kerl mit einer kräftigen Nase, von der sich eine Narbe zum linken Mundwinkel hinabzieht, und dem Gesicht eines jovialen Viehhändlers – tragen Zivilkleider und führen nur wenig Gepäck bei sich. Als einziges militärisches Kleidungsstück tragen sie unter den abgewetzten Jacken das Militärhemd mit dem tausendjährigen Raubvogel auf der Brustseite, sowie Ausweis und Erkennungsmarke. Die 08 steckt im Armhalfter unter der linken Achsel.

      Franz Dengler stammt aus Dortmund und gilt als ausgezeichneter Funker und kaltschnäuziger Draufgänger. Brandt schätzt ihn sehr und hat mit ihm schon mehrere Einsätze erlebt. Sie duzen sich.

      »Verdammt gutes Wetter für die Jabos!«, ruft Dengler in den Lärm des Motors. »Wir müssen höllisch aufpassen, Jok!«

      Der Wagen rollt jetzt eine schnurgerade Straßenstrecke entlang, zu deren beiden Seiten sich Olivenhaine mit Pfirsichplantagen ablösen. Rechter Hand wellt sich das Hügelland und geht weiter drüben in höheres Bergland über. Links liegt das Meer und badet sich im eitlen Sonnenschein, leicht rollend und den Strand beleckend.

      »Wer macht noch alles mit?«, fragt Dengler, während die Tachonadel um die Zahl 100 herumzittert.

      »Zwei Neue. Ein Fähnrich und einer vom SD.«

      »Seit wann steckt der SD seine Nase in unsere Angelegenheiten?«

      Dengler wirft einen Seitenblick auf Brandt und sieht dessen Schulterzucken. »Was ist das für ein Herr?«

      »Soll in Russland gewesen sein und das Ritterkreuz haben. Der Chef erzählte etwas von ›Frühstück beim Führer‹ und ›Nase hoch tragen‹.« Brandt grinst herüber. »So was kann uns nicht imponieren, wie?«

      »Wir haben auch schon mit feinen Leuten gefrühstückt«, sagt Dengler. »Denk nur daran, als wir …«

      »Achtung!«,

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