Die Todgeweihten. F. John-Ferrer

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Die Todgeweihten - F. John-Ferrer

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Unterschied, dass ein neuer Code verwendet wird, mit dem Sie sich noch vertraut machen müssen.«

      »Jawohl, Colonello.«

      »Va bene. Das wäre für heute alles.« Lorenzoni erhebt sich. »Sie werden müde sein. Massimo, bitte weisen Sie den Kameraden das Quartier an.«

      Amadeo springt dienstbeflissen auf. »Si, Colonello.«

      Lorenzoni reicht Brandt und dann Dengler die Hand. »Ich freue mich sehr, dass Sie zu uns gestoßen sind. Morgen sprechen wir ausführlich über den Einsatzplan. Ich wünsche Ihnen jetzt eine gute Nacht, meine Herren.«

      Sie sind entlassen. Unten warten die anderen.

      »Weißt du«, sagt Amadeo zu Brandt, »der Alte ist zu verantwortungsbewusst, als dass er jemanden in die Hölle schickt, der gesundheitlich nicht ganz beisammen ist. Wir mussten uns alle noch einmal von unserem Knochenflicker untersuchen lassen.«

      »Ist Brunelli auch da?«

      »Er kommt morgen. Du wirst ihm nicht entwischen.«

      Brandt lacht etwas gezwungen. Als er mit Dengler das neue Quartier im Dachgeschoß bezieht und die Freunde gegangen sind, setzt sich Brandt auf die Bettkante und starrt vor sich hin.

      »Was ist los, Jok?«, fragt Dengler. »Hast du Angst, dass der Brunelli dich nicht mitmachen lässt?«

      Brandt zündet sich eine Zigarette an, schnippt das Streichholz aus und stößt den Rauch durch die Zähne.

      »Quatsch. Ich mache mit. Ich fühle mich sauwohl. Das wird Brunelli auch in den Untersuchungsbefund eintragen müssen.«

      Sie gehen zu Bett. Dengler dreht sich sofort der Wand zu und schläft ein. Brandt liegt noch lange wach. Er muss an den brennenden Omnibus denken. Ein böses Omen? Soll man sich von dem Unternehmen distanzieren? Aber nein. Da sind die alten Kameraden. Der Amadeo macht mit, der Marzi! Man kann sie doch nicht allein losgehen lassen!

      Brandt betastet unter der Wolldecke seine Narben. Dicht neben der linken Achselhöhle ist ein Loch, das die Kugel des britischen MGs gerissen hat. Weiter unten, in der rechten Hüfte, zieht sich noch eine lange Narbe am Leib entlang. Auch eine MG-Kugel, die den Bauch hätte treffen können, aber nur das Hüftfleisch aufriss. Am Schenkel noch zwei Narben von Durchschüssen. Am Rücken die Spuren von Granatsplittern. Verdammt, verdammt, es ging manchmal um ein Haar! Es wird auch diesmal wieder gut gehen. Man ist ja schließlich kein Neuling mehr, man hat jahrelang den Tod vor Augen gehabt und fürchtet ihn nicht mehr.

      Brandt liegt still und hört die festen Atemzüge des schlafenden Kameraden. Durch das offene Fenster strömt die kühle Nachtluft herein, der Geruch blühender Büsche und der salzige Geschmack des nahen Meeres. Bilder tauchen auf und ziehen vorüber. Brandt sieht sich als kleinen Jungen, daheim, in Berlin-Dahlem. Die Mutter steht am Fenster und schaut in den Garten. »Jochen, setze dich nicht auf die kalte Erde! Du verkühlst dich!« Oder draußen am Wannsee, als Jochen zum Landungssteg schwimmt: »Jochen! Komm zurück! Das Wasser ist tief. Komm sofort her!« – Die gute Mutter. Jetzt sitzt sie allein in Berlin. »Wann kommst du wieder einmal heim, mein Junge?«, schreibt sie in ihrem letzten Brief. Ja, wann? Ist es nicht Verrat, diese alte Frau um die Freude des Wiedersehens zu bringen? Ist es nicht Frevel, sich an Aufgaben heranzudrängen, die der alten Frau in Berlin nicht gesagt werden – nie gesagt wurden? Warum belüge ich Mutter? Sie wähnt mich bei einem harmlosen Kommando. Sie ahnt nicht, was ich mache.

      Brandt schnauft wie ein Ackergaul, der einen Pflug durch steinigen Boden zieht. Warum kommt man nicht mehr los von diesem Verein? fragt er sich. Warum habe ich kein Mädel, keine Frau? Bin ich nur dazu da, um mit dem Tod im Gummisack durchs dunkle Hafenwasser zu schwimmen und die Hölle heraufzubeschwören? Warum beteilige ich mich an diesem schmutzigsten Geschäft des Krieges, auf das, so man dabei ertappt wird, die Sühne an der Erschießungsmauer folgt?

      Brandt findet keine richtige Antwort auf seine Frage. Ihn widert seine Arbeit an, er hasst sie, aber er kann sich nicht von ihr losreißen. Da sind die Kameraden. Prächtige Burschen, auf die man sich verlassen kann, die ihr Leben hinopfern und bedenkenlos für den Freund in die Bresche springen. Da ist das Wort »Pflicht«, das Wort »Kameradschaft«! Und da ist schließlich die Heimat, für die man alles tut und sich die Hände beschmutzt. Nein, nein, man kann nicht mehr zurück! Man ist an die Aufgabe gebunden. Deutschlands schwerste Stunde beginnt zu schlagen. Das weiß Brandt, und deshalb wird er sich gegen ein Untauglichkeitsurteil des Dr. Brunelli sträuben.

      Am nächsten Morgen stellt Brandt fest, dass sie ihrer elf in der Villa Flora Quartier genommen haben. Sechs Männer gehören dem italienischen Geheimdienst an, drei der »Decima«, dazu Dengler und er selbst. Brunelli ist nicht da, wird erst am Nachmittag erwartet.

      Der Morgen vergeht rasch; die Freunde sitzen beisammen und wärmen alte Kampferlebnisse auf. Dann ruft die Ordonnanz zum Mittagessen. Gutes Essen. Man merkt an der Speisenfolge noch nicht, dass seit fünf Jahren Krieg ist, und in den Städten der Hunger und die Not durch die Straßen und Gassen schleichen.

      Das Mittagessen ist beendet. Brandt will einen Verdauungsspaziergang durch den verwilderten Garten machen, während sich die anderen aufs Ohr legen und Siesta halten.

      Brandt spaziert unter den Bäumen, raucht gedankenvoll eine Zigarette und denkt an seine Mutter. Immer wieder wirft er sich vor, der alten Frau gegenüber verlogen zu sein, sie kaltschnäuzig zu täuschen, indem er ihr sagt, dass er ein harmloses Dienstkommando führe und weitab vom Schuss sei.

      Brandt liebt seine Mutter. An Frauen hat er sich nicht gehängt. Da und dort ein Stundenerlebnis, dann wieder die Rückkehr zu sich selbst. Es hat ja keinen Zweck, sich ein Mädel anzulachen und ihm dann nur Kummer und Sorge zu bereiten.

      Brandt nähert sich dem Tor. Die beiden Posten sprechen mit jemandem. Draußen stehen zwei Männer und weisen sich aus. Das Tor wird aufgemacht; sie kommen herein. Brandt errät sofort, wer gekommen ist, und geht auf die beiden zu.

      »Hallo!«, ruft er. »Wenn ich mich nicht täusche, kommen Sie geradewegs aus La Spezia?«

      »Genau«, sagt der größere und setzt einen abgeschabten Pappkoffer ab. »Hauptsturmführer Kramer ist mein Name.«

      Jetzt klappt der jüngere die Hacken zusammen und stellt sich vor: »Fähnrich Möbius.«

      Brandt reicht beiden die Hand und mustert sie rasch. Kramer ist groß und breit, hat ein pockennarbiges Gesicht und kalt blickende, helle Augen. Der andere ist etwas kleiner, sieht sehr jung aus, ist ein Typ, dem die Mädchen gerne nachseufzen. Ein hübscher Kerl, dieser Fähnrich Heinz Möbius. Seine rehbraunen Augen blitzen unternehmungslustig.

      »Freue mich«, sagt Brandt und stellt sich vor. »Hatten Sie eine gute Reise?«

      »Wir sind von einem Lkw mitgenommen worden«, antwortet der SD-Mann. Dann betrachtet er die Villa und meint: »Ist hier der Verein untergebracht?«

      »Ja. Ich werde Sie gleich dem Leiter des Kommandos vorstellen.«

      »Wer ist das?«

      »Colonello Lorenzoni.«

      »Ein Italiener also?«

      »Ja. Wir sind hier die Minderheit.«

      »Oho …«, macht Kramer. Dann grinst er. »Na ja, wollen mal sehen.«

      Sie gehen auf die Villa zu und betreten die menschenleere Diele. Der Raum wirkt unordentlich.

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