Auf den Flügeln der Liebe. Barbara Cartland
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Читать онлайн книгу Auf den Flügeln der Liebe - Barbara Cartland страница 8
Die Sonne schien durch das vorhanglose Fenster und weckte ihn auf; einen Moment lag er still, mit geschlossenen Augen, und dachte an die Ereignisse des vergangenen Abends.
Im Rückblick wirkten sie grotesk, nicht wegen der Ereignisse selbst - er war in einen Wald eingedrungen und hatte eine junge Frau beim Baden in einem silbrig glänzenden See beobachtet -, sondern wegen der Gefühle, die in ihm erwacht waren, Gefühle, die zu empfinden er niemals erwartet hatte.
Er versuchte, sich einzureden, daß alles nur eine Sinnestäuschung war, und doch wußte er genau, daß dies nicht stimmte.
Gleichsam verärgert darüber, so viele Stunden mit Schlafen verbracht zu haben, sprang er aus dem Bett, mit einer Behändigkeit und Entschlossenheit, die so gar nicht seinen für gewöhnlich trägen Bewegungen entsprachen.
Nach dem Frühstück ging er hinaus auf die gepflasterte Dorfstraße, wo die Bauern ihre Waren verkauften.
Ohne sich um die auf ihn gerichteten neugierigen Blicke zu kümmern, schlenderte Armand durch das Dorf, und zwar in die Richtung, aus der er am Vorabend gekommen war, bis er den Weg erreichte, der von der hohen Mauer begrenzt war.
Diesmal wandte er sich jedoch statt nach links nach rechts und folgte der Mauer, bis er zu einem riesigen Eisentor kam, das von Steinpfeilern eingesäumt und von Wappenbildern gekrönt war. Hinter dem Tor wurde eine ungepflegte, von Unkraut überwucherte Auffahrt sichtbar, die jedoch von schönen Pappeln eingefaßt war.
Am Ende dieser Allee stand das Schloß. In der Morgensonne wirkte es sehr eindrucksvoll; seine Türme und Türmchen glitzerten vor dem blauen Himmel, die Fenster glänzten wie der See, der es von drei Seiten umgab.
Armand stand eine Weile da und starrte das Schloß an; dann kehrte er um und ging langsam zum Gasthof zurück. Der Wirt war nirgends zu entdecken, doch Armand fand auch allein den Weg zum hinteren Teil des Hauses.
In einer großen Küche mit niedriger Decke traf er die Frau des Wirtes an, die zwei junge Enten rupfte.
»Bonjour, Monsieur«, sagte sie und sah ihn mit leuchtenden Augen bewundernd an. Armand senkte den Kopf und trat durch die niedrige Tür ein.
»Bonjour, Madame«, erwiderte er. »Sagen Sie mir, wie heißt die Tante, die bei der Comtesse Rêve de Valmont lebt?«
»Madame la Duchesse de Malessene. Sie ist die Großtante der Comtesse und schon sehr betagt, Monsieur; aber sie ist noch im vollen Besitz ihrer Kräfte. Meine Nichte, die im Château arbeitet, hat mir erzählt, daß den Adleraugen der alten Dame nichts entgeht. Sie ist noch ganz vom alten Schlag, und das kann man heutzutage nicht von sehr vielen Leuten behaupten.«
»Wieso, Bürgerin, loben Sie die Aristokraten?« spöttelte Armand.
Ihm fiel auf, daß sie einen Blick über die Schulter warf, als habe sie Angst, belauscht zu werden. Dann lachte sie.
»Ich will damit ja nicht sagen, daß ich den alten Tagen nachtrauere, Monsieur. Wir wären auch wirklich undankbar, wenn wir das täten, wo unser geliebter Kaiser Frankreich doch zur größten und gefürchtetsten Nation der Erde gemacht hat. Doch es gibt einige, die die neuen Bedingungen und die neue Freiheit ausnützen. Es ist ja schön und gut, ohne Religion und all die alten Spielregeln auszukommen, mit denen wir aufwuchsen - aber sind die jungen Leute deshalb besser? Das frage ich mich manchmal.«
Sie war mit dem Rupfen der einen Ente fertig, band sie zusammen und legte sie auf den Tisch. Dann nahm sie die andere zur Hand.
»Ich hatte nie Streit mit denen, die im Château leben«, fuhr sie fort. »Der Graf war zu meiner Familie immer freundlich, und die kleine Comtesse ist ein wahrer Engel. Gott segne sie! Aber hier im Dorf werden Sie einige finden, Monsieur, die sogar über den Kaiser murren, weil er das Château den de Valmonts zurückgegeben hat.«
»Gewiß wagen sie aber auch nicht mehr als zu murren, oder?« meinte Armand.
»Ja, gewiß. Wer, so frage ich mich, sind die überhaupt, daß sie die Entscheidungen des Kaisers in Frage stellen? Das ist vielleicht eine Frechheit und Undankbarkeit! Aber, wie ich schon oft zu meinem Mann gesagt habe, man kann manchen Leuten hohe Stellungen und feine Kleidung geben, sie werden trotzdem immer die Schweine bleiben, die sie schon bei ihrer Geburt waren!«
»Ja, das stimmt«, antwortete Armand ernst. »Und im Château lebt niemand außer der Comtesse und ihrer Großtante?«
»Im Moment niemand, glaube ich, außer Antoinette.«
»Und wer ist das?« erkundigte sich Armand.
»Ach, das ist nur eine Dienerin, aber eine Persönlichkeit - eine echte Persönlichkeit! Sie war die Amme der kleinen Comtesse, und als der Terror einsetzte, schmuggelte sie sie aus dem Château, gerade in dem Moment, als die Bürger die Tore erstürmten. Viele Jahre lang wußte niemand, was der armen Kleinen zugestoßen war. Antoinette versteckte sie; es wird behauptet, daß die beiden durch das Land streiften wie Zigeuner. Vor zwei Jahren gab der Kaiser das Château der kleinen Comtesse zurück, und jetzt erwacht es allmählich wieder zum Leben.«
»Das hört sich ja fast wie ein Märchen an«, sagte Armand. »Hoffen wir, daß das Märchen glücklich ausgeht.«
Madame lachte.
»Aha«, meinte sie spitzbübisch, »Monsieur möchten, daß meine Geschichte mit einer Romanze endet! Da werden Monsieur nicht einmal enttäuscht werden, denn man hört, daß die Comtesse schon bald mit einem sehr vornehmen und äußerst wichtigen Mann verlobt werden soll.«
»Ach, wirklich?«
Armands Stimme klang plötzlich kalt. Die Hitze in der Küche und der Essensgeruch verursachten ihm mit einem Mal Übelkeit. Er wandte sich ab und trat gähnend durch die Tür ins Freie. Madame starrte ihm nach, verblüfft darüber, daß er sich so ohne ein weiteres Wort davonmachte.
Armand steuerte zielstrebig und ohne Zögern auf den Stall zu. Er rief den Stallknecht, trug ihm auf, seinen Hengst zu satteln, und wartete ungeduldig, bis der Knecht fertig war.
»Monsieur verlassen uns?« wollte der Knecht wissen.
»Nein! In ein paar Stunden bin ich wieder zurück.«
Damit schwang Armand sich in den Sattel.
Der schwarze Hengst, der nach der langen Nachtruhe erholt und voller Energie war, bäumte sich auf und tänzelte durch den Hof. Als Armand ihn schließlich in der Gewalt hatte, galoppierte er zum Château.
Genauso vernachlässigt, wie die überwucherte Auffahrt wirkte bei näherem Hinsehen auch das Château selbst; Fensterscheiben fehlten, die Fensterstürze bedurften dringend eines neuen Anstrichs, und die Gärten, die sich bergab bis zum See erstreckten, wucherten wild und ungepflegt.
Und doch war das Gebäude, dessen graue Mauern sich im Wasser spiegelten und dessen prächtige Formen auch durch äußeren Makel nicht beeinträchtigt wurden, sehr eindrucksvoll.
Armand stieg vor der Eingangstür ab und zog an der verrosteten Klingelkette. Es dauerte lange, bis die Tür geöffnet wurde.