Das Prinzip der Parteiliteratur. Hans Poerschke

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Das Prinzip der Parteiliteratur - Hans Poerschke

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von Partei und Presse als Widersprüche zwischen Ansprüchen von Leitungen und Parteibasis, Mehrheit und Minderheit, zwischen der für einheitliche Aktion erforderlichen Disziplin und der für die Entwicklung der Partei unerlässlichen Freiheit der Meinungsäußerung. Jeder größere innerparteiliche Konflikt erfasste auch das Verhältnis von Partei und Presse. Die alte deutsche Sozialdemokratie zum Beispiel wies eine ganze Geschichte solcher Konflikte auf, ob es sich um den Streit zwischen Reichstagsfraktion und Parteibasis um die Rolle des Züricher Sozialdemokrat anlässlich der sogenannten ›Dampfersubventionsaffäre‹ 1884/85 unter dem Sozialistengesetz handelte, um die Auseinandersetzung mit der Mitarbeit sozialdemokratischer Journalisten an der bürgerlichen Presse zur Zeit des Dresdener Parteitags 1903 und mit der ›Literatenrevolte‹ in der Vorwärts-Redaktion 1904/05 oder um die Konflikte zwischen Parteivorständen und regionalen Parteiorganisationen um die Verfügung über die Schwäbische Tagwacht 1914 und den Vorwärts 1916, bei denen es um die Haltung zum Krieg und das Verhalten in ihm ging. Nicht erstaunlich also, dass das Verhältnis von Partei und Presse bzw. Journalisten häufiger, wenn nicht ständiger Diskussionsgegenstand war, und dass von den Anfängen einer selbständigen Arbeiterbewegung an alle Schritte der Organisationsentwicklung auch Regelungen dieses Verhältnisses einschlossen.

      Von einem Fall einer solchen Regelung soll im folgenden die Rede sein. Es handelt sich um Lenins Artikel Parteiorganisation und Parteiliteratur2, in dem er das mit seinem Namen verbundene Prinzip der Parteiliteratur begründet hat, das in der Geschichte der kommunistischen Bewegung und des Staatssozialismus eine besondere Bedeutung gewinnen sollte. Lenin hat diesen Artikel wenige Tage nach seiner Rückkehr aus dem Exil, am 13. November 1905, in der legalen bolschewistischen Zeitung Nowaja Shisn, dem faktischen Zentralorgan der Partei, veröffentlicht. Die erste russische Revolution war seit mehr als einem halben Jahr im Gange und hatte mit Massenstreiks im Oktober 1905 einen Höhepunkt erreicht. Zar Nikolaus II. sah sich genötigt, auf die gesellschaftliche Umbruchsituation mit einem Manifest zu reagieren, das erstmals einige bürgerliche Freiheiten einräumte. Der Weg zur legalen Betätigung der Parteien – auch der Sozialisten – öffnete sich zeitweilig etwas. Lenin zögerte keinen Augenblick, eine der neuen Situation entsprechende Reorganisation der Partei und ihrer Publizistik in Angriff zu nehmen. Es ging ihm darum, Massenbasis und Massenwirkung der Partei durch die unter den Bedingungen der Illegalität nicht möglich gewesene Einbeziehung vieler sozialdemokratisch gesinnter Arbeiter in die Parteiorganisation zu erweitern, ohne den konspirativen Apparat der Berufsrevolutionäre aufzugeben. Und er sorgte sich darum, dass die Stimme der Partei im nunmehr offenen Parteienkampf deutlich und eindeutig zu vernehmen war. Dem dienten seine beiden für die Bolschewiki richtungweisenden Artikel Über die Reorganisation der Partei3 und Parteiorganisation und Parteiliteratur.

      Den letzteren eröffnete er mit einer Charakterisierung der bisherigen Situation:

      »Solange ein Unterschied zwischen illegaler und legaler Presse bestand, wurde die Frage, was als Partei- und was nicht als Parteiliteratur zu betrachten ist, äußerst einfach und äußerst falsch und unnatürlich gelöst. Die gesamte illegale Literatur war Parteiliteratur, wurde von Organisationen herausgegeben und von Gruppen geleitet, die so oder anders mit Gruppen praktischer Parteiarbeiter in Verbindung standen. Die gesamte legale Literatur war keine Parteiliteratur, weil die Parteien verboten waren – aber sie ›tendierte‹ zu der einen oder anderen Partei. Unnatürliche Bündnisse, anormale ›Ehen‹, falsche Aushängeschilder waren unvermeidlich.«4

      Aus der neuen Lage folgerte er:

      »Die Revolution ist noch nicht vollendet. Gleichwohl, auch die halbe Revolution zwingt uns alle, sofort an eine Neuregelung der Dinge zu gehen. Die Literatur kann jetzt sogar ›legal‹ zu neun Zehnteln Parteiliteratur sein. Und sie muss Parteiliteratur werden. Im Gegensatz zu den bürgerlichen Sitten, im Gegensatz zur bürgerlichen Unternehmer- und Krämerpresse, im Gegensatz zum bürgerlichen Karrierismus und Individualismus in der Literatur, zum ›Edelanarchismus‹ und zur Jagd nach Gewinn muss das sozialistische Proletariat das Prinzip der Parteiliteratur aufstellen, dieses Prinzip entwickeln und es möglichst vollständig und einheitlich verwirklichen.«5

      Lenin erklärte sodann, worin eigentlich das Prinzip der Parteiliteratur bestehe:

      »Nicht nur darin, dass für das sozialistische Proletariat die literarische Tätigkeit (das Literaturwesen)6 keine Quelle des Gewinns von Einzelpersonen oder Gruppen sein darf, sie darf überhaupt keine individuelle Angelegenheit sein, die von der allgemeinen proletarischen Sache unabhängig ist. Nieder mit den parteilosen Literaten! Nieder mit den literarischen Übermenschen! Die literarische Tätigkeit (das Literaturwesen) muss zu einem Teil der allgemeinen proletarischen Sache, zu einem ›Rädchen und Schräubchen‹ des einen einheitlichen, großen sozialdemokratischen Mechanismus werden, der von dem ganzen politisch bewussten Vortrupp der ganzen Arbeiterklasse in Bewegung gesetzt wird. Die literarische Betätigung (das Literaturwesen) muss ein Bestandteil der organisierten, planmäßigen, vereinigten sozialdemokratischen Parteiarbeit werden.«7

      Das war nicht nur als eine Sache des Bekenntnisses zu verstehen, sondern als eine enge, untrennbare organisatorische Bindung:

      »Die Zeitungen müssen Organe der verschiedenen Parteiorganisationen werden. Die Literaten müssen unbedingt Parteiorganisationen angehören, Verlage und Lager, Läden und Leseräume, Bibliotheken und Buchvertriebe – alles dies muss der Partei unterstehen und ihr rechenschaftspflichtig sein.«8

      Unmissverständlich erklärte Lenin denjenigen in der russischen Sozialdemokratie, die diese Vorstellung von Parteiliteratur nicht teilten, wie ernst es ihm mit der engen Bindung der Parteiliteraten an die Organisation und die politische Linie der Partei war:

      »Die Partei ist ein freiwilliger Verband, der unweigerlich zunächst ideologisch und dann auch materiell zerfallen würde, wenn er sich nicht derjenigen Mitglieder entledigte, die parteiwidrige Auffassungen predigen. Zur Festsetzung der Grenze, was parteimäßig und parteiwidrig ist, dient das Parteiprogramm, dienen die taktischen Resolutionen und das Statut der Partei, dient schließlich die ganze Erfahrung der internationalen Sozialdemokratie Die Freiheit des Denkens und die Freiheit der Kritik innerhalb der Partei werden uns nie vergessen lassen, dass es eine Freiheit der Gruppierung von Menschen zu freien Verbänden gibt, die man Parteien nennt.«9

      Das mit diesen Kernaussagen des Artikels umrissene Prinzip der Parteiliteratur erlangte seine besondere historische Bedeutung dadurch, dass es die Begründung für den Umgang der Partei der Bolschewiki mit der Presse und später anderen Medien über die ganze Zeit ihrer Existenz lieferte, dass es 1920 auf alle der Kommunistischen Internationale angehörenden Parteien übertragen wurde und dass es schließlich das Medienregime in allen Ländern des Staatssozialismus prägte, nicht zuletzt die Medienpolitik der SED. Seine theoretische Bedeutung bestand vor allem darin, dass es zum Kernbestand der ›leninschen Lehre‹ von der Partei neuen Typs als der der Epoche des Imperialismus und der sozialistischen Revolution gemäßen proletarischen Partei gehörte. Damit war es zugleich ein Grundbaustein der marxistisch-leninistischen Journalismustheorie, ob sie in Moskau oder in Leipzig vertreten wurde. Eine prägende Rolle spielte es auch in der – im Weiteren außerhalb der Betrachtung stehenden – Literaturwissenschaft der DDR. Hans Koch bezeichnete schon Anfang der 1960er-Jahre Lenins Artikel als »[d]ie Geburtsurkunde der leninistischen Etappe der internationalen marxistischen Literaturwissenschaft«10, und dieser Leitsatz behielt bis zum Ende der DDR offizielle Gültigkeit.

      Heute, nach dem ruhmlosen Untergang des staatlich organisierten Sozialismus und dem weltweiten Rückschlag der sozialistischen Bewegung, können wir nur nüchtern davon ausgehen, dass das Wirken der nach dem Prinzip der Parteiliteratur geführten, gehandhabten Massenmedien zu den Ursachen dieser Katastrophe gehört. Was bleibt noch zu tun, außer dieses Prinzip als von der Geschichte verworfen zu den Akten zu legen? Das wäre ein Leichtes, es wäre freilich auch allzu preiswert. In mehrerer Hinsicht kann es damit jedoch nicht sein Bewenden haben.

      Erstens

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