Das Prinzip der Parteiliteratur. Hans Poerschke

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Das Prinzip der Parteiliteratur - Hans Poerschke

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realen Sozialismus einer adäquaten oder einer unangemessenen Anwendung des Prinzips der Parteiliteratur geschuldet ist. Diese Frage zu stellen liegt mir um so mehr am Herzen, als ich zu DDR-Zeiten lange annahm, die Enge der SED-Medienpolitik sei in einer unzureichenden Umsetzung des leninschen Erbes begründet und mit dessen besserer Aneignung zu beheben. Auch hat die Annahme einiges für sich, dass unter Stalin entstandene Entstellungen des leninschen Konzepts am Ende ihre verhängnisvollen Folgen zeitigten. Wie also verhält es sich in der Tat?

      Zweitens, und das ist für mich besonders wichtig: Ich habe das Prinzip der Parteiliteratur über lange Jahre in Publikation und Lehre vertreten aus für mich damals gewichtigen, ja, unabweisbaren Gründen, die allesamt dem Gedankengebäude der ›Lehre von der Partei neuen Typs‹, der für die theoretische Begründung des sozialistischen Journalismus wichtigsten Hinterlassenschaft Lenins, entstammten und die lauteten:

      •Die mit der Epoche des Imperialismus verbundenen neuen, komplizierteren, härteren Bedingungen und Formen des Klassenkampfs und der heranreifende Sturz des kapitalistischen Systems machten einen neuen Typ der proletarischen Partei und einen ihr entsprechenden neuen Typ der proletarischen Presse erforderlich.

      •Lenin konnte dieses Problem erkennen und praktisch lösen, weil er sich auf die Erkenntnisse von Marx und Engels und auf die besten Erfahrungen der sozialistischen Arbeiterbewegung stützte und sie entsprechend den neuen historischen Bedingungen weiterentwickelte. Das Ergebnis war mit dem Prinzip der Parteiliteratur ein den Forderungen der Epoche entsprechendes, allgemeingültiges System von Normen, der alternativlose Handlungsgrundsatz für die Gestaltung des Verhältnisses von Partei und Presse.

      •Die für ihre Aktionsfähigkeit wichtigste Eigenschaft der Partei ist ihre politisch-ideologische und organisatorische Einheit und Geschlossenheit, das wichtigste Merkmal der Parteipresse deshalb ihre vollständige politisch-ideologische Übereinstimmung mit der Partei, und das nicht nur, wie z. B. bei der deutschen Sozialdemokratie, in grundsätzlichen Fragen. Wir hielten es damals für notwendig, zu betonen:

      »Unterschiede im Herangehen an beliebige politisch-ideologische Fragen zwischen der Partei und einzelnen journalistischen Organen können im revolutionären Kampf unübersehbaren Schaden anrichten und müssen auf jeden Fall vermieden werden. Die politische Linie der Partei ist für den Journalismus unbedingt verbindlich.«11

      •Diese Übereinstimmung und die völlige Integration in die Parteiarbeit sind nur zu sichern, wenn die Parteipresse von der Partei geführt wird. Dazu muss sie stets einer Parteiorganisation untergeordnet sein, genauer: der jeweiligen Parteileitung, die dafür autorisiert ist, denn »die demokratisch gewählten Leitungen verwirklichen den Willen der Mehrheit der Partei, sie sind der Partei für ihre Handlungen verantwortlich, also auch für die Führung der Presse«.12 Die Erklärung tschechoslowakischer Journalisten während des Prager Frühlings, dass nicht allein die Leitung über die Zeitung verfügen dürfe, die Organ der ganzen herausgebenden Organisation ist, galt uns damals als opportunistisch, ja, sozialismusfeindlich.13

      •Ebenso müssen die Parteijournalisten als Mitglieder in die Partei eingebunden sein, denn so sind sie wie jedes andere Mitglied an die Parteidisziplin gebunden und verpflichtet, nur parteigemäße Auffassungen zu verbreiten. Aus historischen Erfahrungen der Auseinandersetzung mit dem Opportunismus, der »Versumpfung« der alten sozialdemokratischen Parteien und ihrer Presse ergab sich die Lehre, dass diese Anforderungen nicht im Selbstlauf erfüllt werden, sondern nur unter der Bedingung einer »ständigen straffen und konsequenten Kontrolle der Arbeit der Journalisten durch die Partei«.14

      Die Rigorosität des Prinzips der Parteiliteratur habe ich durchaus nicht unbedingt als angenehm, aber als unausweichlich empfunden. Sie zu akzeptieren und die ständig gespürte Enge der Medienpolitik der SED als überwindbaren Mangel anzusehen, half Lenins Versicherung in seinem Artikel Parteiorganisation und Parteiliteratur:

      »Kein Zweifel, das literarische Schaffen (Literaturwesen) verträgt am allerwenigsten eine mechanische Gleichmacherei, eine Nivellierung, eine Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit. Kein Zweifel, auf diesem Gebiet ist es unbedingt notwendig, weiten Spielraum für persönliche Initiative und individuelle Neigungen, Spielraum für Gedanken und Phantasie, Form und Inhalt zu sichern.«

      Dazu trug auch seine Erklärung bei, »dass der literarische Teil der Parteiarbeit des Proletariats den anderen Teilen der Parteiarbeit des Proletariats nicht schablonenhaft gleichgesetzt werden darf«.15 Und von großem Gewicht, ein herausforderndes und in der Realität des DDR-Journalismus großenteils erst noch zu verwirklichendes Programm war für mich das als logische Konsequenz erscheinende Versprechen am Ende des Artikels, »der heuchlerisch freien, in Wirklichkeit aber mit der Bourgeoisie verbundenen Literatur die wirklich freie, offen mit dem Proletariat verbundene Literatur gegenüberzustellen[,] […] die eine freie Literatur, die das letzte Wort des revolutionären Denkens der Menschheit durch die Erfahrung und die lebendige Arbeit des sozialistischen Proletariats befruchten und zwischen der Erfahrung der Vergangenheit (dem wissenschaftlichen Sozialismus, der die Entwicklung des Sozialismus, von seinen primitiven, utopischen Formen an, vollendet hat) und der Erfahrung der Gegenwart (dem heutigen Kampf der Genossen Arbeiter) eine ständige Wechselwirkung schaffen wird«.16

      Alle diese Gründe können nicht wie falsche Glaubenssätze durch Abschwören erledigt werden, sondern nur durch eingehende, auf gründliches Studium des historischen Materials gestützte Kritik und Widerlegung. Ich muss mir selbst und anderen erklären können, warum die einst guten Gründe ihre Kraft verloren haben. Die Argumente dafür konnten nur aus einer Rekonstruktion des Entstehens, der Entwicklung, der Wirkung des Prinzips der Parteiliteratur gewonnen werden. Auf diesem Wege bin ich die Schritte gegangen, die mir für meinen eigenen Erkenntnisprozess unerlässlich zu sein schienen. Und ich habe das in dem Maße getan, wie mir in einer relativ isolierten Arbeitssituation die dafür erforderlichen Quellen zugänglich waren. Die Übersetzungen russischsprachiger Texte – bis auf die Lenins und Trotzkis – habe ich in Ermangelung vorhandener oder für mich greifbarer selbst verfertigen müssen. Nun also zu den zurückgelegten Schritten.

      Erstens: Wir haben, wie es auch marxistisch-leninistische Autoren in der Vergangenheit taten, davon auszugehen, dass Lenins Artikel Parteiorganisation und Parteiliteratur zwar seinen unmittelbaren Anlass in der während der Revolution von 1905 kurzfristig sich andeutenden Möglichkeit der Herausgabe legaler Parteizeitungen und dem damit verbundenen Bedürfnis hatte, die Vertretung des Standpunkts der Partei durch ihre Presse unter den Bedingungen des legalen Parteienkampfes zu sichern; dass aber die Form, die Lenin dem Verhältnis von Partei und Presse geben wollte und die Art, wie er sie begründete, ihren Ursprung in den Auseinandersetzungen um die Organisationsfrage und der aus ihnen erwachsenen Spaltung der russischen Sozialdemokratie auf ihrem II. Parteitag 1903 hatte. Das Prinzip der Parteiliteratur ist also in Lenins Parteikonzept einzuordnen, wie er es vor allem in seiner Arbeit Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück dargestellt und an dem er später bei allen situationsbedingten Veränderungen unbeirrt festgehalten hat.

      Davon ist auch zu DDR-Zeiten ausgegangen worden, allerdings auf eine von der Dogmatik des Marxismus-Leninismus geprägte Weise. Wir haben damals das leninsche Erbe in einer Auswahl und Interpretation aufgenommen, wie sie die unter Stalin fabrizierte und kanonisierte ›Lehre von der Partei neuen Typs‹ bot, die bis zur Wende offizielle Parteidoktrin der SED geblieben ist. In der marxistisch-leninistischen Literatur ist Lenins Parteikonzept, speziell sein Prinzip der Parteiliteratur, niemals wirklich grundsätzlich, allseitig und historisch konkret darauf untersucht worden, ob überhaupt oder inwieweit es als organisationsstrukturelle Bedingung für die Verwirklichung des emanzipatorischen Anliegens der proletarischen Partei geeignet war – dabei das Für und Wider im Vergleich mit vorangegangenen Lösungen und konkurrierenden Konzepten abwägend, auch die ihm selbst innewohnende Widersprüchlichkeit analysierend. Diese Arbeit, die vor einem Vierteljahrhundert und schon früher hätte geleistet werden müssen, ist in vieler Hinsicht heute nachzuholen. Erst wenn wir wissen, welche realen

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