Österreich liegt am Meer. Helmut Luther
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Der Siegeszug des Zweitgeborenen in Wien ist noch beeindruckender als die Karriere von Paul Strudel. 1888 wird ihm der Titel »Kammermaler« verliehen. Nur ein Jahr später erhält der kaum Dreißigjährige vom Kaiser ein Jahresgehalt von dreitausend Gulden zugesprochen, mehr bekommt kein Hofkünstler. Im Gegenzug musste der Künstler sein Talent acht Monate im Jahr ausschließlich der Ruhmesvermehrung des Kaisers widmen. Ähnlich wie in der Architektur Johann Bernhard Fischer von Erlach fiel Peter Strudel mit seiner Malerei die Rolle zu, dem imperialen Anspruch des erstarkten Kaiserreichs Geltung zu verschaffen. Er belieferte die Hauptstädter mit seinen an venezianischen Vorbildern geschulten Portraits, religiös mythologischen Gemälden, die heute in Wiener Gotteshäusern hängen – etwa in der Rochuskirche oder der Währinger Pfarrkirche, im Belvedere oder der fürstlich Liechtenstein’schen Galerie. Sein Selbstbewusstsein wird an den hohen Honorarforderungen deutlich: Für zwei Altarbilder und zwei Supraporten verlangt und bekommt er 3500 Gulden – heute wären das etwa 180 000 Euro.
Quellen schildern Peter Strudel als tatkräftigen, vor Ehrgeiz brennenden und rastlos an seiner Karriere bastelnden Künstler. »Manchmal sticht der Geck dem Maler vor und der Welsche einem praktikablen Mann«, urteilte Reichsvizekanzler Friedrich Karl von Schönborn wenig schmeichelhaft – spekulierte aber nach Strudels Tod auf eine sofortige Wertsteigerung von dessen Werken: »Strudelius ist maustot und werden nun gar in balden dessen Gemahl sicher in höheren Wert sein.« Im Strudlhof an der Währinger Straße, der als Sitz der Akademie sowie als Wohn- und Arbeitsort Peter Strudels und seiner Familie dient, hält er sich einen Hofstaat mit eigenem Kammerdiener, Sekretär und ergebenen Schülern. Zum Unterricht gehören Lektionen in Anatomie, Geometrie, Militär- und Zivilarchitektur. Durch das Nachmodellieren von Gipskopien antiker Plastiken, die Strudel von einer Romreise mitgebracht hatte, sowie durch Kopieren alter Meistergemälde sollten die Schüler ihr Können unter Beweis stellen. Peter Strudels Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung wird 1696 mit der Verleihung des Truchsessamtes an der kaiserlichen Tafel belohnt. 1701 wird er als »Strudl de Strudenhoff« in den Freiherrenstand erhoben – auch wenn der Kaiser privatim dazu meint, der Titel solle besser dem »guten alten Adel« vorbehalten bleiben.
Vielleicht wirft dies ein Licht auf die Arbeitsumstände der Strudel-Brüder: ihre ungesicherte Existenz als freie Künstler, das ständige Ringen um Aufträge und soziale Anerkennung, das alle drei in die Rolle von Unternehmern und »Erfindern« schlüpfen ließ. Gleich nach seiner Ankunft in Wien hatte Peter Strudel mit den kaiserlichen Truppen an der Belagerung von Ofen, heute in Budapest, teilgenommen. Anschließend bemühte er sich, dort die Erlaubnis zur Gründung einer Papierfabrik sowie eine Branntweinpacht zu erhalten. Später wollte er bei Wissegrad einen Ziegelkalkofen errichten. Sein Bruder Paul hielt den engsten Kontakt mit der alten Heimat. 1707 verlieh ihm das Dorf Denno die Ehrenbürgerschaft. Im Jahr darauf erhielt er das Privileg, in den Wäldern des Nonstals Holz schlagen zu dürfen.
Am wenigsten Künstler des Brüdertrios und mehr »Erfinder« war der 1667 geborene Dominik. Mittels einer neuen »Invention« gelingt es dem »Ingenieur«, Fortschritte bei der Trockenhaltung mehrerer Bergwerke zu erzielen. Durch »Wasserkunstwerke« schafft er es, die Anzahl der zur Entwässerung der Schächte notwendigen Pferde zu reduzieren. 1704 will er das Kriegsministerium von der Errichtung einer schwimmenden Festung auf der Donau überzeugen. »Domenico Strudel überreicht ein Projekt, wie eine von etlichen Schiffen formierte Maschine auf der Donau wider den Feind gebraucht werden kann«, vermerkt ein am 3. Juni 1704 abgefasstes »Hofkriegsratsprotokoll«.
Und wie hängen Kaiserin Sisi und die Strudel-Brüder zusammen? Ganz einfach: durch den Marmor und das k. und k. Transportwesen. Wie schon erwähnt, ist die meist mit einem frischen Blumenstrauß im Schoß geschmückte Sisi-Statue im gleichnamigen Park von Meran aus Vinschgauer Marmor. Entstanden ist das weiße Gold vor etwa vierhundert Millionen Jahren, als vor Afrika gelagerter Kalkstein durch die Kontinentalplattendrift nach Norden verfrachtet wurde und sich unter Hitze und großem Druck in kristallinen Marmor verwandelte – besonders harten und witterungsbeständigen Marmor, was die Steine aus dem Vinschgau für im Freien aufgestellte Denkmäler geeignet macht. Im großen Stil bekannt wurde das 1873 durch die Weltausstellung in Wien, wo Möbel und Kunstgegenstände aus »Laaser Marmor« (Laas heißt ein Dorf im Vinschgau) präsentiert wurden. In Laaser Marmor erstrahlt die Wiener Ringstraße. Entdeckt hat ihn Paul Strudel – behauptet er jedenfalls. Und er begann auch mit dem Abbau des edlen Gesteins. »Hab ich … ein schönes weißes Marmor durch meine angewandte Mühe undt aigene Unkosten, insonderheit zu S(ch)landers über Greflen im Taal Fraz (Laas) erfunden … ein von Godt destinirtes Klainodt, davor die glorwürdigste Statuen zur ewigen Gedächtnuß des Erzhauß von Österreich auff die Füeß gantz natürlich … zu machen«, schreibt er am 10. Mai 1707 in einem an den »Kayßer, König und Herr Herr ecc.« gerichteten Brief. Auf Karren sowie Flößen wurden die Marmorblöcke nach Wien geschafft. Einmal kenterte ein Floß mitsamt seiner tonnenschweren Ladung – ein herber Verlust für den Künstler-Unternehmer.
Als die Brüder in kurzen Abständen sterben, Paul 1708, Peter 1714 und Dominik 1715, bricht das Strudel-Imperium schnell zusammen. Weder Pauls Sohn, noch der von Peter besitzen die Begabung ihrer Väter. Dominik hatte keine Nachkommen. Peters Sohn Johann Wilhelm scheint ein Hallodri gewesen zu sein. Vom Vater erbte er nur die Maßlosigkeit und Großtuerei, er leistete sich eigene Bedienstete, richtete einen Privatzoo ein, trat als Cornet, Rittmeister und schließlich als kaiserlicher Hauptmann in ein Regiment ein. Den in seinen Besitz gefallenen Strudlhof musste er verpfänden. Als Baron Johann Wilhelm nicht einmal dreißigjährig in einem Gasthaus das Zeitliche segnete, hatte er seit Langem keine Miete mehr bezahlt. Das Jahresgehalt eines Universitätsprofessors beträgt zu dieser Zeit etwa dreihundert Gulden – der Strudlhoferbe hinterlässt eine Schuld von vierzigtausend Gulden. Danach sei das Leben der Strudel-Sippe »wieder in die bescheideneren Bahnen des Nonsberger Stammes zurück(gekehrt)«, schreibt Biograf Manfred Koller.
Vielleicht kann ich dort Näheres erfahren. Piergiorgio Comai, mein lokaler Gewährsmann, hat Vervò als Treffpunkt vorgeschlagen. Das kleine Dorf liegt auf einem Hochplateau über dem Nocefluss. Vor der Pfarrkirche mit nadelspitzem Turm plätschert ein Brunnen. Aus einer Bar an der zentralen Piazza, wo die Autobusse anhalten, dringen laute Männerstimmen. Von hier zweigen enge Gassen wie Blutgefäße von der Herzader ab. Hölzerne Torbögen markieren die Einfahrten zu Ställen und Heustadeln, wo längst kein Heu mehr gelagert wird und keine Kühe mehr gemolken werden. Auf Fenstersimsen blühen Geranien. Vervò wirkt gepflegt, wie alle Dörfer im Nonstal. Auf einem Felsen am Dorfrand, hinter dem es steil bergab geht, klebt eine gotische Kirche. Während wir in wenigen Minuten dorthin spazieren, zeigt Comai auf den Hang über dem Gotteshaus, wo Ausgrabungen ein römisches Kastell, Gräber, Münzen sowie beschriftete Steine aus der Antike zutage gefördert haben. Wegen der häufigen Überflutungen des Etschtales hätte hier eine antike Straße vorbeigeführt, sagt Comai. »Die Steine befinden sich heute im Museo Lapidario von Verona und werden schon von Theodor Mommsen in seiner »Geschichte Roms« beschrieben.«
Durch eine Seitentür gelangen wir in das Innere der dem Heiligen Martin geweihten Kirche. An der Decke zwischen dem Kreuzgewölbe prangt neben den Evangelistensymbolen das Wappen von Cles mit zwei kletternden Löwen. Der linke Seitenaltar, den Heiligen Philipp und Jakob geweiht, wurde 1683 von Pietro Strobli geschnitzt. Piergiorgio Comai hat einen Spiegel mitgebracht, sodass ich ihn mit der Hand in den engen Spalt zwischen Mauer und hölzernem Altarpfosten zwängen kann, um die aufgepinselte Künstlersignatur zu lesen. Auch der Hauptaltar mit einem Gemälde