Nur wenn ich lebe. Terri Blackstock
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Читать онлайн книгу Nur wenn ich lebe - Terri Blackstock страница 16
Nach der ersten Strophe ist mir die Melodie vertraut und ich singe mit. Ein tiefer Friede durchströmt mich. Kein Vergleich zu dem Gefühl, das ich vielleicht mal in einem Wald verspürt habe.
Wie wäre es wohl, wenn ich zu dieser Gruppe dazugehörte? Wenn ich begrüßt würde wie ein Familienmitglied, wenn ich zur Tür hereinkäme? Aber das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Zugleich frage ich mich, ob Dylan das wohl in seiner Kirche erlebt. Ich stelle mir vor, wie er Leute umarmt und ihnen zur Begrüßung die Hände schüttelt, wie er in seiner geöffneten Bibel mitliest, während die Predigt gehalten wird und sich dabei Notizen an den Rand schreibt. Vermutlich versuchen ständig irgendwelche Leute, ihn mit irgendeiner unverheirateten christlichen Frau zu verkuppeln. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Wie komme ich überhaupt dazu, mir eine Zukunft mit ihm vorzustellen?
Der Prediger tritt ans Mikrofon und bittet die Zuhörer, die Personen rechts und links zu begrüßen. Zu meinem Entsetzen geht das Licht an. Überall beginnen Gespräche.
So schnell ich kann, verlasse ich meine Reihe und eile Richtung Ausgang. Die Begrüßungsleute sind nicht mehr zu sehen, wahrscheinlich sind sie jetzt selber im Saal. Niemand hält mich auf.
Erst an meinem Wagen werde ich langsamer. Hoffentlich hat mich niemand erkannt. Auf dem Weg zurück in mein Motel weine ich. Die Tränen hinterlassen wieder eine schmutzige Spur auf meinem Gesicht. Mit aller Kraft versuche ich, mich an den tiefen Frieden zu klammern, den ich ein paar Sekunden lang gespürt habe. Er wird noch eine Weile vorhalten müssen. Und ich werde dafür sorgen, dass meine Gedanken mir nicht im Wege stehen.
In meinem Zimmer öffne ich meine Bibel und lese die Stelle, über die der Pastor in der Kirche predigen wollte. Aber ich verstehe sie nicht. Was hätte er wohl gesagt? Schade, dass ich es nicht gehört habe.
Die Bibelstelle tippe ich bei Google ein und sofort werden mir verschiedene Seiten angezeigt. Als ich auf einen Link klicke, öffnet sich eine Seite mit der Predigt eines anderen Pastors. Ich lasse sie laufen und stelle mir dabei vor, dass ich selbst in diesem Gottesdienstraum sitze und gemeinsam mit den anderen Besuchern die Worte in mich aufsauge. Warum ist mir diese Idee nicht schon früher gekommen? Ich kann so viel über das Christsein lernen, wenn ich mir einfach YouTube-Videos ansehe.
Die nächsten Stunden verbringe ich damit, dem Pastor zuzuhören, während er über sechs verschiedene Themen spricht. Anschließend fühle ich mich besser und es macht mir nicht mehr so viel aus, dass ich bei dem Gottesdienst nicht dabei sein konnte. Selbst wenn das hier nicht das Haus Gottes ist, kann ich trotzdem seine Stimme hören.
10
Dylan
Kurt Keegans Anruf kommt am Freitag und ich nehme argwöhnisch ab. Ich kann meinen ehemaligen Schulfreund nicht mehr als Kumpel bezeichnen, wenn ich gleichzeitig weiß, dass er der Sohn eines Serienmörders ist.
„Dylan, hast du heute Abend schon was vor?“, fragt er.
Ich versuche fröhlich zu klingen. „Wieso, was schwebt dir denn vor?“
„Ich dachte mir, dass wir uns auf einen Drink im Monnogan’s treffen könnten.“
„In dieser Absteige?“, frage ich scherzhaft, weil ich weiß, dass es sich dabei um die Stammkneipe der meisten Polizisten handelt.
„So schlimm ist es nicht. Vielleicht kann ich auch noch ein paar aus unserer alten Gang einladen. Miller, Kramer, Jecowitz. Ein paar andere.“
Ich kann mir schlecht anmerken lassen, dass ich ihm nicht vertraue, also stimme ich widerwillig zu. Immerhin ist das eine gute Möglichkeit, um abzuschätzen, wie stark er in die Machenschaften seines Vaters verwickelt ist.
Zu früh treffe ich im Monnogan’s ein und überprüfe den Laden. Unbedingt will ich sicher sein, dass es sich nicht um eine Falle handelt. Statt mich an den mir zugewiesenen Tisch zu setzen, ziehe ich drei andere Tische zusammen und schiebe die Stühle darum. Eine meiner paranoiden Angewohnheiten, um Kontrolle über die Situation zu behalten. So kann ich sicherstellen, nicht abgehört zu werden. Wenn Kurt aber wirklich mit seinem Dad zusammenarbeitet, könnte er sich auch einfach selbst verkabelt haben.
Kurz nach sieben – zur abgemachten Zeit – betritt Kurt die Kneipe gemeinsam mit einer jungen Frau. Sie ist hübsch und blond und außerdem die typische Cheerleaderin, für die Kurt schon immer geschwärmt hat. Er stellt sie mir als Grayson vor und sagt, sie seien verlobt.
Grayson ist eine akademische Schönheit mit einem schnellen Lächeln und intelligenten Augen. Sie wählt sich den Platz zwischen uns aus, als hätte sie sich bereits an mich gewöhnt. Das beeindruckt mich. Kurt scheint wirklich verliebt in sie zu sein. Ununterbrochen sieht er zu ihr hinüber und baut sie wie selbstverständlich in seine Erzählungen mit ein. Während wir unsere Drinks bestellen – zwei Bier und für mich eine Cola –, unterhalten wir uns gemütlich, bis nach und nach die anderen Jungs aus unserer Schulzeit eintrudeln. Jeder von ihnen gibt irgendeinen Kommentar bezüglich Brents Tod ab, aber ich möchte nicht darüber sprechen. Schnell lenke ich sie von dem Thema ab und frage stattdessen, was die Jungs in den letzten Jahren so getrieben haben.
Als schließlich jeder von uns sein Essen und ein Getränk vor sich stehen hat, sind fünf Gespräche im Gang. Statt mich zu unterhalten, beobachte ich Grayson und Kurt und versuche zu erkennen, ob Kurt ein ähnliches psychopathisches Verhalten wie sein Vater zeigt. Ich denke an unsere Schulzeit zurück, als wir noch gemeinsam etwas unternommen haben. Zwar war er auch früher nicht gerade als König der Empathie bekannt, trotzdem hätte ich ihm niemals die Beteiligung an einem Mord zugetraut.
Als einer unserer Freunde und Kurt sich einen Weg zum Tischkicker bahnen, bleibe ich mit Grayson zurück. „Also, für wann ist die Hochzeit geplant?“, frage ich.
„In sechs Wochen“, antwortet sie. „Wir zählen schon die Tage.“ Ich nippe an meinem Drink. „Wird es eine große Hochzeit?“
„So groß, wie wir es uns leisten können“, sagt sie.
„Meine Schwester hatte eine gigantische Hochzeit“, erzähle ich ihr. „Sechs Brautjungfern. Sie hat aber auch einen reichen Kerl geheiratet. Meine Familie hätte sicher nicht dafür aufkommen können. Eigentlich war ein Großteil nicht einmal eingeladen. Trotzdem bin ich froh, dass sie bekommen hat, was sie sich wünschte. Sie hat es wirklich verdient.“
„Wir zahlen das meiste selbst“, sagt Grayson. „Wir beide sind in sparsamen Familien groß geworden. Wenn wir Geld von ihnen leihen würden, wären wir ihnen anschließend etwas schuldig. Kurt und ich waren uns schnell einig, dass wir mit unseren eigenen Mitteln auskommen wollen.“
Interessant, denke ich. „Ach ja? Habt ihr denn eine tolle Reise für eure Flitterwochen geplant?“
„Wir werden für ein Wochenende runter nach New Orleans fahren. Als Polizist verdient er nicht besonders viel und ich bin Lehrerin. Das heißt, dass wir nicht viel zur Seite legen können, um nach Cancun oder so zu fahren.“
„Ja, das würde vermutlich wirklich ein großes Loch in euren Geldbeutel reißen.“
„Mit den Vorbereitungen sind wir so gut wie fertig. Mein Kleid habe ich mir auf eBay bestellt. Es ist wundervoll. Tatsächlich habe ich ein Vera Wang für zweihundert Dollar erstanden. Ich hatte Angst, dass es wie ein Halloween-Kostüm aussehen würde. Aber es war genau das, was ich gesucht