Faszination Jesus. Roland Werner

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Faszination Jesus - Roland Werner

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wie sie hier im Überblick gegeben werden, stellen ja nicht mehr als die Spitze des Eisbergs da. Wären alle Schriften des Altertums bewahrt, könnten wir sicher ein noch viel vollständigeres Bild von Jesus, seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung sowie von den ersten Jüngern gewinnen. Doch was wir außerhalb des Neuen Testaments über Jesus erfahren, ist schon beachtlich. Es ist wie ein Scherenschnitt, anhand dessen wir die groben Züge von Jesus erkennen können.

      Wenn wir jedoch Jesus genauer ins Blickfeld bekommen möchten, müssen wir ins Neue Testament schauen. Dort sehen wir Jesus, wie er wirklich war.

      JESUS IN DEN EVANGELIEN

      Was wir von Jesus wissen, wissen wir durch das Neue Testament. Wer die Berichte der Evangelien vorurteilsfrei liest, wird ein immer deutlicheres Bild von der Person Jesus gewinnen. Seine Worte, seine Taten, seine Reaktionen, sein Umgang mit Menschen, all dies und viel mehr tritt so klar vor unser geistiges Auge, dass wir das Gefühl bekommen, Jesus wirklich persönlich zu kennen. Er fasziniert bis auf den heutigen Tag. Wir finden Jesus aber nicht an den Evangelien vorbei. Sie sind die einzigen durchgängigen Berichte, die wir vom Leben und Sterben Jesu haben. Zwar lassen sie vieles aus dem Leben Jesu aus. Nur zwei der Evangelien berichten etwas aus seiner Kindheit und Jugend. Die ersten Jahrzehnte seines Lebens werden kaum erwähnt. Der Fokus der Evangelien liegt auf dem öffentlichen Wirken Jesu seit seiner Taufe. Es sind nur wenige Jahre, zwei oder drei, in denen er mit seinen Jüngern durch Palästina wanderte und seine Botschaft verkündigte. Nach dem gestrafften Bericht der synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus und Lukas) scheint es gerade ein Jahr gewesen zu sein mit nur einer Reise von Galiläa nach Jerusalem, während Johannes ausführlicher von mehreren Wanderungen nach Jerusalem zu den jährlichen Festen berichtet. In jedem Fall war es nur eine kurze Zeit, in der Jesus öffentlich auftrat. Und doch veränderten diese wenigen Monate den Gang der Weltgeschichte.

      Evangelium – eine Nachricht, die alles verändert

      Davon berichten die Evangelien. Das Wort Evangelium bezeichnet eine ganz neue Literaturgattung, die es bis dahin noch nicht gegeben hatte. Die Evangelien sind ganz anders als die üblichen Biografien des Altertums. An vielen Einzelheiten des Lebens Jesu gehen sie vorüber. Sie konzentrieren sich auf eins: darzustellen, was Jesus sagte, was er tat, wie er Menschen begegnete, wie er starb und was danach geschah. In dem allen findet sich das „Evangelium“. Das Wort bedeutet genau übersetzt: „gute Nachricht, Botschaft, die Gutes bringt“. Es wurde ursprünglich im römisch-griechischen Umfeld gebraucht, wenn der Kaiser einen Erlass verkündigen ließ, zum Beispiel die Nachricht, dass Steuern erlassen wurden (was selten vorkam). Oder dass ihm ein Sohn und Thronfolger geboren wurde. Also eine gute Nachricht, die alle anging.

      Beide Bedeutungsstränge zusammengenommen zeigen, was ein Evangelium ist: Es ist die Botschaft Gottes, die alle angeht. Das ganze Leben Jesu ist eine einzige gute Nachricht für die Menschen. Deshalb wählten die Berichterstatter diesen Ausdruck, Evangelium, als Namen für ihre Jesusberichte.

      Die Evangelien sind zuverlässig

      Die Evangelien sind also Berichte über Jesus, die in der frühen Christenheit niedergeschrieben wurden. Keine anderen Schriften der Weltliteratur sind gründlicher untersucht worden als die Bücher des Neuen Testaments und vor allem die vier Evangelien. Und je länger sich Wissenschaftler mit ihnen befassen, umso größer wird das Vertrauen darauf, dass sie historisch zuverlässig sind. Während man vor 50 Jahren noch an vielen Orten die Glaubwürdigkeit der Evangelien stark in Zweifel zog, ist man inzwischen viel vorsichtiger in der Kritik geworden. Denn immer wieder zeigte sich, dass die Evangelien doch recht hatten. Im Anhang gehen wir etwas genauer auf ihre Entstehung ein. Deshalb soll hier nur ein kurzer Abriss gegeben werden.

      Nach einer Phase der mündlichen Weitergabe der Worte und Taten Jesu fingen schon früh Christen an, einzelne Aussprüche Jesu zusammenzustellen und einen Abriss seines Lebens zu geben. In der Antike galt allgemein die mündliche Tradition mehr als die schriftliche. Die verlässliche Weitergabe einer Aussage von Augenzeugen an zuverlässige „Tradenten“, also Überlieferungsträger, die das Gehörte auswendig lernten, war der normale Weg, Dinge für die Nachwelt zu erhalten. In Gesellschaften, die nicht so sehr vom geschriebenen und gedruckten Wort abhängig sind wie wir, ist dies heute noch üblich. Wo nicht die ständige Reizüberflutung einer fast totalen Medienversorgung herrscht, ist es ohne Weiteres möglich, auch längere Texte auswendig zu kennen. Ich selbst habe in Kairo sechsjährige Kinder gesehen, die schon den ganzen Koran auswendig wussten. Die großen Werke von Homer, Ilias und Odyssee wurden über Jahrhunderte mündlich überliefert. Auch in Afrika und Asien finden wir dies: Menschen können erstaunliche Gedächtnisleistungen vollbringen, wenn sie etwas für so wertvoll und wichtig halten, dass es überliefert wird.

      Nun handelt es sich bei den Evangelien längst nicht um so riesige Zeiträume, in denen die Informationen nur mündlich weitergegeben wurden. Man geht heute allgemein davon aus, dass Markus das früheste Evangelium ist und in der Mitte der Sechzigerjahre des 1. Jahrhunderts n. Chr. in Rom entstand. Das bedeutet, dass ein Abstand von nicht viel mehr als 30 Jahren zu den Ereignissen besteht, die berichtet werden. Viele der Augenzeugen lebten noch. Markus selbst stammte aus Jerusalem und hielt in seinem Evangelium vor allem die Erinnerungen der Urgemeinde in Jerusalem und die von Petrus fest, der zu der Zeit in Rom war und kurz darauf den Märtyrertod erlitt.

      Die Absicht des Lukas

      Lukas, der einige Jahre später schrieb, meiner Auffassung nach noch vor der Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.) und vor Paulus’ Tod (66 oder 64 n. Chr.), leitet sein Evangelium mit folgenden Worten ein:

      Der griechische Arzt Lukas, der Christ geworden war und als Mitarbeiter von Paulus in den frühen Gemeinden bekannt war, legt hier klare Rechenschaft ab über seine Ziele und Vorgehensweise bei der Abfassung seines Evangeliums. Er hat ein deutliches historisches Interesse. Es stimmt nicht, was oft gesagt wird, dass die Verfasser der Evangelien am wirklichen, geschichtlichen Jesus uninteressiert gewesen seien. Lukas hat genau recherchiert (im Griechischen steht hier das Wort akribôs, also „akribisch, sorgfältig“), hat die schon vorhandenen Berichte zur Kenntnis genommen und gesichtet und will jetzt „der Reihe nach“, also chronologisch von Jesus berichten. Das alles tut er, damit

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