Faszination Jesus. Roland Werner
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„Er berief eine Gerichtssitzung des Sanhedrin ein, führte den Bruder des Christus genannten Jesus vor, der Jakobus hieß, und einige andere, verklagte sie wegen Gesetzesübertretung und verurteilte sie zur Steinigung.“16 Diese Angabe von Josephus stimmt mit den neutestamentlichen Aussagen überein. Paulus nennt Jakobus den Bruder des Herrn,17 ebenso wird er in den Evangelien erwähnt.18
Josephus nennt also Jakobus und bezeichnet ihn näher als Bruder von Jesus, der Christus genannt wird. Das macht neugierig darauf, ob bei Josephus noch eine weitere Erwähnung dieses Jesus zu finden ist. Und das ist der Fall. Folgendes kann man bei Josephus lesen:
„Zu dieser Zeit lebte Jesus, ein weiser Mensch, wenn man ihn einen Menschen nennen darf. Unerhörte Taten tat er nämlich, ein Lehrer von Menschen, die mit Freude die Wahrheit annehmen, und gewann viele Juden und auch viele Griechen für sich. Er war der Christus. Und als Pilatus nach Hinweisen unserer führenden Männer ihn zum Kreuz verurteilte, gaben diejenigen, die ihn zuerst geliebt hatten, nicht auf. Er erschien ihnen nämlich am dritten Tage wieder lebend, was neben zehntausend anderen wunderbaren Dingen die göttlichen Propheten gesagt hatten. Und noch bis jetzt ist der nach ihm genannte Stamm der Christen nicht verschwunden.“19
Nun ist dies eine äußerst erstaunliche Aussage aus Josephus’ Feder, der kein Christ war. Die Gelehrten haben immer wieder daran gezweifelt, ob dieser Abschnitt wirklich von Josephus stammt, da sie meinten, dass er dies einfach nicht geschrieben haben könne. Jedoch enthalten alle Handschriften von Josephus diesen Abschnitt, sodass es keinen Hinweis auf eine andere Fassung des Textes gibt. Auch schon Eusebius (etwa 260/265–339/340) zitiert diesen Abschnitt in dieser Fassung.20
Es sind verschiedene Erklärungen für diese Aussage im Text von Josephus vorgeschlagen worden. Dass der ganze Abschnitt ein Einschub eines späteren, christlichen Abschreibers ist, ist unwahrscheinlich, denn der Stil verrät die Hand von Josephus. Außerdem hätte ein Christ, wenn er diesen Abschnitt verfasst und bei Josephus eingeschoben hätte, möglicherweise noch deutlichere Aussagen über Jesus gemacht. Deshalb meinten viele Autoren, dass der Text eine erweiterte Version des ursprünglichen sei, und versuchten, den Urtext zu rekonstruieren, indem sie die Aussagen strichen, die ihrer Meinung nachnur ein Christ gesagt haben kann.
Andere Lösungsversuche bestehen darin, dass man einiges einfügt und anderes fortlässt. Wie dem auch sei, fest steht, dass diese Stelle so in allen griechischen Handschriften erscheint.21 Sie ganz aus dem Text herauszustreichen, ist also nicht möglich. Es könnte auch sein, dass Josephus einfach berichtet, was die Christen sagen, dass er also christliche Aussagen kommentarlos zitiert. „Er war der Christus“ und „Er erschien ihnen nämlich am dritten Tage wieder lebend“ hätte er also nur berichtet, ohne es notwendigerweise selbst zu glauben.
Der englische Neutestamentler F. F. Bruce ist der Ansicht, dass der ganze Abschnitt keine reine Einfügung ist und dennoch Josephus ihn nicht exakt in der Form verfasste, wie er uns heute vorliegt. Er folgert: „Wir können jedenfalls sagen, dass Josephus von der Existenz Jesu Zeugnis ablegt, von seiner Verwandtschaft mit Jakobus dem Gerechten, von seinem Ruf als Wundertäter, von seiner Kreuzigung unter Pontius Pilatus als Folge von Anklagen, die durch die jüdischen Führer gegen ihn vorgebracht worden waren. Ferner von seinem Anspruch, der Messias zu sein, und von seiner Wirkung als Ursprung des ‚Stammes der Christen‘“.22
Josephus, der im Jahr 37 n. Chr. in Judäa als Sohn einer vornehmen Priesterfamilie geboren war, kannte sich in den Verhältnissen im Israel seiner Zeit bestens aus. Er wird die christlichen Gemeinden in Jerusalem und ganz Palästina zumindest aus den Berichten vieler Mitbürger gekannt haben. So verwundert es nicht, dass seine Aussagen im Kern mit denen übereinstimmen, die wir im Neuen Testament und in den frühchristlichen Schriften finden.
Rabbinische Texte
Auch die ältere rabbinische Literatur enthält Hinweise auf Jesus. Nach der Zerstörung des Tempels und der Zerschlagung des jüdischen Volkes begann ein mühsamer Prozess des Wiederaufbaus. Vieles ging sicher für immer verloren. Erstaunlich viele Traditionen konnten jedoch bewahrt werden und wurden von den Schulen, besonders in Jamnia im westlichen Palästina, wo ein neuer Sanhedrin23 gebildet wurde, festgehalten. So entstand die Mischna, in der die religiösen Gesetze zusammengefasst und erläutert wurden. Diese wiederum wurde bald in Palästina und Babylon selbst studiert und erläutert. Die so entstandenen Kommentare (Gemara) bilden zusammen mit der Mischna den Talmud. Außerdem gab es noch die sogenannte Tosefta, eine Auslegung der Mischna, die nicht in den Talmud aufgenommen wurde. In der frühen Zeit dieser Kanon-Bildung, die als die tannaitische bekannt ist (Tannaiten heißt Lehrer oder auch Repetitoren), wurden auch Traditionen überliefert, die Jesus erwähnen.
Eine dieser Traditionen lautet:
„Am Vorabend des Pesachfestes henkte man Jesus. Vierzig Tage vorher hatte der Herold ausgerufen: Er wird zur Steinigung hinausgeführt, weil er Zauberei betrieben und Israel verführt oder abtrünnig gemacht hat, wer etwas zu seiner Verteidigung zu sagen hat, komme und bringe es vor. Da aber nichts zu seiner Verteidigung vorgebracht wurde, so henkte man ihn am Vorabend des Pesachfestes.“24
Hier wird in Übereinstimmung mit dem Johannesevangelium berichtet, dass Jesus am Vorabend des Passafestes hingerichtet wurde. Der Hinweis auf die Zauberei, die Jesus nachgesagt wird, ist wie in anderen jüdischen Texten der Versuch, die Wunder, die Jesus tat, zu erklären. Auch in den Evangelien wird von der Behauptung der pharisäischen Gegner Jesu berichtet, er täte seine Wunder und Machttaten durch die Macht des Teufels. Eine andere Tradition, die der zitierten beigefügt wurde, besagt, dass Jesus „dem Königtum nahestand“, was wohl heißen soll, dass er von König David abstammte.25 Auch hier findet sich eine Übereinstimmung mit den Evangelien. Dass ein Herold vierzig Tage vorher zur Verteidigung Jesu aufgerufen habe, ist eine spätere Erfindung und angesichts der Tatsache unmöglich, dass ja die Römer unter Pontius Pilatus Jesus kreuzigten. Offensichtlich sollte diese Angabe nur beweisen, dass die Juden nichts unversucht gelassen hätten, um Jesus zu retten, was aber nicht den historischen Tatsachen entspricht.
Eine weitere Erwähnung Jesu findet sich in manchen rabbinischen Texten, in denen er „Jesus ben Pantera (oder Pandera)“ genannt wird. Dies könnte „Sohn des Panters“ bedeuten, was aber keinen richtigen Sinn ergibt. Wahrscheinlich ist dieser Name eine Verballhornung des griechischen Wortes parthenos „Jungfrau“, sodass eben „Jesus, Sohn der Jungfrau“ gemeint ist.
Aus den übrigen Erwähnungen sei noch eine Tradition wiedergegeben, die aus Palästina kurz nach dem Jahr 70 n. Chr. stammt. Ein gewisser Jaakow kommt, um einen anderen Rabbi, Elieser ben Dama, im Namen von Jesus ben Pandera von einem Schlangenbiss zu heilen. Der Onkel von Elieser, Rabbi Ishmael, verbietet dies, weil es nicht gestattet sei, im Namen Jesu zu heilen. Elieser versucht aber im eigenen Interesse, die Zulässigkeit einer Heilung im Namen Jesu aus dem Gesetz zu beweisen. Während die Diskussion noch andauert, stirbt Elieser, und sein Onkel preist ihn glücklich, da er im Frieden gestorben sei, was besser wäre, als die Wiederherstellung der Gesundheit im Namen Jesu anzunehmen26.
Hier gewinnen wir ein Bild der Auseinandersetzungen innerhalb des Judentums in Palästina im ausgehenden 1. Jahrhundert. Es gab natürlicherweise viele Kontakte zwischen den Juden, die an Jesus als Messias glaubten, und denen, die ihn nicht anerkannten. Offensichtlich hatten manche der Judenchristen Mut genug, ihren kranken Nachbarn und Freunden Gebet um Heilung im Namen Jesu anzubieten. Interessanterweise wird nicht diskutiert, ob solch eine Heilung möglich sei, sondern nur, ob sie vom Gesetz her zulässig ist, da Jesus ja nicht anerkannt war. Jaakow aber handelt genau gemäß dem, was die Jünger Jesu in den Evangelien von Jesus als Auftrag bekommen hatten: „Bringt den Kranken Heilung, … vertreibt die Dämonen!“27
„Sie werden die Hände auf Kranke legen, und die werden dann wieder ganz gesund werden.“28
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