Adressen mit Geschichte. Georg Markus
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Adressen mit Geschichte - Georg Markus страница 9
MANGELHAFTE AUFKLÄRUNG
Helene Thimig
Wien 18., Gymnasiumstraße 47
Die Thimigs waren eine weltoffene Künstlerfamilie, aber die Sexualaufklärung ihrer Tochter – die später selbst eine berühmte Schauspielerin werden sollte – dürfte nicht im Vordergrund der Erziehung gestanden sein. Anders wäre die folgende Episode nicht erklärbar: Helene Thimig, gerade zwanzig Jahre alt und wie ihr berühmter Vater Hugo bereits am Theater tätig, lernte im Jahre 1909 den Schauspieler Paul Kalbeck kennen. Beide waren grenzenlos naiv, ja ahnungslos. Trotzdem drückte er ihr bei der ersten sich bietenden Gelegenheit einen langen, noch dazu ein wenig missglückten Kuss auf den Mund. »Es klingt heute wie blödsinnige Koketterie«, schreibt die Thimig in ihren Memoiren, »aber ich habe damals effektiv gedacht: Vielleicht bekomme ich jetzt ein Kind! Wer das nicht glaubt, dem kann es mein Bruder Hermann bezeugen, denn dem habe ich mich am nächsten Tag anvertraut. Es gelang ihm, mich zu beruhigen, indem er mir sein großes Ehrenwort gab und versicherte, seit Adam und Eva habe noch keine Frau ein Kind von einem abgerutschten Busserl bekommen. Da kehrte mein Lebensmut in mich zurück.«
Der küssende Paul Kalbeck wurde dennoch geheiratet, Helene verließ die große, mit dichtem Efeu bewachsene Backsteinvilla in der Gymnasiumstraße, die ihr Vater im Jahre 1890 (damals noch unter der Adresse Oberdöbling, Feldgasse 1) erworben hatte, und in der sie mit ihren Brüdern Hermann und Hans aufgewachsen war.
Helene Thimigs Ehe hielt freilich nur zwei Jahre. Bis sie Max Reinhardt traf.
DAS SCHEIDUNGSDRAMA
Max Reinhardt
Salzburg, Schloss Leopoldskron
Salzburg, Wien, Berlin, Mailand, Florenz, London, New York – das waren die Theaterstationen, die Max Reinhardt durch seine einzigartigen Inszenierungen verzauberte. Einmal führte der bedeutendste Regisseur seiner Zeit aber auch in Lettland Regie. Was veranlasste Max Reinhardt auf dem Höhepunkt seines Ruhms ausgerechnet in Lettland Die Fledermaus zu inszenieren?
Um es kurz zu machen: Es war die Liebe. Denn nicht nur Helene Thimig war verheiratet, als sie Max Reinhardt traf. Auch er war es. Seine Frau war die Schauspielerin Else Heims, und die dachte nicht daran, einer Scheidung zuzustimmen. Sie wollte immer nur eines: Frau Reinhardt sein – und bleiben.
Ein Scheidungskampf von selten da gewesener Härte zieht sich mehr als zwei Jahrzehnte lang hin. Max Reinhardt scheut weder Kosten noch Mühen, seine Ehe für null und nichtig erklären zu lassen. Aber Else Heims lässt nicht mit sich reden. Scharen von Anwälten studieren internationale Scheidungsgesetze, um Schlupflöcher zu finden. Reinhardts in Deutschland eingebrachte Klage wird von den Advokaten seiner Frau verschleppt, seine Versuche vor Prager Richtern scheitern.
Deshalb geht er 1931 nach Lettland, denn dort gibt es liberalere Gesetze. Aber man muss dort mehrere Monate gemeldet sein, um die Scheidung einreichen zu können. Natürlich will Max Reinhardt in der lettischen Hauptstadt nicht untätig herumsitzen, und davon profitiert die Nationaloper von Riga, für die er in dieser Zeit Die Fledermaus inszeniert.
Der Aufwand scheint sich zu lohnen, denn die Ehe wird 1932 nach lettischem Recht aufgehoben. Und doch ist die Scheidung damit noch nicht vollzogen, denn sie gilt nur in Lettland. Würde Reinhardt Helene Thimig in Wien oder Berlin heiraten, müsste er wegen Bigamie vor Gericht.
Bis 1935 verweigert Else Heims die Scheidung, dann gelingt es ihrem Sohn Gottfried zwischen Vater und Mutter zu vermitteln. Reinhardt geht auf alle Forderungen ein und verpflichtet sich zu hohen Zahlungen an seine Frau.
Die Ehe wird rechtsgültig geschieden, Helene Thimig und Max Reinhardt können heiraten. Nach über zwanzigjährigem Kampf.
Mittlerweile ist Reinhardts Berliner Theaterimperium »arisiert« worden, nur das Wiener Theater in der Josefstadt, die Salzburger Festspiele und Leopoldskron sind noch in seiner Hand. Reinhardt hatte das Rokokoschloss nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie erworben und – wie manche meinen – die Salzburger Festspiele gegründet, um die Sommermonate auf seinem prunkvollen Anwesen verbringen zu können. Der von Erzbischof Leopold Firmian im 18. Jahrhundert erbaute spätere Alterssitz des bayerischen Königs Ludwig I. wurde von Reinhardt aufwändig revitalisiert und – wie alles in seinem Leben – »inszeniert«. Die Stuckaturen der Decken blickten jetzt wieder auf kostbar möblierte Räume, auf den Saal, die Bibliothek, das venezianische Zimmer. Der noch aus Bischof Firmians Zeiten stammende Sakristeischrank, die barocken Kachelöfen, der Park mit seinen Sandsteinfiguren, der Tiergarten, die Glashäuser, der Herkulesteich – alles war mit neuem Leben erfüllt und diente als Wohnort, aber auch als Schauplatz für spektakuläre Theateraufführungen, Konzerte, Premierenfeiern.
Zeit und Muße für all die Pracht fand Reinhardt wenig, da er ständig beschäftigt war. »Ein Morgenspaziergang durch den Park, zu den Tieren, bis zur barocken Nepomukstatue am äußersten Ende des Besitzes, war die einzige Erholung, die sich Reinhardt während der Festspiele gönnte«, erinnerte sich seine engste Mitarbeiterin Gusti Adler. »Aber nur selten vermochte er mit Helene Thimig diese kurze Stunde ungestört zu genießen: Ferngespräche, Telegramme, dringende Anfragen zwangen ihn allzu oft, halb laufend zum Schloss zurückzukehren. Doch der Garten klang nach, das Haus klang nach.«
Als Reinhardt nach dem »Anschluss« in Amerika hörte, dass ihm nun auch Leopoldskron, in das er so viel Geld und Liebe investiert hatte, geraubt worden war, kommentierte er dies mit den Worten: »Ich habe es gehabt!«
DIE MOSER-VILLA
Hans Moser
Wien 13., Auhofstraße 76
Viele Jahre hat Hans Moser in feuchten Kellern, Kabinetten und Bassenawohnungen gelebt, ehe er es sich 1931 leisten konnte, ein eigenes Haus zu kaufen. Er war 51 Jahre alt, als er die Villa in der noblen Auhofstraße/Ecke Hügelgasse bezog. Dem Kaufvertrag ist zu entnehmen, dass der Volksschauspieler für das aus der Gründerzeit stammende Haus an die bisherigen Eigentümerinnen Ottilie Brunner und Dr. Hedwig Wahle 100 000 Schilling* bezahlte.
Hans Moser, der Ende der zwanziger Jahre durch seine Tonfilme zum ersten Mal wirklich gut verdient hatte, zog nun mit seiner Frau Blanca und der 18-jährigen Tochter Grete in die feudale Villa in Hietzing ein. Doch er konnte den Luxus nicht genießen. Geprägt durch seine ärmliche Kindheit und die vielen Jahre als Provinz- und Schmierendarsteller, der oft für ein Abendessen und die Übernachtung in einem schmutzigen Wirtshaus aufgetreten war, litt er auch jetzt, als wohlhabender und allseits geachteter Schauspieler, unter Existenzängsten. So bewohnte er den »Herrschaftstrakt« seiner mit Antiquitäten und Marmorbad eingerichteten Villa nur im Sommer, während er in den Wintermonaten in der winzigen Hausmeisterwohnung im Parterre lebte, um Heizkosten zu sparen.
Nach Mosers Tod im Jahre 1964 stand das Haus lange leer, weil die Rechtslage zwischen Witwe und Tochter nicht geklärt werden konnte. Erst 1985 wurde das 2500 Quadratmeter große Anwesen vom Obersten Gerichtshof der »Hans-und-Blanca-Moser-Stiftung zur Unterstützung alter und kranker Menschen« zugesprochen. Vier Jahre später kaufte es der Chemiker Walter Otto um 18 Millionen Schilling und investierte weitere 25 Millionen, um darin das Restaurant Villa Moser zu eröffnen.