Schuld ist nur das Publikum. Georg Markus
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Es bereitete ihm sichtliches Vergnügen, in den vielen Gesprächen, die wir miteinander führten, einmal noch sein langes, reiches Leben Revue passieren zu lassen. Seine Töchter Christl und Monica sagten mir nach seinem Tod, das Erinnern und der anschließende Erfolg des Buches, das wir Ich hab’ für euch gespielt nannten, hätten ihm ein Jahr voller Freude geschenkt.
Nach Erscheinen des Buches gingen wir daran, die Memoiren an den Stätten seiner Karriere für ZDF und ORF zu verfilmen, drehten in Berlin, Wien, in Reichenberg und Prag. Beim Abendessen im Prager Restaurant »Opera Grill« hatten wir nach Drehschluß ein berührendes Erlebnis. Wie so oft, wenn der große Mann mit dem schlohweißen Haar ein Lokal betrat, applaudierten die Gäste spontan. Der Pianist unterbrach seine Musik, spielte eine andere Melodie, und Hörbiger rannen plötzlich Tränen über beide Wangen. Als das Lied verklungen war, stand er auf und umarmte den Klavierspieler. Was war geschehen? Der Musiker Arnos Vrana hat jenes tschechische Volkslied »Pisnička Česka« intoniert, das 1940 Anlaß für Hörbigers Verhaftung durch die Gestapo gewesen war, nachdem es die Nazis verboten hatten. Und jetzt, vierzig Jahre später, spielte derselbe Pianist, als er Hörbiger erkannte, dieses Lied noch einmal. Und beide lagen einander weinend in den Armen.
Paul Hörbiger stand bis zuletzt auf der Bühne des Wiener Burgtheaters. Er starb am 5. März 1981 im Lainzer Krankenhaus in Wien. Wo ich ihn wenige Tage vor seinem Tod zum letzten Mal besuchte. Fast siebenundachtzig Jahre alt und gezeichnet von der Schwäche seines Herzens, war er auch im Angesicht des Todes der alte geblieben, hatte seinen Humor nicht verloren. Als ich ihm am Krankenbett erzählte, daß dem beliebten Schauspieler Alfred Böhm – seinem Nachbarn in dem kleinen niederösterreichischen Ort Wieselburg – als nächstem die Goldene Kamera überreicht würde, sagte Paul, dem sie vier Jahre zuvor verliehen worden war: »Jetzt ist Wieselburg die Stadt mit den meisten Goldenen Kameras pro Kopf der Bevölkerung.«
Mit den Worten »Ihr werdet’s net so lang um mich weinen, wie ihr über mich g’lacht habt’s« ließ Paul Hörbiger seine Memoiren ausklingen. Wenn wir heute einen seiner Filme sehen, sind wir glücklich, über ihn lachen zu können. Und traurig, daß es ihn nicht mehr gibt.
»Was ich bin, verdanke ich der Paula«
Eine Begegnung mit Attila Hörbiger. Und ein Nachruf.
Wenige Stunden bevor sein Bruder Paul im März 1981 verstorben war, besuchte er diesen im Lainzer Krankenhaus. Seit einem Dreivierteljahrhundert hatten die beiden nur deutsch miteinander gesprochen, doch angesichts des nahen Todes unterhielten sie sich in der Sprache ihrer Kindheit, auf ungarisch.
Sechs Jahre später ist auch Attila Hörbiger tot, der jüngere Bruder, das Oberhaupt der legendären Schauspielerdynastie. Er verstarb am 27. April 1987, wenige Tage nach seinem einundneunzigsten Geburtstag, in seinem Wiener Haus an den Folgen eines Schlaganfalls.
Gewiß, diese Stadt ist reich an großen Schauspielern, nach wie vor. Doch war er der letzte vielleicht, dessen Auftreten uns verzaubern konnte, dessen Bühnenpersönlichkeit genügte, die Zuschauer einen kalten Schauer spüren zu lassen, bevor er noch ein Wort gesagt hatte. Der letzte, den man in einem Atemzug nennen konnte mit Werner Krauß, Raoul Aslan, Albin Skoda, Ewald Balser.
Etwas mehr als ein Jahr vor seinem Tod hatte ich – aus Anlaß seines neunzigsten Geburtstags – das Glück, Attila Hörbiger noch einmal persönlich zu treffen. Das heißt, eigentlich sollte ich ihn gar nicht treffen. Paula Wessely wollte ihren Mann schonen.
Sozusagen als Kompromiß bot sie mir damals, im April 1986, an, mit mir »über ihn« zu sprechen. Ich bin also hingegangen, in die Grinzinger Himmelstraße, habe mit ihr zwei, drei Stunden »über ihn« geplaudert, dann habe ich Papier und Bleistift eingesteckt, um mich mit einem artigen Handkuß zu verabschieden. Fast schon an der Tür angelangt, fragte sie mich: »Wollen Sie ihm vielleicht doch noch ›Guten Tag‹ sagen? Er würde sich sicher freuen.«
Und wie ich wollte. Schließlich war er der Jubilar.
Im Nebenzimmer kam mir Attila Hörbiger, neunzig, auf einen Stock gestützt, entgegen. Und doch: die Haltung kerzengerade, wie wir ihn noch knapp zwei Jahre davor auf der Bühne des Burgtheaters erlebt hatten. Ein wenig schlanker vielleicht, das Gesicht noch kantiger, aber mit dem klaren Blick scheinbar ewiger Jugend gesegnet.
Auch wenn er nicht mehr Theater spielte, vor mir stand unzweifelhaft eine der größten Schauspielerpersönlichkeiten deutscher Sprache. Und aus dem »Guten Tag«-Sagen wurde ein langes Gespräch.
»Was ich bin und was ich habe«, begann er, »verdanke ich der Paula Wessely . . .«
» . . . aber geh, Vater«, unterbrach sie ihn, »du kannst doch nicht sagen ›der Paula Wessely‹. Jetzt, wo wir schon fünfzig Jahre verheiratet sind. Sag Paula, das genügt.«
»Ich mein’s aber so. Nicht meiner Ehefrau allein verdanke ich’s, sondern der großen Schauspielerin Paula Wessely.« Das gefiel ihr noch weniger. »Eine Übertreibung«, warf sie ein. »Was ich für ihn getan habe, war, etwas Ordnung in sein Leben zu bringen. Er hätte es sich vielleicht ein bißl zu leicht gemacht.«
Die kleine Szene, die mir da geboten wurde, war ein Ereignis. Wer erlebt schon eine Privatvorstellung in der Besetzung? Und es berührte menschlich, wie diese beiden Giganten das Verdienst dem jeweils anderen zukommen lassen wollten.
Dabei hatten sie vielleicht beide recht. Ja, sie war schon »die Wessely«, als sie im November 1935 heirateten, denn mit dem Willi-Forst-Film Maskerade, der im Jahr zuvor herausgekommen war, hatte sie ihren ersten Welterfolg bereits hinter sich. Aber auch er war auf dem besten Weg der eigenständigen Karriere. Max Reinhardt hatte ihn im Sommer vor der Hochzeit als Jedermann nach Salzburg geholt.
Attila Hörbiger erzählte gerne von seinen persönlichen Kontakten zu solchen Größen. »Max Reinhardt war die beglückendste Begegnung für uns beide«, sagte er, »aber da waren ja noch so viele andere.« Und er nannte die Dichter Werfel, Zuckmayer, Friedell und Polgar. Die Regisseure Heinz Hilpert, Berthold Viertel, Ernst Lothar und Leopold Lindtberg. »Heute kann ich es genießen, diesen Menschen begegnet zu sein, mit ihnen gearbeitet zu haben, jetzt erst finde ich die Zeit dazu.«
Während er sprach, zeigten mir seine Augen, daß es gerade diese Erinnerungen waren, die ihn jung hielten. Physisch war er damals nicht mehr in der Lage, Theater zu spielen, aber der Geist, die Sprache, die Mimik, die waren noch da. Einmalig, unverwechselbar. Er tröstete sich selbst: »Ich war ja ohnehin sehr lang am Burgtheater.«
Dabei war dieser Weg alles andere als vorgezeichnet, »denn bis zum heutigen Tag habe ich keine einzige Schauspielschule besucht«, gestand er damals, mit neunzig, und er schmunzelte dabei. Das Schicksal hatte ihn zwar mit jeder Menge Talent versorgt, ihm aber auch genügend Hindernisse in den Weg gelegt.
Vorerst war er der Sohn eines berühmten Vaters: Hanns Hörbiger ist der Entdecker der Welteislehre. Dann war er der Bruder eines berühmten Schauspielers – Paul, um zwei Jahre älter, war naturgemäß immer »etwas früher dran«. Ja, und dann war er eben der Mann der Wessely.
Erst nach dem Jedermann war er »kein Sohn und kein Bruder mehr«, formulierte es Hans Weigel einmal, »sondern: der Hörbiger«.
Am 21. April 1896 als jüngster von vier Söhnen geboren, ungarisch sprechend aufgewachsen, inskribierte er nach Matura und Militärdienst