Schuld ist nur das Publikum. Georg Markus
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Noch einmal auf ihre Audienz bei Kaiser Franz Joseph zurückkommend, sagte Rosa Albach-Retty: »Man vergißt so eine Begegnung nie mehr, man trägt diesen Eindruck ein Leben lang in sich.«
Ich verabschiedete mich von der Hofschauspielerin und unternahm, tief bewegt von dem soeben geführten Gespräch, mit Tante Hilda einen kleinen Spaziergang durch den Kurpark. Plötzlich, nach ein paar Minuten, stand uns Rosa Albach-Retty noch einmal gegenüber. Sie setzte sich auf eine Bank und lud uns ein, ihr Gesellschaft zu leisten. »Hier, auf dieser Bank«, sagte sie lachend, »habe ich meinen letzten Heiratsantrag bekommen. Das ist schon lange her, ich war damals neunzig.«
Ich wunderte mich, daß es der bislang letzte war und hörte fasziniert zu, wie sie jetzt, fast übermütig, weitererzählte, von Kainz, »der sehr intelligent und seiner Zeit um Dezennien voraus war«, und von einer besonders bösartigen Zeitungskritik, die irgendwann zur Jahrhundertwende über eine damals schon etwas ältliche Kollegin erschienen war. Die Überschrift hatte gelautet: »Die Burgruine – in der Titelrolle: Stella Hohenfels.«
Ich fuhr zurück nach Wien. Als im darauffolgenden Jahr die Autobiografie Rosa Albach-Rettys erschien, ersuchte der Verlag den Fotografen, der mich nach Goisern begleitet hatte, um ein Foto, das in dem Buch auch tatsächlich abgedruckt wurde. Die Frau Hofschauspielerin, so erzählte man mir später, schlug ihre Memoiren auf, sah das Bild und rief entsetzt aus: »Um Himmels willen, auf dem Foto schau’ ich ja nicht wie eine Hundertjährige aus, sondern wie eine Zweihundertjährige!« Es mußte auf ihren Wunsch in der zweiten Auflage ausgetauscht werden.
Rosa Albach-Retty starb am 26. August 1980, drei Jahre nach unserem Interviewtermin, in Baden bei Wien. Sie stand im einhundertundsechsten Lebensjahr.
Und mir bleibt die wunderbare Erinnerung an ein Gespräch, ähnlich wie es ihr wohl nach der Audienz beim Kaiser ergangen war: Man vergißt so eine Begegnung nie mehr, man trägt diesen Eindruck ein Leben lang in sich.
* Sarah Biasini, geb. am 21. Juli 1977
* Zwei weitere Familienkatastrophen sollte sie nicht mehr erleben: Urenkel David starb am 5. Juli 1981 bei einem Unfall, Enkelin Romy am 29. Mai 1982.
Er hat für uns gespielt
Wie ich Paul Hörbigers Memoiren-Schreiber wurde
Es muß in den frühen Sommertagen des Jahres 1978 gewesen sein, da läutete bei mir zu Hause das Telefon. Ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu können, als sich eine markante Stimme mit den Worten »Hier spricht Paul Hörbiger« meldete. Wäre der Anruf des Filmstars bei einem damals noch jungen und unbekannten Reporter nicht schon außergewöhnlich genug gewesen, so folgte die eigentliche Überraschung erst danach. Als er mich nämlich fragte, ob ich nicht mit ihm gemeinsam seine Memoiren schreiben wollte.
Paul Hörbiger. Vierundachtzig war er damals und selbstverständlich längst eine Legende. Seit vielen Jahren hatten sich prominente Autoren und große Verlage um die Veröffentlichung der Lebenserinnerungen eines der letzten lebenden Filmstars im deutschen Sprachraum bemüht. Und dieser große alte Mann rief jetzt ausgerechnet bei mir zu Hause an.
Natürlich gab es eine Vorgeschichte. Ein bekannter Verlag hatte einen noch bekannteren deutschen Schriftsteller als »Ghostwriter« für Paul Hörbigers Memoiren engagiert. Nach Jahrzehnten beharrlichen Schweigens war der Liebling mehrerer Generationen endlich bereit gewesen, aus seinem bewegten Leben zu erzählen. Doch die Sache ging nicht gut aus. Dem bekannten Schriftsteller kann man vielleicht gar keinen Vorwurf machen: Paul Hörbiger war – wie ich bald erfahren sollte – sicher kein einfacher Partner für ein so schwieriges Projekt. Es gab immer wieder Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden, zum Bruch kam es aber erst, als der Autor dem Schauspieler die ersten Manuskriptseiten für das geplante Buch vorlegte.
Das Urbild des Wiener Charmeurs, die Inkarnation der vom Heurigen genial inspirierten Kaiser-Franz-Joseph-Girardi-Strauß-Schrammel-Walzerseligkeit, blätterte also in den ersten Seiten seiner eigenen Erinnerungen und mußte da im Originalton – Zitat Paul Hörbiger – den nicht gerade wienerischen Satz lesen: »Das kommt nicht in die Tüte!«
»Des gibt’s net«, »Aber net mit mir«, »Das könnt’s doch mit mir net machen« – das wären wohl seine Worte gewesen. Denn mit einer Tüte hatte ein Paul Hörbiger nichts, aber auch schon gar nichts, im Sinn.
Das Manuskriptfragment beiseite gelegt und den bekannten deutschen Schriftsteller um Verständnis gebeten, daß er unter diesen Umständen lieber gar keine Memoiren veröffentlichen würde, war eins.
Paul Hörbiger wollte durchaus sein Leben erzählen. Aber wem? Ein Wiener, das wußte er jetzt, sollte es sein, ein Deutscher kam sozusagen nicht mehr »in die Tüte«.
Ich hatte das eine oder andere Interview mit ihm geführt und mir dabei offensichtlich sein Vertrauen erworben. Und so kam es dann eines Tages zu dem eingangs erwähnten Anruf.
Das Jahr, in dem wir dann intensiv an dem Buch arbeiteten, wird für mich eines der größten Abenteuer meines Lebens bleiben. Unvergeßlich, wie der Mann, der fast siebzig Jahre Theater- und Filmgeschichte geschrieben hatte, erzählen konnte.
Nein, nein, erzählen ist der falsche Ausdruck. Er erzählte nicht, er spielte. Er war ein solcher Vollblutkomödiant, daß er mir jede Szene seines Lebens vorspielte, vorspielen mußte. Ging es beispielsweise um den Mordanschlag, der auf ihn verübt wurde, dann hat er nicht einfach davon erzählt, wie jeder andere das tun würde, sondern er spielte mir das Attentat vor: Den Täter, der zweimal auf ihn schoß, ebenso wie die geschockte Kronzeugin und sich selbst, das schwerverletzte Opfer. Und er war dabei nie ein Herr in den Achtzigern, sondern immer so jung wie damals, als es passierte.
Tatsächlich: auf den jungen, noch völlig unbekannten Paul Hörbiger war ein Eifersuchtsattentat verübt worden. Das Kapitel »Mordanschlag auf Paul Hörbiger« schien mir freilich ein wenig zu plakativ, man kennt ja derartige »Erinnerungen« aus diversen Biografien. »Ohne Beweis wird uns das kein Mensch glauben«, erkannte auch er und sagte: »Wir müssen in die Nationalbibliothek gehen. Ich erinnere mich, daß es damals in irgendeiner Zeitung eine winzige Erwähnung des Attentats gegeben hat.«
Das war der Augenblick, da ich zum erstenmal das Handtuch werfen wollte. »In den zwanziger Jahren gab es in Österreich zahllose Zeitungen«, entgegnete ich, »wir wissen weder das Jahr noch den Titel des Blattes und sollen eine winzige Erwähnung finden?«
»Wir müssen sie finden«, sagte er in seiner bestimmenden Art.
Tagelang durchwühlten wir Berge alter Zeitungen. Und fanden im »Neuen Wiener Journal« vom 10. August 1921 den Artikel »Die treulose Naive – Liebesdrama zwischen Schauspielern.« Wenn Paul Hörbiger sich etwas vorgenommen hatte, dann wurde es durchgeführt. Präzise und kompromißlos.
Ähnlich aufregend ging’s dann weiter in seinem Leben – und auch in unserer Zusammenarbeit.
Sein Leben ist ein Spiegel der Zeit- und Kulturgeschichte unseres Jahrhunderts, von der Monarchie über die Nazidiktatur bis zur Ära Kreisky. Vom Stummfilm- ins Fernsehzeitalter. Max Reinhardt holte ihn nach Berlin, unter Fritz Lang drehte er einen seiner ersten Filme, natürlich noch ohne Ton. Marlene Dietrich, Leo Slezak, Karl Valentin, Hans Albers, Heinz Rühmann, Theo Lingen, Zarah Leander, Romy Schneider zählten zu seinen Theater- und Filmpartnern. Und natürlich immer wieder Hans Moser, der für Hörbiger, wie er sagte, »ein einmaliger Glücksfall« war.