Schuld ist nur das Publikum. Georg Markus

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Schuld ist nur das Publikum - Georg Markus

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verpönt, »für den Kintopp« zu arbeiten. Werner Krauß genierte sich für seinen ersten Film dermaßen, daß er sich einen Bart anklebte, »damit mich der Reinhardt nicht erkennt, wenn er ins Kino geht«. Der war damals auf den Film auch wirklich schlecht zu sprechen. Als Anfang der zwanziger Jahre etliche Theater zusperren mußten, machte Reinhardt – neben Krieg und Wirtschaftskrise – auch das Kino und die »untreuen« Schauspieler dafür verantwortlich: »Durch alle Risse des schwankenden Gebäudes dringt der Film mit seinen materiellen Lockungen und verführt selbst die besten Elemente. Sie verkaufen ihre Seele um viel schmutziges Papier und haben nicht einmal Zeit, den Besitz zu genießen. Sie weisen die größten Rollen zurück, sie verlassen die Proben und kommen abends vollkommen erschöpft und übermüdet zu den Vorstellungen, wenn sie überhaupt kommen.«

      Inzwischen haben Film und Theater zwei Kategorien geschaffen, nur in seltenen Fällen agieren Schauspieler da wie dort.

      Viele Namen, für alle Zeiten mit der Geschichte des Theaters und des Schauspielerberufs verbunden, wären noch zu nennen. Lessing, Ibsen, Gerhart Hauptmann, Strindberg, Wedekind und Bert Brecht; die Duse, Gustaf Gründgens und Therese Giehse; Piscator und Leopold Lindtberg; Thomas Bernhard, Wolfgang Bauer, Peter Handke . . . – Dichter, Regisseure, Schauspieler, Kostüm- und Bühnenbildner, Dramaturgen, Kritiker – sie alle machen das Theater aus. Nur sie?

      Ach ja, richtig, das Publikum ist auch noch da. Ohne Publikum geht’s am Theater nicht.

      Oder doch?

      Bayerns Ludwig II. ließ für sich Separatvorstellungen ansetzen. Das Haus war leer, der König saß allein in seiner Loge. Die Schauspieler agierten nur für ihn. Sie sprachen ihren Text, wie an den anderen Abenden auch. Dieselben Akteure, dieselben Worte, dieselben Kostüme und Kulissen, alles war wie immer. Und doch: die Mitwirkenden hinterließen uns, daß ihre Stimmen kläglich dahinschmolzen, daß ihre Bewegungen abbrachen, die Gebärden ausdruckslos im Nichts zerflatterten. Ihren Aktionen fehlte Leben. Die dunkle, menschenleere Höhle, in deren Abgrund sie blickten, verbreitete Kälte, ließ sie erschauern. Sie sprachen ihren Text, aber sie fühlten ihn nicht. Ohne Publikum geht’s nicht, ohne Publikum kann man nicht spielen.

      Schuld ist nur das Publikum.

      DYNASTIEN

      Hörbiger/Wessely/Thimig/Degischer/ Reinhardt/Albach-Retty/Romy Schneider. . .

      Wer mit wem?

       Wiens Schauspieler sind (fast) alle miteinander verwandt

      Wien ist keine Theaterstadt, Wien ist eine Schauspielerstadt. Geht man in Berlin ins Deutsche Theater, in Hamburg ins Thalia Theater, in München ins Residenztheater, so schaut man sich in Wien den Lohner, den Voss, die Dene, den Schenk an. Egal, ob die gerade an der »Burg«, in der »Josefstadt« oder sonstwo spielen. Ja sicher, Stück, Regisseur und Bühnenbild sind auch interessant. Aber wirklich wichtig ist der Star.

      Kein Wunder, ist diese Stadt doch viele Generationen lang reicher an Stars gewesen als irgendeine andere. Für Nachwuchs sorgte man in den eigenen Reihen. Denn ein Großteil der Publikumslieblinge ist irgendwie miteinander verwandt-verschwägert-verheiratet (oder voneinander geschieden).

      Spricht man von einer Schauspielerdynastie, meint man in erster Linie die Hörbigers. Eine wahrhaft legendäre Dynastie. Bestehend aus Paul (1894 bis 1981), seinem Bruder Attila (1896 bis 1987), dessen Frau Paula Wessely (*1907). Und deren Töchter Elisabeth Orth, Christiane und Maresa Hörbiger stehen heute ebenso in der ersten Reihe des deutschsprachigen Theaters wie einst ihre Eltern.

      In Paula Wesselys Burgtheatergarderobe hing einst das Bildnis einer schönen jungen Frau, der »Tant’ Josefin«. Auch Josefine Wessely (1860 bis 1887) – die Schwester ihres Vaters – zählte zu jenen Künstlern, die dem alten Burgtheater zu Weltruhm verhalfen.

      Die Hörbiger-Theaterfamilie ist noch größer. Angeheiratete Mitglieder waren der verstorbene Burgschauspieler Hanns Obonya – Elisabeth Orths Ehemann. Der Regisseur Wolfgang Glück – der erste Mann von Christiane Hörbiger. Und der Burgschauspieler Dieter Witting – in erster Ehe verheiratet mit Maresa Hörbiger. Auch der Nachwuchs strebt zur Bühne: Pauls Enkelsohn Christian Tramitz ist Schauspieler in Deutschland, Christiane Hörbigers Sohn Sascha Bigler ist Regisseur, Elisabeth Orths Sohn Cornelius Obonya ist als Schauspieler in Deutschland und Österreich bereits etabliert. Und Maresa Hörbigers Sohn Manuel Witting will ebenfalls zur Bühne.

      Es geht noch weiter: Durch Heirat/Scheidung sind die Hörbigers auch mit anderen Wiener Bühnendynastien »verbandelt«: Paul Hörbigers Ehefrau Pippa war selbst Schauspielerin und ist die Tochter des Raimundtheater-Direktors Ernst Gettke. Pauls Tochter Christl – auch sie spielte einst am Burgtheater – ist mit dem Antiquitätenhändler Bibi Ptack verheiratet. Dessen erste Frau wiederum war Susi Nicoletti. Womit wir bei einem weiteren Clan angelangt wären.

      In zweiter Ehe war die Nicoletti, eine andere Große des Burgtheaters, mit Ernst Haeusserman (1916 bis 1984) verheiratet. Dieser wiederum zählte als Sohn des Burgschauspielers Reinhold Häussermann (1884 bis 1947) und als Direktor sowohl der Burg als auch der Josefstadt viele Jahre zu den Drahtziehern des Wiener Theaterlebens. Vor seiner Ehe mit Susi Nicoletti war Ernst Haeusserman mit Hansi Lothar, der Tochter des ehemaligen Josefstadt-Direktors Ernst Lothar (1890 bis 1974), verheiratet, der später wiederum Ehemann der Schauspielerin Adrienne Gessner (1896 bis 1987) wurde. Zusammengefaßt gehörten Hörbiger/Wessely/Nicoletti/Haeusserman/Gessner, wenn auch zum Teil auf sehr verschlungenen Wegen, demselben Clan an. Der freilich teilweise untereinander dermaßen zerstritten war, daß man nur auf der Bühne miteinander verkehrte.

      Ernst Haeusserman begann seine Karriere als Sekretär Max Reinhardts. Doch der gehört schon wieder zur nächsten Dynastie: Die Bedeutung der Familie Thimig ist für Wiens Bühnenleben ähnlich groß wie die der Hörbigers. Hugo Thimig (1854 bis 1944), der Gründer des Theaterclans, war fünf Jahre Direktor des Burgtheaters. Wie er haben auch seine Kinder Helene (1889 bis 1974), Hermann (1890 bis 1982) und Hans (1900 bis 1991) Theatergeschichte gemacht.

      Hermann Thimigs Frau war Vilma Degischer (1911 bis 1992), die jahrzehntelang die Grande Dame des Theaters in der Josefstadt war. Auch deren Tochter Johanna ist Schauspielerin.

      Helene Thimig war mit Max Reinhardt, dem wohl bedeutendsten Theatermann des Jahrhunderts, verheiratet. Er war von 1924 bis 1935 Direktor des Theaters in der Josefstadt.

      Apropos Josefstadt: Zum Ensemble dieses Theaters gehörte eine Zeitlang Wolf Albach-Retty (1906 bis 1967), der vor allem an der Burg und im Film Karriere machte. Der Sohn der legendären Hofschauspielerin Rosa Albach-Retty (1874 bis 1980) war in erster Ehe mit Magda Schneider (*1909) und in zweiter mit der Schauspielerin Trude Marlen verheiratet. Ehefrau Nummer eins schenkte ihm Tochter Romy Schneider (1938 bis 1982), Österreichs berühmteste Filmschauspielerin.

      »Verbandelt« war man in Theaterkreisen immer schon. Von dem berühmten Burgschauspieler Carl La Roche (1794 bis 1884) hieß es, er wäre ein natürlicher Sohn Goethes. Ferdinand Raimund (1790 bis 1836) war mit der Schauspielerin Luise Gleich verheiratet. Und Johann Nestroy (1801 bis 1862) schloß Bühnenverträge nur unter der Bedingung ab, daß auch seine langjährige Lebensgefährtin, die Schauspielerin Marie Weiler, engagiert würde.

      Wie auch immer, Wiens Theater waren ohne ihre Schauspielerfamilien zu keiner Zeit denkbar. Mit Protektion und Freunderlwirtschaft – jetzt einmal ausgenommen der »Fall Nestroy« – hat das alles recht wenig zu tun. Paula Wessely wäre nicht »die Wessely« geworden, nur weil sie eine berühmte Tante hatte oder der Familie Hörbiger angehörte. Ebenso wie Attila Hörbiger nicht Max Reinhardts liebster Jedermann hätte werden können,

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