Fronten. Leonhard F. Seidl

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Fronten - Leonhard F. Seidl

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Ihre Ausweise bräuchte ich bitte.«

      Großmutter nickt. Sucht in ihrer Handtaschen. Zieht die Ausweise raus. Gibt sie Großvater. Der hält sie der Frau hin. »Bittschön.«

      »Reichsausweis Markus Keilhofer«, liest die Frau. Markus zuckt zusammen. Die Frau legt die Ausweise auf den Tisch. Langt nach einem Blattl. Und malt mit dem Kugelschreiber drauf. »Also. Da sind die Zeltplätze. Und da die Stellplätze mit Strom und Wasser.«

      »Zeltplatz«, sagt Großvater.

      »Haben Sie eigentlich eine Kegelbahn?«, fragt Großmutter.

      In der Dusche:

      Der nackerte Markus. Die angezogene Großmutter. Mit der Bürsten und dem Mohnblütenolivenöl. Das Wasser zu kalt. Das Wasser zu heiß. Der große Mund. »Das Glied muss gwaschen werdn.« Die großen Augen. Die raue Bürsten. Auf seinem Gesicht. Seinem Hals. Seinen Schultern. Seiner Brust. Seinem Glied. Das raue Handtuch. Das müffelnde Öl in ihrer Hand. Ihre Händ auf seinem Gesicht. Seinem Hals. Seinen Schultern. Seiner Brust. Seinem Glied. Er macht die Augen zu.

      Ich wünscht mir, du wärst da, Mutter.

      Der Bademantel. Ausschnaufen.

      Auf der Wiese:

      Kinder um einen blonden Bub im roten T-Shirt. In der Hand eine Flaschn und eine Pistoln. Peng! Peng! Aus seinem Mund: »Joo, wooo.« Zermanscht vom Schreien von den anderen Kindern. Erste Regentropfen auf hängende weiß-rosa Blüten. Süßer Geruch.

      »Indisches Springkraut«, flüstert Großvater.

      Großmutter nickt: »Unkraut, verdrängt einheimische Pflanzen.«

      »Schwarze Tollkirschen«, flüstert Großvater.

      Großmutter nickt: »Die gute alte Zauberpflanzen, die war schon immer da.«

      Ein Stecken unter der Birken. Zwischen Nacktschnecken und Blättern. Das Holz feucht. Ausholen. Zielen. Der Stecken saust durch die Luft: Treffer. Die Nacktschnecken biegt sich im Gras. Ausholen. Zielen. Stecken saust durch die Luft: Treffer! Die Nacktschnecken schebberts in die verregnete Dämmerung. Der Bub im roten T-Shirt auf einmal neben ihm. »Joo, wooo.« Deutet auf den Stecken. Packt ihn. Markus hält den Stecken fest. Rocky, gib alles. Der Bub zieht daran. »Essen!«, schreit Großmutter. Der Bub verschwindet in der verregneten Dämmerung.

      Im Vorzelt:

      »Ich hab scho wieder Verstopfung«, sagt Großvater.

      Großmutter nickt. »Das kommt von den Chemtrails.«

      »Lass uns beten«, sagt Großvater.

      Großmutter nickt: »Ein Psalm Davids, zum Gedächtnis.«

      »Herr, strafe mich nicht in Deinem Zorn und züchtige mich nicht in Deinem Grimm. Denn Deine Pfeile stecken in mir, und Deine Hand drückt mich. Und die mir nach dem Leben trachten, stellen mir nach; und die mir übelwollen, reden, wie sie Schaden tun wollen, und gehen mit eitel Listen um. Denn ich zeige meine Missetat an und sorge wegen meiner Sünde. Aber meine Feinde leben und sind mächtig; die mich unbillig hassen, derer ist viel.«

      Im Zelt:

      Der schnarchende Großvater. Die ranzig riechende Großmutter. Der warme Schlafsack. Die volle Blase. Durchhalten. Einschlafen, einschlafen, einschlafen.

      Schleimige Nacktschnecken. Im Ohr. In der Nasen. Auf dem Gesicht.

      Regentropfen schlagen aufs Zeltdach. Spülen die Schnecken weg. Die drückende Blase. Der plätschernde Bach. Markus zippt den Reißverschluss auf. Schält sich aus dem Schlafsack. Zieht das Moskitonetz auf. Zieht es zu. Kalte, feuchte Schuh. Müdes Laternenlicht. Nacktschnecken. Überall. Unsichtbar. Unter der Sohle: zerplatzt. Hosen runter. Der dampfende Strahl. Der plätschernde Bach. Der Gestank vom Springkraut. Hosen rauf. Die glänzenden Tollkirschen. Bitter.

      Im Vorzelt:

      In der Früh. Die Sonne. Die Schnecken fliehen ins hohe Gras. Die Wepsen kommen.

      Großvater liest seine National-Zeitung.

      »Das in Oklahoma waren Terroristen«, flüstert Großvater.

      Großmutter nickt. »Muselmänner.«

      Sssssssssssssss. Weps über dem Kaba. Sssssssssssssss. Weps über dem Marmeladenbrot. Sssssssssssssss. Weps über Großvaters Kaffee.

      »Zefix, Scheißviecher!« Batz. Von der Zeitung erschlagen. Tot.

      Sssssssssssssss. Weps über Großvaters Marmeladenbrot. Sssssssssssssss. Weps über Großmutters Tee. Sssssssssssssss. Weps über Großmutters Marmeladenbrot. Batz. Marmelad spritzt. »Scheißdreck!«

      Sssssssssssssss. Weps auf Markus’ Mund.

      »Trinken lieber drinnen«, sagt Großmutter.

      Großvater nickt.

      Großmutter zieht das Moskitonetz auf. Markus schlupft rein. Samt Tass, samt Teller. Großmutter zieht es zu.

      Im Zelt:

      Markus in der Mitten. Allein. Mit Tass und Marmeladenbrot. Schaut nach oben, in die Pyramidenspitzen: Markus in der Pyramide. Großvater und Großmutter hinter dem weißen Netz: käsig. Der blonde Bub mit dem roten T-Shirt neben dem Zelt: plärrt. Die Wepsen über ihm: kreisen und krabbeln auf dem Innenzelt. Schatten, die ruckartig die Richtung ändern. Fühler, die aneinanderreiben. Stacheln, die zu ihm runterstechen.

      12. Juli 1995

      Jugoslawien

      Ayyub Zlatar

      Sein Urgroßvater war Goldschmied gewesen. Sein Großvater war Goldschmied gewesen. Sein Vater war Goldschmied gewesen. Und er wollte ebenfalls Goldschmied werden. Stattdessen hatte er von Vater eine Ohrfeige bekommen und musste den seit Jahren an der rauchgeschwärzten Hausmauer vor sich hin rostenden Škoda, mit dem sie früher nach Jesolo in den Urlaub gefahren waren, mit dem rötlichen Wasser aus dem Brunnen waschen, weil er den Müll auf den Wagen und nicht daneben geworfen hatte. Neben das Brennholz. Danach kippte er das Wasser in die stinkende Kanalisation.

      Mit seiner älteren Schwester Camila musste er Löwenzahn, Brennnessel und wilden Spinat suchen, den ihre Mutter zu einer Suppe verkochte, die in der Nacht in den Mägen und Gedärmen donnerte. Die beiden durften nicht weiter als bis zu den Hügeln, auf denen verdorrte Sonnenblumen die Köpfe hängen ließen. Weiter oben war der Kopf ihres Schulfreundes Sulejman explodiert wie eine Melone. Vater und Großvater schwärmten in die umliegenden Dörfer aus, um bei anderen Familien Essen zu ergattern, das Wort betteln nahmen sie nicht in den Mund. Die Wölfe und Bären waren verschwunden, dafür war Ayyubs Onkel Mirsad zurückgekehrt, durch einen Fluss voller Leichen. Die Einzigen, die sich weit über die Stadtgrenzen hinausgetraut hätten, wären die Ratten gewesen, doch die blieben gerne.

      Ayyub wollte endlich wieder mit seinem bestem Freund Ratko auf der Straße bolzen. Mit ihm die Wälder erkunden, Lager mit steinumrandeten Feuerstellen bauen, Dämme errichten oder die Schafe ihrer Nachbarn hüten. Schließlich hatten sie Blutsbrüderschaft geschlossen, mit dem Messer, das Ayyubs Großvater ihm geschenkt hatte. Ayyub dachte täglich an Ratko, weil er Angst hatte, ihn zu vergessen. Wenn er den Rauch

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