Belgische Finsternis. Stephan Haas

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Belgische Finsternis - Stephan Haas

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      Bis dahin sollte ich den Weg zu Elise und Liv geschafft und mit ihnen gesprochen haben. Ich hoffte nur, dass sie noch nicht ihren Ausflug in den Tierpark angetreten hatten.

      »Gut, machen Sie das. Wo wohnt Ihre Frau?«, fragte Karls, bevor die Verbindung endgültig wegbrach.

      2

      »Ich hatte dich doch gebeten, anzurufen, bevor du kommst.«

      Ich freu mich auch, dich zu sehen.

      Meine Freude darüber, dass ich die beiden noch erwischt hatte, war gleich wieder verflogen. Elises Stirn sah angestrengt aus. Kleine Schweißtropfen lagen auf der schön gebräunten Haut. Sie fuhr sich mit den Händen durch ihre blonden Haare.

      Ich bemerkte sofort, dass ihr Ehering fehlte.

      »Es tut mir leid. Ich muss mit euch sprechen. Ist Liv da?« Ich hoffte es sehr. Wenn ich sie schon enttäuschte, wollte ich es ihr auch persönlich erklären.

      »Hast du getrunken?«, fragte Elise, während sie angewidert ihr Gesicht verzog.

      »Ein Kollege hat seinen Abschied gefeiert«, flunkerte ich und musste dabei unweigerlich an Tim denken. Dass ich bis ein Uhr morgens bei einem Dutzend Hoegaarden Dart gespielt hatte, behielt ich für mich. »Also, ist sie da?«, hakte ich nach.

      »Ja, ist sie. Was ist denn so dringend, dass du um neun Uhr morgens Sturm klingelst?«

      Mir war nicht bewusst, dass ich so lange geklingelt hatte. »Ich habe ein Angebot bekommen. Einen klassischen Kriminalfall. Die Chance, aus dem Drogendezernat rauszukommen, verstehst du?«, sagte ich.

      Ich fixierte ihre blauen Augen und wartete auf eine Reaktion.

      »Du kannst sie nicht schon wieder enttäuschen, Piet!«

      Sie schlug einen Ton an, als stünde ein Schuljunge vor ihr, der zum x-ten Mal denselben Fehler machte.

      »Es wird nicht so zeitintensiv. Und es ist auf dem Land, in Raaffburg. Liv könnte mich in den Ferien besuchen kommen«, erklärte ich bewusst euphorisch, um meinen neuen Arbeitsort in einem guten Licht erscheinen zu lassen.

      »Raaffburg? Hab ich noch nie gehört. Was willst du da?«

      Das fragte ich mich durchaus auch. Wie sollte man den Wechsel von der europäischen Hauptstadt in ein Provinznest im kleinen deutschsprachigen Teil Belgiens plausibel erklären? Inzwischen hatte ich über mein Handy herausgefunden, dass das an der deutschen Grenze gelegene Raaffburg auch nicht allzu weit von den Niederlanden entfernt war und somit im sogenannten Dreiländereck lag. Ob ich dort die große Internationalität antreffen würde, die ich von Brüssel gewohnt war, bezweifelte ich jedoch. Vielleicht aber taugte die Gegend als ein »Klein-Europa«.

      Ich war gerade dabei, die zurechtgelegten Argumente vorzutragen, als ich Liv erblickte. In einem Sommerkleid mit lauter bunten Blumen kam sie die Treppe heruntergehüpft. Die Freude über mein Erscheinen war ihr anzusehen. Gleichzeitig erkannte ich, dass sie sich zwang, ihre Mundwinkel nicht zu sehr zu heben. Vermutlich ahnte sie schon, was kommen würde.

      »Papaaa!«, rief sie voller Begeisterung.

      Wie sehr ich sie vermisst hatte! Kaum vorstellbar, dass ich ihre Liebe mit einem Stiefpapa teilen sollte.

      Noch ist es nicht so weit.

      »Wow, bist du chic angezogen! Geht ihr auf eine Modenschau?«, fragte ich schmunzelnd.

      Sie drängelte sich an ihrer Mutter vorbei nach draußen, nahm meine Hand und drehte eine Pirouette. Von ihren blonden Locken tropften vereinzelt Wassertropfen auf den Blaustein.

      »Neiiin«, entgegnete sie gedehnt und verdrehte dabei die Augen. »Ich mache einen Ausflug mit Mama. Zum Tierpark. Da gehen wir ein Eis essen.« Sie verkündete es voller Stolz, als wollte sie, dass die ganze Welt es hörte.

      »Wir sind aber schon zu spät«, ging Elise dazwischen. »Und du hast dir nach dem Baden nicht die Haare getrocknet, wie ich gesagt habe. Geh ins Bad zurück und föhn dir die Haare. Ich klär hier noch was mit Papa, und dann fahren wir.«

      »Aber –«

      »Kein Aber!« Sie warf Liv einen strengen Blick zu. Dabei zog sie Nase und Lippen zusammen, wie immer, wenn sie etwas halb ernst, halb freundlich zu verstehen geben wollte. Liv schmollte und verschwand wieder im Haus. Sie wusste, wann es keinen Zweck hatte, weiterzubetteln.

      »Los, sag, was du zu sagen hast. Dann müssen wir los.«

      Elise schaute mich an, diesmal ohne eine Miene zu verziehen. Für einen Moment glaubte ich, in ihren Augen eine Träne zu erkennen. Doch ich täuschte mich. Es tat weh, sie so zu sehen. Fordernd. Gefühllos. Kalt. Wie gern hätte ich sie in den Arm genommen und ihr gesagt, wie leid mir das alles tat und dass ich sie liebte. Dass ich sie und Liv zurückhaben wollte.

      »Ich werde in Zukunft mehr Zeit haben«, sagte ich stattdessen nur.

      Elise starrte auf den Boden. »Versprich nichts, was du nicht halten kannst, Piet!«

      Ich streckte meine Hand nach ihrer aus. »Es wird ruhiger, das verspreche ich.«

      »Lass dir mal was Neues einfallen!«

      Sie ließ meine Hand ins Leere laufen und folgte Liv, die die Treppe hinauftippelte.

      Nachdem Liv mir in ihrem Zimmer stolz die neuesten Puppen präsentiert hatte, erzählte ich ihr von meinem Vorhaben. Sie nickte verständnisvoll. Wie eine Erwachsene.

      Du hast ihr die Leichtigkeit genommen!

      »Und wann bist du wieder ganz da?«, fragte sie, ohne den Blick von ihrer Puppe zu lösen.

      »Bald, mein Schatz«, sagte ich.

      Merkst du nicht, wie ausweichend du antwortest?

      Ich legte einen Arm um sie. Sie zeigte keine Reaktion. Ich blickte auf zu dem von fliegenden rosablauen Elfen besiedelten Rahmen eines Spiegels. Dort hing ein Foto von mir und Liv, aufgenommen vor zwei Jahren auf Korsika. Es war eine Aufnahme aus glücklicheren Tagen. Wir beide waren braun gebrannt und strahlten in die Kamera, die Elise bediente. Je länger ich das Bild betrachtete, desto deutlicher fiel mir auf, wie ich mich seitdem verändert hatte. Während der Mann auf dem Bild einen gepflegten Kurzhaarschnitt trug, glatt rasiert und durchtrainiert war, wirkte derjenige, den ich im Spiegel sah, irgendwie verlebt. Mein Bart war viel zu lang geworden. Meine Haare sahen spröde und wild aus. Und das zerknitterte graue Kurzarmhemd, das bei jeder anderen Farbe längst verblichen gewesen wäre, trug ich heute den dritten Tag in Folge.

      Ich schaute definitiv zu selten in den Spiegel.

      Der essenzielle Unterschied aber bestand in etwas anderem: Damals war ich glücklich gewesen. Es schien, als wären der Mann auf dem Foto und mein heutiges Ich zwei grundverschiedene Menschen. Das einzig Konstante war die vier Zentimeter lange Narbe, die meine Stirn verunstaltete.

      Ich war gerade im Begriff, Liv den Kopf zu streicheln und ihr vorzuschlagen, mich in Raaffburg besuchen zu kommen, als mein Handy klingelte. Ich zückte es und sah auf das Display. Smets.

      »Hallo, Ron«, meldete ich mich und sah Liv

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