Belgische Finsternis. Stephan Haas

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Belgische Finsternis - Stephan Haas

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in den Wagen einsteigen zu lassen. Ich sah von hinten nur seine krausen roten Haare.

      »Warum nicht?«, fragte ich.

      »Ist kaputt«, seufzte der Rotschopf, während er Bender auf den Oberschenkel drückte. »Junge, das Gaspedal ist rechts«, sagte er und schaute dabei hinaus auf die vertrockneten Gemüsefelder.

      Was für ein reizender Kerl.

      Bender schluckte. Er schwitzte ziemlich. Sein Gesicht war frisch rasiert, die Wangen brannten allein beim Hinsehen.

      Ich beugte mich nach vorne. »Was ist mit dem Schiebedach?«

      Es herrschten gefühlte vierzig Grad in dem Auto. Die trockene Zigarettenluft ließ mich husten.

      »Was soll damit sein?«, fragte der Beifahrer, der mein Husten ignorierte und sich mit dem Zigarettenanzünder einen weiteren Glimmstängel aktivierte.

      Bender blinzelte kurz hinüber zu seinem Nachbarn. Dieser streckte ruhig seine flache Hand aus, als wollte er sagen: Alles bleibt, wie es ist. Erst jetzt sah ich die großen rotbraunen Muttermale auf seinem Arm.

      »Schauen Sie mal hinter meinen Sitz. Dort müsste noch eine Flasche Wasser liegen«, sagte Bender in Richtung Windschutzscheibe, weiter beide Hände fest am Steuer.

      Ich nahm zwei Schlucke von dem lauwarmen Wasser und bedankte mich bei dem Jungen. Die Sonne schien mir direkt in die Augen, und eine Rauchwolke hüllte mein Gesicht ein. Meine Lider klebten und kratzten wie kleine Klingen an meinen Augen.

      »Was wissen Sie über den Fall?«, fragte ich.

      »Ich darf nichts sagen. Anweisung von oben«, murrte der Rothaarige. Er kippte einen Zentimeter Asche in den überquellenden Aschenbecher. »Ich weiß nur, dass vier Mann für diesen Fall zu viele sind.«

      »Wir sind zu viert?«, fragte ich mit derart hoher Stimme, dass ich mich vor mir selbst erschreckte.

      »Ja, sagte ich doch gerade. Lechat, Bender, Sie und ich«, blaffte er und schielte dabei durch die Mitte zu mir nach hinten. Jetzt kannte ich den Namen des Vierten, aber seinen eigenen verschwieg der angenehme Zeitgenosse weiterhin.

      »Und der Junge, der vermisst wird –«, begann ich meinen Satz, bevor ich unterbrochen wurde.

      »Der Junge, der vermisst wird, ist längst über alle Berge. Er macht sich irgendwo in Afrika ein schönes Leben und hält uns alle zum Narren. Aber meine Meinung will ja keiner hören«, schnappte der Rotschopf. Dabei gestikulierte er so stark, dass sein Sitz wackelte.

      »Warum Afrika?«

      »Hören Sie, Herr Professor, alles Weitere erzählt Ihnen der Chefermittler Monsieur Lechat vor Ort. Ich darf nichts sagen. Anweisung von oben.«

      Du wiederholst dich, Pumuckl.

      Er drückte seine Zigarette aus und zog dann Schleim durch seinen Hals nach oben.

      Ich blieb ruhig und lehnte mich wieder nach hinten, soweit das möglich war in dieser Konservenbüchse von einem Auto.

      Man hörte ja hier und da, dass die Menschen vom Land aus einem besonders liebenswürdigen Holz geschnitzt seien. Ich befürchtete, es mit einem Ausnahmeexemplar zu tun zu haben. Ich blieb also stumm sitzen.

      Die Ruhe gab mir Zeit zum Nachdenken. Ich begann mich zu fragen, was ich in diesem Wagen, der mich mitten in die Provinz beförderte, zu suchen hatte.

      Du könntest jetzt bei Liv sein.

      Ich grübelte, wie ich es anstellen sollte, mehr Zeit mit meiner Tochter zu verbringen. Ohne dass ich mich dabei selbst aufgab.

      Zwischendurch flackerten immer wieder Bilder von Elise und einem Mann auf, dessen Gesicht sich jedes Mal änderte. Er zog sie aus …

      Hör auf damit!

      Ich zwang mich, nicht mehr daran zu denken, und hielt Ausschau nach einer Ablenkung.

      »Wir sind gleich da«, murmelte der blasse Schlaks.

      Ein Glück.

      Mein Blick wanderte nach draußen, wo unzählige Kühe, umzäunt von blühenden Hecken, auf den grünen Wiesen grasten. Insgeheim freute ich mich auf die Ruhe auf dem Land. Mit den schmalen Gehwegen und dem romantischen Kirchturm wirkte das Städtchen beinahe wie ein Kurort. Dieses Gefühl strahlten auch die zahlreichen Fahrradgruppen aus, die den Bachläufen entlang durch die malerisch schönen Täler rollten und sich schließlich auf den Bänken im Grünen eine Pause gönnten. Sie genossen den Moment, und ich freute mich bereits, es ihnen gleichzutun.

      Wir fuhren an einem Weiher vorbei, und ich bewunderte die Enten und Schwäne darauf. Das Gewässer weitete sich in eine Art Wassergraben, der eine große Burg umschloss. Es war die Burg, die der Kleinstadt ihren Namen gegeben hatte. Doch was einst repräsentativer Sitz limburgischer Landesfürsten gewesen war, präsentierte sich heute nur mehr als dachlose Ruine, die einsam und verlassen dahinbröckelte.

      Inzwischen trocknete der Zigarettenqualm zunehmend meinen Mund aus. Mein Magen begann zu knurren, ich fühlte mich matt. Meinen Arm zu heben, um mich am Ohr zu kratzen, strengte mich bereits an. Ich war kurz davor, mich zu übergeben.

      »Lassen Sie mich bitte da vorne raus«, sagte ich mit geschlossenen Augen.

      »Hier?«, ertönte die hohe Stimme von Bender. »Sind Sie sicher? Zum Präsidium sind es noch drei Kilometer.«

      Der junge Mann schaltete vom fünften in den zweiten Gang, sodass der Motor laut aufheulte.

      »Ja, bitte. Ich habe heute noch keinen Sport gemacht, ich geh den Rest zu Fuß«, sagte ich, während ich gezwungen in den Rückspiegel lächelte, durch den mich Bender mit großen Augen ansah.

      Keine zwei Sekunden später hielt Bender, ohne den Blinker zu setzen, ruckartig rechts neben der Schnellstraße. Ein aggressives Hupkonzert zog an uns vorbei.

      »Herr Vanderhagen, Sie müssen aussteigen.«

      Bender blinzelte schüchtern zu seinem Nebenmann hinüber.

      Der Rotschopf hingegen schaute dem blassen Jungen überlegen in die Augen. »Muss ich das?«, fragte er und zwang Bender, den Blick abzuwenden. Dann stieg Vanderhagen, so musste er wohl heißen, doch noch aus.

      Ich stolperte über den Gurt hinweg nach draußen und atmete den Staub ein, den Bender mit seiner Vollbremsung aufgewühlt hatte. Vanderhagen stieg gleich wieder ein. Ich schaffte es zu warten, bis der Clio außer Sichtweite war. Dann übergab ich mich hinter einem Werbeschild.

      Zum Glück hast du nichts gefrühstückt.

      Als ich fertig war, verharrte ich einige Minuten in der Hocke. Ich spürte Schweißtropfen meinen Rücken hinabrinnen und zitterte am ganzen Körper, meine Zähne klapperten. Dann blickte ich mich um.

      Und las, was auf dem Schild stand.

      »Willkommen in Raaffburg!«

      4

      »Du schreibst mir, wenn ihr da seid, ja?«, fragte Ella, während sie die Zentralverriegelung deaktivierte.

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