Der Grenadier und der stille Tod. Petra Reategui

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Der Grenadier und der stille Tod - Petra Reategui Historischer Kriminalroman

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ist keine Entschuldigung.

      Sie lebten in Palmbach hinter Gottes Angesicht. Bis dort Nachrichten ankamen, wurde man alt und grau.

      »Geh komm, Madlän, des Schpektakel wirsch’de dir doch net entgehe lasse.«

      Sie hatte ja recht, die Oberhäusserin. Es reizte Madeleine schon. Sie war noch nie bei einer Hinrichtung gewesen, eine solche Gelegenheit bot sich nicht alle Tage. Sie hatte nachgegeben.

      Die ganze Stadt schien auf den Beinen zu sein, strömte vors Mühlburger Thor, wo eigens für diesen Tag das Schafott aufgebaut worden war.

      »Der Henker«, sagte die Oberhäusserin, als sie zum Richtplatz kamen. Sie zeigte auf einen Mann, der mit betont gelangweiltem Gesicht an der Treppe des Gerüsts lehnte und auf das Eintreffen der Malefikantin wartete. Neben ihm ein Militär, das Gewehr in der Linken. Den blauen Waffenrock schmückte eine rot abgesetzte Knopfleiste mit silbrigen Litzen. Über strahlend weißen Beinkleidern trug er ebenso strahlend weiße Gamaschen und um den Bauch eine breite Schärpe, an der Seite baumelte ein Säbel. Auf dem Kopf saß ein hoher, nach oben spitz zulaufender Hut. Major, Oberst, General? Madeleine kannte sich nicht aus mit der Rangordnung im Heer des badischen Markgrafen. Aber der Raubvogelblick des Mannes und die dünnen, fest zusammengepressten Lippen verrieten, dass er es gewohnt war, Befehle zu erteilen, denen man sich besser nicht widersetzte. Hinter dem Kommandanten hatte ein halbes Regiment Soldaten Aufstellung genommen, um notfalls sofort für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

      Von der Ferne wurde Gesang laut. Mit frommen Liedern begleiteten Frauen die Kindsmörderin auf ihrem schweren Weg. Als der Zug näher kam, fielen Zuschauer in die Melodie mit ein, eine Alte bekreuzigte sich. An der Seite der Delinquentin, die von zwei Knechten in einer grob gezimmerten Chaise getragen wurde, schritt der Pfarrer. Hofräte und Vertreter des städtischen Oberamts folgten.

      »Da guck dir des an, wird die feine Dirn doch tatsächlich getrage wie e Fürschtin. Das Madämle könnt sich ja die Füß dreckig mache«, erregte sich die Oberhäusserin, als die Gruppe an ihnen vorbeikam. »Mich trägt keiner über die Straß.«

      »Wenn du fünf Woche lang bei trocke Brot un Wassa im Loch hocke tusch und weisch, dass du de Abend nimmer erlebsch, könnscht au nimma laufe«, schimpfte die Meierin vom Butterstand, »hasch du denn gar kei bissle Mitg’fühl?«

      »Pff«, war die ganze Antwort der Oberhäusserin.

      Die zum Tod Verurteilte schaute nicht nach rechts und nicht nach links. Zusammengesunken kauerte sie in dem Tragstuhl, der bei jedem Schritt der Männer hin und her schwankte. Ihr Kopf war von einer großen weißen Haube bedeckt, das weiße Totenkleid mit den schwarzen Bändern umhüllte den Körper, in einer Hand hielt sie ein gefaltetes weißes Tuch, in der anderen eine Citrone.

      »Warum die Citrone?«, wollte Madeleine von der Buttermeierin wissen.

      »Um Kraft zu habbe fürs ewige Lebe«, flüsterte diese.

      Am Fuß des Schafotts angekommen, half der Geistliche der jungen Frau hoch, führte sie, weil ihr die Hände vor dem Körper gefesselt waren, die Treppe hinauf und sprach ein letztes Gebet mit ihr. Dann übernahm der Scharfrichter. Er brachte sie zu dem in der Mitte des Podests stehenden Stuhl, hieß sie sich setzen, band sie daran fest, nahm ihr die Kapuze ab, und als ob ihr plötzlich bewusst wurde, dass jetzt nichts mehr zu ändern, ihr Schicksal endgültig besiegelt war, hob die Frau unvermittelt den kahl geschorenen Kopf und schaute in den Himmel, an dem sich dicke Wolken zusammenballten. Die Gesichter der Menschen unter ihr, die gekommen waren, sie sterben zu sehen, mied sie.

      Das ist keine Putano, zamé, niemals!, schoss es Madeleine durch den Kopf. Nie im Leben sieht so eine Hure aus.

      Zwanzig, höchstens zweiundzwanzig mochte das junge Mädchen dort oben sein. Und schön war sie, wenn man so etwas von jemandem behaupten konnte, der leichenblass war und dem die Angst im Gesicht geschrieben stand.

      »Wer ist sie?«

      »Catharina Würbsin. Aus der Durlacher Thorgass im Dörfle«, antwortete die Buttermeierin leise. »Wenn du Carlsruh in Richtung Süden durchs Rüppurrer Thor verläscht, kommsch du an dem Haus vorbei, wo se g’lebt hat. Ich wohn net weit von dort, in der gleiche Straß, nur am annere End, zum Durlacher Thor hin.«

      Die Buttermeierin unterbrach sich kurz, beobachtete, wie oben auf dem Schafott der Pfarrer beiseitetrat, und während ein Gehülfe des Scharfrichters der Verurteilten die Augen verband und den Hals freilegte, behutsam fast, erzählte sie weiter:

      »Die Catharina war Tagelöhnerin auf dem Gottesauer Gut wie ihr Vater. Die Mutter hat mit Einquartierung von Soldate e bissle Geld verdient, und einer der Kerle hat dem Mädle dann des erschte Kind g’macht. Siebzehnsiebzig war des, des Kleine isch aber bald g’storbe. Und dann hat sie vom gleiche Soldat noch mal eins bekomme. Ja. Und des hat se erschlage. Gleich nach der Geburt. Morgens um acht. Im Rübkeller. Vor zwei Monate isch des g’wese, am 16. November, ich weiß es so genau, weil an dem Tag drei Jahr vorher mein seliger Herr Meier g’storbe isch. Hasch du denn nix davon mitgekriegt? Die ganze Stadt hat doch davon g’redet.«

      »Im Rübkeller?«

      »Im Rübkeller. Die Catharina hat dem Würmle mit einerer Rüb ’s Köpfle eing’schlage.«

      Der Scharfrichter hob das Schwert.

      »War sie denn mit dem Soldaten verheiratet?«, fragte Madeleine, während sie gebannt das Geschehen auf dem Gerüst verfolgte. Dennoch bemerkte sie den verwunderten Blick, den die Buttermeierin ihr von der Seite zuwarf.

      »In deinem Alter, Madeleine, solltest du das wissen: Junge Soldatenkerle dürfen nicht heiraten.«

      Es war so weit. Der Scharfrichter holte aus und trennte mit einem einzigen Hieb den Kopf vom Rumpf.

      Die Oberhäusserin grunzte zufrieden. »Na, des isch’s dann wohl g’wese, ich geh, mir isch kalt vom Rumschtehe.«

      Stark hatte Madeleine sein wollen. Aber als der Schädel fiel, hatte sie unwillkürlich die Augen zusammengekniffen. So schnell ging das also. Sie zitterte am ganzen Leib. Wie Espenlaub, sagten die Deutschen. Aber Madeleine konnte nicht darüber lachen wie sonst, wenn sie eine schöne Redewendung oder einen Dialektausdruck aufschnappte und das Gehörte dann stundenlang wiederholte, bis sie sicher war, dass sie es nicht mehr vergessen würde. Zittern wie Espenlaub. Nachts sind alle Katzen grau. Numme net huddle.

      Die Oberhäusserin war gegangen, und die Buttermeierin hatte Bekannte getroffen und sich ebenfalls verabschiedet. Die anderen Marktweiber kannte Madeleine kaum, und sie war froh, allein zu sein. Was sie eben gesehen hatte, machte ihr zu schaffen. Und auch, was die Buttermeierin gesagt hatte: dass Soldaten nicht heiraten dürfen.

      Galt dieses Gesetz auch für nicht badische Untertanen?

      Sie wussten wirklich nichts in Palmbach.

      Seit Jahrzehnten lebten sie jetzt dort oben auf der Höh, bereits in der zweiten und dritten Generation. Selbst die Maïre war schon in Palmbach geboren, aber ihre Leute taten, als ginge sie alles, was in den Dörfern und Städten ringsherum geschah, nichts an. Es gab Tage, an denen Madeleine das Gejammer der Alten nicht mehr hören konnte. Die Nonno trauerte den Tälern des Piemont nach, als wäre sie erst gestern und nicht schon vor siebzig Jahren ausgewandert. Man sollte meinen, dass sich die Waldenser doch langsam daran gewöhnt haben dürften, dass sie jetzt eine neue Heimat und neue Nachbarn hatten. Doch sie weigerten sich noch immer, Deutsch zu sprechen, hielten stur an der eigenen Sprache, an ihrem Patouà fest.

      »Das

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