Der Grenadier und der stille Tod. Petra Reategui
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Das sei ja auch nur recht und billig, hatte die Maïre hinterher spitz bemerkt. Nicht alle Kerle seien so manierlich. »Und dir, méou fillho, sage ich: Hüte dich vor den Männern, vor allem jetzt, wo du so oft runter in die Residenz zum Markt musst. Ich wollte, du müsstest es nicht. Aber ich schaffe es nicht mehr mit meinen Knien, und wer außer dir soll’s sonst machen? Deine Schwestern sind noch zu klein.«
Mit einem Mal hielt es Madeleine nicht mehr aus zwischen diesen elenden Klein-Carlsruher Baracken, hinter deren Fenstern sie Blicke zu verfolgen schienen, Flüche, Verwünschungen. Sie wollte nur noch fort, weg von hier. Als sie am Rüppurrer Thor ankam, atmete sie erleichtert auf. Ob sie es denn weit habe, fragte der Wachthabende mitfühlend, während er den Korb inspizierte und den Zoll kassierte.
»Bis nach Palmbach.«
»Ach herrje«, sagte er, »na dann, bonne route!«
Kamen ihr außerhalb der Stadt anfänglich noch einige Fuhrwerke entgegen, auch späte Fußgänger, die es eilig hatten, zurück in die Residenz zu kommen, wurde es bald still und einsam um sie.
Ich bin der einzige Mensch auf der ganzen weiten Welt!
Madeleine lachte gequält. Leise begann sie zu singen, es war mehr ein Piepsen. Der Wind verwehte die Worte, Flocken wirbelten ihr ins Gesicht, sie schloss die Augen zu schmalen Schlitzen. Über Durlach dunkelte der Himmel, in einer halben oder dreiviertel Stunde würde es tiefste Nacht sein, nur der Schnee sein fahles Licht verbreiten. Schlagartig fühlte sie sich müde. Das war zu viel gewesen heute, die Hinrichtung, das Hickhack der Offiziere, der Besuch bei der Medicinalratswitwe, die so freundlich zu ihr gewesen war und zugleich so vornehm, dass Madeleine vor lauter Vornehmheit nicht wusste, wo sie hinschauen sollte. Und dann zum Schluss noch das Dörfle.
Soldaten dürfen nicht heiraten.
Jetzt, wo alles still um sie herum war, stieß ihr die Bemerkung der Buttermeierin auf wie Sauerbier.
Aber er hatte ihr doch gefallen, von Anfang an hatte er ihr gefallen.
Es war über sie gekommen wie ein Sommergewitter, sie war machtlos dagegen gewesen.
So etwas war ihr noch nie passiert, nicht in Palmbach und in keinem der anderen Waldenserdörfer in deutschen Landen, wohin sie von Zeit zu Zeit zu einem Fest oder einem Familientreffen wanderten. Die jungen Männer dort waren alle langweilig wie Schafsböcke und spielten sich dabei auf wie die Gockel. Jeannes Matthieu genauso wie Jacques aus dem benachbarten Untermutschelbach. Hatte der doch wirklich beim letzten Erntedankfest geglaubt, er könne sie küssen. Na, dem hatte sie’s aber gezeigt.
Der Soldat dagegen, der hatte etwas Besonderes an sich.
Selbstsicher war er, schien genau zu wissen, was er wollte, und welcher Waldenser hatte schon so herrlich blonde Haare?
»Du bist nicht von hier, ich hab dich vorher noch nie gesehen«, hatte der Soldat gesagt, als er im Spätherbst zum ersten Mal bei ihr Nüsse kaufte. »Sobringer mein Name«, hatte er sich vorgestellt, »Sobringer. Grenadier im badischen Leibregiment«, und ihr dabei Äuglein gemacht, wie ihr noch nie jemand Augen gemacht hatte. Und wie elegant er aussah in seiner Uniform! Die feinen Beinkleider, die seitlich geknöpften Gamaschen, die polierten schwarzen Schuhe, dazu ein feiner blauer Rock.
Nachdem er gegangen war, hatte sie ihm noch lange hinterhergeschaut. Ob sie ihn wiedersehen würde?
Sie sah ihn wieder, schon am nächsten Markttag.
»Da ist sie ja, meine Schöne.«
Meine Schöne!
Und dann ließ er es sich nicht nehmen, sie nach Schließung des Markts ein Stück weit zu begleiten, noch bis hinters Durlacher Thor, wo die Wächter ihm vertraulich auf die Schultern klopften und ihn passieren ließen, als seien sie alte Freunde.
»Und hier muss ich dich jetzt verlassen, meine Schöne, so leid es mir tut«, entschuldigte er sich am Abzweig nach Gottesau. Er nahm ihr Gesicht in seine Hände, küsste sie sanft hinterm Ohr, streifte ihre Lippen, ein Hauch, ein Kribbeln, ein Duft himmlischer Ewigkeit.
»Und versprich mir, dass du keinen anderen angucken tust.«
Sie versprach es, sie wusste ja jetzt schon, dass sie nie mehr im Leben einen anderen angucken würde.
Wenn sie an den Tagen danach an ihn dachte, klopfte ihr das Herz wie verrückt. Und sie dachte unablässig an ihn. Auf dem Weg zum Markt und wieder zurück und nachts, wenn sie in ihrer Bettstatt lag und dem kleinen Fraïre neben sich, dem zuletzt geborenen Brüderchen, eine Ninna nanna sang, denn der Pëchit hatte einen unruhigen Schlaf und boxte ihr ständig seine Füßchen in die Rippen.
Zum Jahreswechsel war es ungewöhnlich warm gewesen. Die Oberhäusserin hatte aufgekratzt vor sich hin geträllert, die Buttermeierin Zuckerbrot in der Pfanne gebacken und generös verteilt, Hausfrauen und Mägde, die einkaufen gekommen waren, ließen sich Zeit und schwätzten. Nur der Soldat kam nicht.
»Komm, lach a bissle, Madeleine, die Sonn scheint, ’s Lebe isch schön«, munterte die Meierin sie auf und schenkte ihr das letzte Stück vom süßen Brot. »Für dich, für dein lange Heimweg.«
Und dann stand er plötzlich vor ihr. Gerade als sie in der kleinen baufälligen reformierten Kreuzgassenkirche, in der Madeleine drinnen ständig Angst hatte, das Gebälk stürze über ihr zusammen, noch ein schnelles Vaterunser, ein Notre páire dâ sèel, beten wollte, bevor sie sich auf den Nachhauseweg machte.
»Ich hab auf dich gewartet«, sagte er und griff nach ihren Händen.
Da hätte sie Nein sagen sollen. Heute wusste sie es.
Aber an diesem Nachmittag vor zwei Wochen hatte alles in ihr Ja geschrien. Ja, ja, ja, sì, sì, sì. Die Knie drohten ihr nachzugeben. Die Buttermeierin hatte recht: Die Sonne schien, das Leben war schön, der Grenadier war gekommen.
Er spazierte mit ihr zum Schlossplatz, zeigte ihr ein schmiedeeisernes Tor, das sie noch nie zuvor gesehen hatte, ein Tor wie aus einem Märchen. Als sie in den Hardtwald hineinwanderten, nahm er ihre Hand. Irgendwann hatte sie die Orientierung verloren. Aber er war ja bei ihr.
Am Rand einer Lichtung lag ein umgestürzter Baum.
»Extra für uns.« Sobringer legte beide Arme um sie. Die Sonne wärmte, und außer dem Rascheln von altem Laub, wenn vielleicht eine Maus oder ein Vögelchen hindurchhuschte, war nichts zu vernehmen.
Irgendwann schreckte sie hoch. Die Luft hatte abgekühlt, der Abend kroch hinter den Wipfeln hervor.
»Ich muss gehen«, flüsterte sie.
»Aber