Der Grenadier und der stille Tod. Petra Reategui

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Der Grenadier und der stille Tod - Petra Reategui Historischer Kriminalroman

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er, entdeckt zu werden. Bis er eines Tages mitten in der Stadt im wahrsten Sinn des Wortes über diesen leeren Bauplatz stolperte, genauer gesagt über eine im Weg liegende Stange. Während er sich hochraffte, bemerkte er im Zaun eine Lücke zum Nachbargrundstück. Neugierig ging er nachschauen und erspähte dahinter, versteckt unter Bäumen und Büschen, so etwas wie eine Hütte, einen von hohem Gras und Kletterpflanzen überwucherten verlassenen Schuppen.

      Eine Zeit lang beobachtete er den Ort, dann richtete er ihn her und besorgte sich für die Tür ein Vorhängeschloss. In den beschädigten Zaun passte er Latten ein, die er leicht abnehmen und wieder davorklemmen konnte. Der Durchschlupf würde nur jemandem auffallen, der direkt danach suchte. Allerdings müsste er aufpassen, falls das Grundstück eines Tages verkauft werden würde und jemand zu bauen anfing. Aber darüber wollte er sich jetzt noch nicht den Kopf zerbrechen. Vielleicht könnte er ja tatsächlich selbst … wenn das Geschäft weiterhin so gut liefe …

      Die feinste Adresse war Heberles Schankstube in der verlängerten Adlergasse nicht. Es stank nach verpesteter Luft, Schimmel und Nierle in saurer Soß. Der Schnaps war Fusel, der Wein lausig, aber bezahlbar.

      Die Kameraden waren noch nicht da. Simon setzte sich an ihren Stammtisch, Johanna brachte ihm zu trinken.

      »Auch was essen?«

      Er schüttelte den Kopf.

      Vom Nachbartisch wehte Tabaksdunst herüber. Dreckiger Verschnitt wie zu Hause in Landeck. Er hasste die Erinnerung daran. Wenn es wenigstens reines Kraut wäre, wie es der Herr Major zu rauchen pflegte.

      Natürlich hatten sie damals unbedingt auch rauchen wollen. Er. Fischers Arthur, der mit seinen zehn Jahren der Jüngste gewesen war. Dem Englerbauer sii Jacöbli. Kiefers Christian. Und schließlich der Huber Auguscht, der zwei Jahre später in die Mistgabel fiel und vier Tag lang starb. Sie hatten ihren Alten das Kraut stibitzt und in einem Keller der Landecker Burg gepafft, bis ihnen der Rauch aus den Ohren quoll. Nur dass ihm kotzübel davon wurde. Er hatte raus müssen, hinter einen Busch. Das passiert mir nicht noch mal, schwor er sich. Wenn die anderen rauchen konnten, konnte er das ja wohl dreimal. Aber sein Körper wollte nicht wie er, rebellierte, sooft er es versuchte. Die Freunde verhöhnten ihn, und bald wusste es jeder im Dorf, der Simon kann nicht rauchen! Der ist noch grün hinter den Ohren, grüner geht’s nicht. Sein Bruder, dieser Blödian, tönte am lautesten und pustete ihm seinen Pfeifenrauch ins Gesicht. Dabei war der kaum älter als er. Nur zwei Jahre.

      Später tröstete er sich mit der Kuhmagd des Georgenbauern. Sie war ihm an einem heißen Julitag bereitwillig in den Wald gefolgt, entledigte sich auf einer hellen Lichtung ihrer Schnürbrust, löste gegen ein paar Kreuzer das hellrote Bändele am Hemdausschnitt, sodass das Kleidungsstück über die Schulter glitt und der Busen herausrutschte. Erregt packte er zu. Aber sie haute ihm auf die Finger, giggelte und kicherte und ließ ihn zappeln, er hielt es kaum noch aus. Da endlich erbarmte sie sich, hob den Rock und zeigte ihm, was er tun müsse. Er sei der Erste, versicherte sie ihm hinterher, während sie sich gemächlich Tannennadeln und Grashalme aus Haaren und Kleidung pflückte und das Geld zählte, das sie ihm abverlangt hatte. »Schwör’s«, hatte er gesagt, und sie schwor: »He jo bisch dü de Erschd, was glaubsch denn?« Jetzt war er also ein Mann, ein richtiger Mann, und den anderen eine Nasenlänge voraus, auch wenn er das Rauchen nicht vertrug. Bis er erfuhr, dass dieses heimtückische Weib schon im Jahr zuvor mit Kiefers Christian das gleiche Spiel getrieben hatte und auch mit dem Englerbauer sii Jacöbli und sogar mit seinem blöden Bruder.

      Als die Werber des Markgrafen kamen, entschied er sich sofort. Er ließ sich mustern und wurde genommen. Nach Carlsruhe würde es gehen, Carlsruhe war gut, die Stadt war weit weg von Landeck, viel weiter weg als Freiburg. Und er stellte sich vor, wie anmutig die Frauen in der Residenz sein würden, und keiner käme ihm ins Gehege, vor allem nicht sein blöder Bruder.

      Simon hatte den Wein, den Johanna ihm zuvor gebracht hatte, längst ausgetrunken, als die Kameraden eintrafen, sogar der ernste Heinrich Abele war mit dabei.

      »Sieh da, der Abele. Der Herr Professor steigt vom hohen Ross und beehrt das Fußvolk. Ist dir die Lektüre ausgegangen?«, lästerte Simon, aber der Kamerad ging nicht auf die Sticheleien ein, ließ ihn einfach abblitzen.

      »Brot, Schmalz und den größten Krug Wein, den ihr habt«, krakeelte Hänsle Pfeiffer, noch bevor er sich gesetzt hatte. »S’ geht auf mich.«

      »Prost, Landecker!«, sagte Friedrich mit den roten Haaren, als jeder versorgt war, und hob sein Glas. »Auf dich, und pass in Zukunft besser auf, wenn du zu ’ner Dirn gehst.«

      Simon keifte. »Als ob ich nicht aufgepasst hätte!«

      »Nimm das nächste Mal einen Schafsdarm mit!«, riet Pfeiffer und machte eindeutige Zeichen mit den Fingern.

      »Wieso einen Schafsdarm?«, fragte Ludwig Lauer. »Ich dachte, die Weiber wissen, wie sie einen Bauch wieder wegkriegen …«

      »Du bist zwar der Längste im Regiment, Lauer, aber dafür der Dümmste, so dumm wie Bohnenstroh.« Der rote Friedrich, der neben ihm saß, versetzte dem Gefährten einen Schlag auf den Hinterkopf.

      »Ich dachte …«

      »Denk nicht, das nützt bei dir nix.«

      Lauer schwieg eingeschnappt.

      »Ihr hättet heute Morgen die Gesichter der Weiber auf dem Richtplatz sehen sollen«, unterbrach Hänsle Pfeiffer das Geplänkel der beiden. »Mann, sind die verschrocken, herrlich.«

      »Nur verschrocken?«, meldete sich Georg Frühauf. »Eine Lehre fürs Leben sollte es ihnen sein.« Er hob seine Stimme, als stünde er auf der Kanzel. »Was diese Würbsin gemacht hat, ist doch wider Gott und die Natur. Diese Teufelinnen bringen ihre eigenen Kinder um und behaupten hinterher noch, dass der Satan es ihnen befohlen hat.« Geringschätzig zog er die Luft durch die Nase.

      Der rote Friedrich nickte. »Die Würbsin hat auch vom Satan geredet«, posaunte er in die Runde. »Nur dass bei ihr der Böse ein kleines schwarzes Männle im grünen Rock gewesen ist. Es hat ihr angeblich eingeflüstert, sie soll das Kind noch vor dem ersten Hahnschrei mit der Rübe erschlagen.«

      Lauer glotzte ihn ungläubig an. »Woher weißt du das?«

      »Von einem der Hofräte, der beim Verhör im Oberamt mit dabei war. Ich kenne ihn gut, verkehre manchmal bei ihm zu Hause«, prahlte Friedrich, rief Johanna und hielt ihr den schon wieder leeren Krug entgegen.

      »Du willst uns wohl verdursten lassen?«

      Er zwickte sie in die Wange. »Zur Strafe bekomm ich einen Kuss und dann: allez hopp, mein liebes Kind, Wein und Karten, aber schnell, wenn ich bitten darf.«

      »Karten und Wein sofort. Zum Küssen komm ich, wenn ich Zeit hab, sonsch lohnt sich’s ja net.« Sie wedelte ihm mit der Schürze vor dem Gesicht herum, und alle außer Simon johlten vergnügt, der rote Friedrich schlug sich wiehernd auf die Schenkel.

      »War das erschlagene Kind eigentlich ein Junge oder ein Mädchen?«, fragte Heinrich Abele in das Gegröle hinein.

      »Ein Mädchen.« Der rote Friedrich schien alles zu wissen. Aber Simon reichte es jetzt. Dieser Lackel von Friedrich, der immer den Possenreißer spielen musste, und dann der Klugscheißer Abele. Den hatte er besonders gefressen. Aufgebracht leerte Simon sein Glas Wein und goss sich sofort nach. Satan, Rübe, Mädchen, Junge. Was sollte dieses ganze Gewäsch? Die Sache war zu Ende, warum schon wieder davon anfangen? Ja, gut, er hatte die kleine Würbsin gekannt. Das blieb bei einer Einquartierung nicht aus, dass man den

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