Von Menschen, Märchen & Moguln. Michael Schottenberg

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Von Menschen, Märchen & Moguln - Michael Schottenberg

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länger vor mir.

      Am Schalter mit der Aufschrift »Foreigners« drängen sich die Passagiere. Die Warterei dauert beinahe so lange wie der Flug. Es ist zwei Uhr nachts. Endlich bin ich dran. Der Beamte der Einwanderungsbehörde spricht Hindi-Englisch, er wackelt mit dem Kopf. Ununterbrochen stellt er dieselbe Frage. Ich sage, dass ich schon einmal den Süden seines Landes unsicher gemacht habe. Es sollte ein Scherz sein. Wieder schüttelt er den Kopf, wieder blättert er in meinem Pass. »Selbst gemacht«, sage ich und hoffe, dass er mich ebenso wenig versteht wie ich ihn. Er rülpst. Zehntausende Arrivals hat er bereits hinter sich, zehntausende liegen vor ihm. In seinem Blick liegt alles Elend dieser Welt – ähnlich einem Gecko-Baby, das seine Mutter sucht. Er deutet, ich möge die Brille abnehmen. Lange betrachtet er mein von schlaflosen Stunden gezeichnetes Gesicht. Ich halte dem Blick stand. Er schürzt die Lippen zu einem Kussmund. Was wird das, denke ich. Unsicher zwinkere ich zurück. Hinter ihm ist eine Kamera angebracht, die den Ist-Zustand des Asylsuchenden festhält. Und ich dachte schon, meine Reise beginnt mit einer kleinen Koketterie. Nichts da, er wartet auf einen entspannten Gesichtsausdruck meinerseits. Kann er haben. Klick. Stempel. Ich werde zum Handgepäckschalter weitergereicht. Wie jetzt? Was könnte ich gerade eben noch ins Gepäck geschummelt haben? Kurz darauf habe ich auch die letzte der sieben Prüfungen bestanden.

      Ich bin drin. Das Abenteuer beginnt. Da lokale Banknoten nicht eingeführt werden dürfen, bleibt dem Globetrotter nichts anderes übrig als die Jagd nach Barem. Dabei aber sollte man besser ausgeschlafen sein. Die erste Maschine streikt, die zweite akzeptiert die Karte nicht, die dritte ist außer Betrieb und um die vierte balgen sich meine übermüdeten Kollegen. Per Zufallsgenerator spuckt die Maschine Geld aus – oder eben nicht. Bei mir nicht. Jemand weist mir den Weg aus der Halle hinaus, dort stehen angeblich noch weitere dieser Wunderkästen. Nachteil: Man muss den Airport verlassen und wird, so schnell kann’s gehen, zum Spielball von Häschern und Heilsversprechern. Inzwischen ist es vier vorbei. Der Rummel ist gewaltig. Wo, wenn nicht hier liegt das Geld auf der Straße. Arrivals sind willfährige Barzahler. Im Nu bin ich umringt von hilfsbereiten Geistern. Gemeinsam starren wir auf die Mattscheibe. Wird man vor dem Eintippen des Codes nicht immer vor »unbefugten Blicken« gewarnt? In Indien ist Geldbeschaffung Gruppenarbeit. In meiner Linken verspüre ich ein paar Weihrauchkörner. Rechts montiert mir ein Jünger Krishnas ein rotes Wollband ans Handgelenk. »Karma!«, flüstert er und rollt die Augen. Was soll ich um vier Uhr früh mit Karma? Ich brauche Geld. Aber das wollen andere auch. Die Menschentraube schnürt mich ein. Wer sagt’s, die Money Machine ist leer. Der Tross wechselt zur nächsten. Wie ich es letztlich geschafft habe, meine neuen Fans zu überlisten, weiß ich nicht, noch weniger, wie ich sie alle wieder loswurde. Mit einem Bündel glatt gebügelter Mahatma-Gandhi-Gesichter kämpfe ich mich in die Ankunftshalle zurück und lande bei einem der Prepaid-Taxi-Schalter. Ich bin viel zu müde, um auf den Bus ins Stadtzentrum zu warten – falls es so etwas überhaupt gibt. Mumbai hat über achtzehn Millionen Einwohner und mindestens die Hälfte davon strecken mir gerade die Hände entgegen.

      »What’s your name?« Ein Kleinwuchs schnappt nach meinem Rucksack.

      »Austria«, sage ich gedankenverloren.

      »I’m Sebastian. European name. Cochin, Kerala!«

      Na bitte. Vor Jahren bin ich kreuz und quer durch den Süden gereist, in der Stadt Cochin am Arabischen Meer habe ich eine schöne Zeit verbracht. Wenn das nicht verbrüdert. Ich versuche, mit Sebastian Schritt zu halten, eine endlose Rolltreppe bringt uns zwei Etagen tiefer.

      »I never heard a name like Austria!« Der Kleine denkt nicht daran, mein Gepäck loszulassen. Der Chhatrapati Shivaji International Airport, benannt nach einem Marathenkönig aus dem 17. Jahrhundert, ist eine weit verzweigte Stadt unter der Stadt. »Short cut. Time is money!« Sebastian wackelt mit dem Kopf und verschwindet zwischen unzähligen mit laufenden Motoren wartenden Taxis.

      »Air conditioning, Sir?« Wie aus dem Nichts taucht er vor mir auf.

      »No«, sage ich. »AC is expensive!«

      Er hält mir eine Autotüre auf und ich lasse mich auf die steinerne Rückbank fallen. Der Aufschlag in Mumbai ist härter, als ich dachte. Sebastian wirft die Kiste an, ich kurble die »Aircondition« hinunter. Sein Kopf erscheint neben mir im offenen Fenster.

      »Small money, Austria. Please!« Er lächelt und hält mir die Hohle hin. Ich schüttle sie. Sein krätziger Schädel ist jetzt dicht neben mir, er riecht nach Patschuli und Raubtier. Ich krame den kleinsten der großen Scheine heraus, der Südinder schnappt sich den Lappen und verschwindet in der Dieselwolke eines unmittelbar vor uns startenden Rosthaufens. Hopsend vor Fehlzündungen verlassen wir das Flughafengelände.

      »Otel?« Sebi betrachtet mich im Rückspiegel. Ich dachte eigentlich, dass das auf dem Prepaid-Formular steht. Bentley’s Hotel, Colaba. Letzteres ist der Name des Stadtteils. Der Typ hat sichtlich keinen Tau. Entweder ist meine Aussprache so miserabel oder es ist heute nicht sein Tag. Wahrscheinlich beides. Colaba war vor Kurzem in aller Munde, hier ereignete sich ein schwerer Terroranschlag. Indien und Pakistan werden in diesem Leben keine Freunde mehr.

      »Close the window«, zischt Sebastian. Er hat recht. Hier ist sie, die Smog-Glocke, von der man in so ziemlich allen Touristenführern liest. Über dem Moloch hängt Tag und Nacht eine undurchdringliche Chemiewolke. In ein Taxi mit Klimaanlage zu investieren, wäre nicht verkehrt gewesen. Mit Vollgas brettern wir durch die Nacht. Schlaglöcher, Kühe, Mopeds, auf der Straße liegende Menschen, streunende Hunde. Die Fahrt nimmt kein Ende.

      Am Colaba Causeway erwache ich in einem Nebel aus Dunst und Diesel. Die Gegend ist mir bekannt. Shantaram von Gregory David Roberts, eine abenteuerliche Mischung aus Science-Fiction- und Lovestory, ist ein Muss für Bücherwürmer.

      »Otel?« Sebastian wendet sich genervt um, wahrscheinlich hat er die Frage bereits mehrmals gestellt.

      »Bentley’s

      Er wackelt mit dem Kopf und brüllt einen jungen Mann an, der gerade die Straße kreuzt. Ein Köter springt jaulend zur Seite, so scharf hält der Wagen. Der Junge schreit zurück. Das Taxi fährt, es hält, es fährt, es hält. Jedes Mal unterbrochen von Schreierei und ebensolcher Antwort. Mein Hotel ist, scheint’s, unbekannt. Weiter vorne steht das Taj Mahal Palace. Dort, wo einmal Straßen waren, wird jetzt Ackerbau betrieben. Wir befinden uns in einem willkürlichen Einbahnchaos.

      Das Bentley’s sollte in unmittelbarer Nähe zum Gateway of India liegen. Hier betrat vor etwas mehr als einhundert Jahren der Opa von Königin Elizabeth II. erstmals indischen Boden. Ihm zu Ehren bauten sie einen Triumphbogen. Von hier aus will auch ich das Land erobern. Die ersten Europäer allerdings waren schon vierhundert Jahre früher da. 1498 legte Vasco da Gama in Kerala an, danach fielen nach und nach die Pioniere der Pauschalreisenden ein und begannen den Subkontinent zu plündern: Portugiesen, Holländer, Engländer, Franzosen und Dänen. Sie alle gründeten Handelsniederlassungen. Lückenlos.

      Ich beschreibe Sebi den Weg, zu Hause habe ich mir den Stadtplan von Colaba eingeprägt. Einige Straßen später bringt er die Karre zum Stehen. Der abgewrackte Kasten liegt in einem ebenso verwahrlosten Garten. Es ist kurz vor sechs. Vor dem verschlossenen Gittertor schreckt eine auf dem Gehsteig liegende Gestalt auf. Conciergen leben gefährlich, das Taxi hätte ihn beinahe überrollt. Missmutig entriegelt er das Tor.

      In der Rezeption brennt kaltes Licht, einige Gestalten dösen auf Bänken und Böden. Ich rufe meinen Namen, hinter der Rezeption taucht der Schädel des Nachtportiers auf. Er mustert mich feindselig. Sein Finger gleitet die Namensliste in einem nach Naphthalin stinkenden Buch entlang, meiner scheint nirgends auf. Schließlich entdecke ich einen Eintrag, bei dem die Abreise mit der meinen übereinstimmt, der dazugehörige Name allerdings lautet auf »Enssinger«. Daneben ist eine Handynummer notiert. Der Mann wackelt mit dem Kopf. Zu Recht.

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