Von Menschen, Märchen & Moguln. Michael Schottenberg

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Von Menschen, Märchen & Moguln - Michael Schottenberg

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äußeres Zeichen innerer Reinheit. Ich habe Glück, eine Woge Menschenleiber spült mich in die Bhuleshwar Road, wo ich in einem Marktgewirr von Tieren und Waren aller Art lande. Zu beiden Seiten der Straße: Tempel. Keinen davon nehme ich wahr, zu sehr nimmt mich das hiesige Leben gefangen.

      Ein Gewürzladen zieht mich an: »Mr. Motilal Masalawala« steht in roten Lettern über dem Geschäft, und ich lese in meinem »gescheiten Buch«, dem Lonely Planet, dass der Gewürzladen eine Anlaufstelle heimischer Hausfrauen in Sachen Gaumenfreuden ist. Ich schnuppere mich durch die Regale. Mr. Motilal nickt mir zu und bleckt dabei seinen zahnlosen Mund. Ich erwidere den Gruß – allerdings mit Zähnen. Zwei Herren unterschiedlicher Welten nicken mit den Köpfen. Der Duft göttlicher Gewürze bewirkt Völker verbindendes Einverständnis.

      In der nächsten Gasse stolpere ich über eine Seltsamkeit: die »Kuhherberge von Panjrapole«. Was hat man sich darunter vorzustellen? Sehr einfach, hier werden Heiligtümer gemästet. Von wem? Von zahlenden Gläubigen. Und davon gibt’s jede Menge. An der Kassa, gleich neben dem Eingang, gibt man, was man gerne gibt. Entsprechend der Donation rollen Kugeln, geformt aus Rohrzucker und Getreide, in eine Blechbüchse. Man könnte auch einfach nur Gras kaufen, aber das ist zu banal. Der Kugelverkäufer verbietet mir zwar, zu fotografieren (den Gefallen kann ich ihm nicht tun, mein Verlag hätte was dagegen), verspricht aber als Folge der Fütterung spirituelle Reinigung. Wer kann das nicht gebrauchen? Ich nähere mich einem der Pferche und suche mir eine entsprechend dünne Kuh aus.

      »Where are you from?« Ein Kindergesicht strahlt mich an. »Australia? You have money in Australia?« Ohne Umwege sind wir am Punkt. Rajiv heißt der Stöpsel. Hinter meiner biederen Maske vermutet er den alten Rothschild. Gefehlt. Aber wie ihm das beibringen? Rajiv wird deutlicher.

      »Money!«

      »And what do you give me?«, frage ich.

      »Babys«, sagt er und deutet hinüber zum gegenüberliegenden Stall. Dort stehen die heiligen Bäuche. Gleich daneben ist die Säuglingsstation. Jede Menge Winzlinge purzeln herum.

      »Yesterday born. Money!«

      Unter seiner Anleitung füttere ich die Frischlinge und fühle, wie sich meiner eine innere Kraft zu bemächtigen beginnt. Rajiv sieht mich an. Ich zücke die Börse, eine kleine, schmutzige Hand fährt dazwischen und holt ein paar Rupien heraus. Gleich darauf ist der Kleine wieder da, in der Blechdose rollen vier Getreidekrapfen, das Restgeld steckt in seinem Hosenbund. Und er hat jemanden mitgebracht: seine Freundin Tina. Es scheint sich herumgesprochen zu haben, dass ein australischer Bankier die Säuglingsstation besichtigt.

      »Money!«

      Rajiv ist ein harter Fall.

      »He is mental«, flüstert mir Tina zu und verdreht die Augen.

      »You mean, crazy?«

      »Mental!« Sie fuchtelt mit der flachen Hand vor ihrem Gesicht herum. Die Kugeln verschwinden in hungrigen Babymäulern. »Come!« Die Kinder laufen die Anlage entlang, ich versuche, mit ihnen Schritt zu halten, was nicht einfach ist, denn ich tappe alle naselang in Kuhfladen und drohe auszuglitschen. Rajiv und Tina haben auf die Schnelle eine Freundin organisiert und posieren jetzt zu dritt neben einem riesigen, gut im Futter stehenden Bullen.

      »Father!«

      Ich trete einen Schritt zurück und schieße ein paar Erinnerungsfotos. Die Kinder bekommen einen Lachanfall, ich stehe mitten in einer Flade. Tina klammert sich an mich. Ich sage »Shit« und tapse zum Ausgang zurück. Rajiv, Tina und die Neue warten schon auf mich.

      »Money!«

      Die Mädchen bekommen ein Abschiedsgeschenk. »Lord Shiva bless you!«, plappern sie. Ich wackle mit dem Kopf. Die Kleinen rühren mich. Sie haben sich ein schönes Fleckchen ausgesucht, ihr Leben zu beginnen. Nicht das sauberste, aber eines, das die Seele reinigt. Sie wackeln ebenfalls mit den Köpfen. Ich sage: »Thank you«, etwas anderes fällt mir nicht ein. Rajiv ergänzt: »In the name of the cows!« Damit ist alles gesagt. Die Kinder laufen so schnell sie können zwischen den Tieren, die hier Herberge nehmen, davon.

      Draußen vor der Panjrapole Gaushala, der Kuhherberge, fallen mir einige seltsame Verkaufsstände auf, an denen ein begehrtes Naturprodukt verhökert wird: Kuhfladen. Drinnen wären sie noch gratis gewesen, hier kosten sie was. Getrocknet eignen sie sich bestens als Brennmaterial, auch als Opfergabe. Verbrennt man sie im heimischen Herd, wird der Geschmack der Speisen angeblich verbessert. Die Fladen gibt es übrigens in zwei Geschmacksrichtungen: Die hellen sind kostbarer als die dunklen. Rajiv und die Kinder haben es schon begriffen: Hier wird auch noch aus Scheiße Geld gemacht.

       Die große Seele

      Mumbai, 18. Februar

      Es ist Sonntag. Marine Drive wird die Uferpromenade entlang der großen Bucht genannt. Ich habe noch keine prächtigere gesehen: Das Green vor dem Hotel Galle Face in Colombo, der Malecón in Havanna, die Uferstraßen von Piräus, San Sebastián oder Singapur, sie alle wirken alt gegen den Marine Drive in Mumbai: Fünf Kilometer am türkisfarbenen Wasser entlang. Hier auf der Prachtmeile stehen die Millionärsbuden dicht an dicht. Überall wird gehämmert und gebohrt, Gerüste werden errichtet und mit Tüchern, Blumen und bunten Schirmen geschmückt. Von Weitem schon sind die Trommeln zu hören, drängend, dem Rhythmus des Herzens nachempfunden. Die Musiker werden umringt von prächtig geschmückten Mädchen, die wiederum sind umgeben von Hochzeitsgästen. Alles dreht sich, schnell, immer schneller, begleitet von den Aufmunterungsrufen der Brauteltern. Die Tänze werden ekstatisch. Trommelschläge. Kostbare Gewänder glitzern in der Vormittagssonne. Die Frauen tragen Tonnen von Gold- und Silberketten, Armreifen, Schleier, Schals, sie sind in grellbunte Farben gehüllt, duftend nach Jatamansi, Ambra und Moschus. Hoch zu Ross der Zeremonienmeister, auch er in feinster Seide. In der Hand hält er einen kostbaren Sonnenschirm, auf seinem Schoß ein etwa fünfjähriges Mädchen. Sie symbolisiert das Ebenbild der Braut. Die Kleine scheint einer Geschichte aus tausendundeiner Nacht entsprungen zu sein. Scheinbar geringschätzig nimmt sie das Treiben wahr. Nur dann und wann hebt sie ihr Köpfchen und bezeugt ihren Untertanen für diesen einen einzigen Moment huldvolle Aufmerksamkeit. Das Feenwesen trägt eine viel zu große Sonnenbrille. Jung und Alt klatscht in die Hände und wirbelt herum, der kleinen Braut zu Ehren. Sogar der Chronist wird von einem der Tänzer, der der Bräutigam sein könnte, in den Kreis gebeten.

      Die eigentliche Hochzeitsfeier findet später auf den Rasenflächen der umliegenden Parks statt, an den festlich gedeckten Tafeln, abgeschirmt vom Sonntagsverkehr, durch den silberne Hochzeitskutschen im Minutentakt rollen, auch sie von Trommlern und Festgästen umringt. Zeremonien dieser Art kosten ein Vermögen, hunderttausendmal mehr als sich die, die mit ihren Familien nebenan am Strand von Chowpatty bei einer der Imbissbuden hocken und ihr bescheidenes Mittagsmahl einnehmen, vorstellen können.

      Dort, wo das andere Mumbai feiert, finde auch ich mich ein. Die International Society for Krishna Consciousness bittet zur Ausspeisung. In einem Innenhof an der Vachha Gandhi Road, gleich neben dem Strand, findet die Party statt. Jeder ist willkommen. Ich bekomme einen Pappkarton in die Hand gedrückt, darauf ist ein köstlich scharfes Jain Bhel Puri, eine Speise der Jains – orthodoxe Vegetarier, die nichts zu sich nehmen, was durch Gewaltanwendung an Flora oder Fauna zum Verzehr gelangt. Das Pflücken von Früchten ist verboten, sie müssen vom Boden aufgelesen werden. Aus Furcht, auf ein Lebewesen zu treten, beseln die Jains akribisch ihren Weg frei. Ich esse eine Mischung aus Pinienkernen, Zwiebeln, Petersilie, Kartoffeln, Kichererbsen, zerkleinertes Fladenbrot, Pfefferoni und eine Art Teigwarenreis. Ein kulinarischer Hochgenuss. Alle sitzen am Boden und schlagen sich, friedlich vor sich hinlächelnd, die Bäuche voll. Gottvoll das Linsen-Dhal mit Spinat-Paneer, vermengt

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